EuGRZ 2013 |
12. März 2013
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40. Jg. Heft 1-5
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Informatorische Zusammenfassung
Andreas Zünd und Thomas Hugi Yar, Lausanne, analysieren „Aufenthaltsbeendende Maßnahmen im schweizerischen Ausländerrecht, insbesondere unter dem Aspekt des Privat- und Familienlebens“
«Aufenthaltsbeendende Massnahmen müssen in verschiedener Hinsicht – je länger je mehr – neben den gesetzlichen auch verfassungs- und völkerrechtlichen Vorgaben genügen. Die Europäische Menschenrechtskonvention enthält unmittelbar keine Bestimmungen zum Schutz von Migrantinnen und Migranten. Immerhin sind nach Art. 3 EMRK Ausweisungen unzulässig, falls der betroffenen Person bei deren Vollzug Folter oder eine unmenschliche Strafe oder Behandlung droht. Ist ein solches Risiko mit stichhaltigen Gründen glaubhaft gemacht, bildet die Ausschaffung selber eine unmenschliche Behandlung. Das 4. Zusatzprotokoll zur EMRK (ZP-EMRK), das die Schweiz nicht ratifiziert hat, regelt gewisse Aspekte der Freizügigkeit (Art. 2), sieht ein Verbot der Ausweisung eigener Staatsangehöriger vor (Art. 3) und verbietet, ausländische Personen kollektiv auszuweisen (Art. 4). Art. 1 des 7.&247;ZP-EMRK und Art. 13 UNO-Pakt II gewähren legal anwesenden ausländischen Personen bei der Aufenthaltsbeendigung verschiedene Verfahrensgarantien: So muss der betroffenen Person vorbehältlich zwingender Gründe der nationalen Sicherheit Gelegenheit gegeben werden, die gegen die Ausweisung sprechenden Gründe vorbringen und den aufenthaltsbeendenden Entscheid überprüfen lassen zu können.
Die Ausweisung einer Ausländerin oder eines Ausländers kann – was schwergewichtig Thema des vorliegenden Beitrags bildet – auch im Widerspruch zum Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens stehen: Nach Art. 13 Abs. 1 BV hat jedermann Anspruch auf dessen Achtung. Dasselbe ergibt sich aus Art. 8 EMRK. Nach dessen Ziff. 2 darf eine Behörde in die Ausübung dieser Rechte nur eingreifen, soweit die entsprechende Massnahme gesetzlich vorgesehen ist und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig erscheint; zudem muss sie einem der in Art. 8 Ziff. 2 EMRK genannten Zwecke dienen. Der EGMR hat in seiner Rechtsprechung Kriterien entwickelt, anhand derer die Verhältnismässigkeit aufenthaltsbeendender Massnahmen im Einzelfall jeweils zu prüfen ist. Auf die gleichen bzw. auf ähnliche Aspekte stellt der UN-Ausschuss für Menschenrechte (UN-AMR) bei der Anwendung von Art. 17 des UNO-Pakts II ab. Nach dieser Bestimmung darf niemand willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privat- und sein Familienleben ausgesetzt werden und hat jedermann Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche.»
Die Autoren gehen detailliert auf die Grundlagen der aufenthaltsbeendenden Massnahmen im schweizerischen Recht ein (II.), sodann auf die durch den EGMR zum Schutz des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK im Migrationsbereich entwickelte Rechtsprechung (III.), ferner werden deren Umsetzung in der Praxis durch das Schweizerische Bundesgericht allgemein und anhand konkreter Fälle nachgezeichnet (IV.). Abschliessend wird kurz auf die sog. „Ausschaffungsinitiative“ eingegangen, die neu bei gewissen Deliktskategorien einen Ausschaffungsautomatismus auf Verfassungsstufe geschaffen hat, dessen genauere Konturen im Gesetz noch festzulegen sein werden (V.). (Seite 1)
Astrid Merl, Wien, gibt einen differenzierten Überblick über „Aufenthaltsbeendende Maßnahmen im österreichischen Fremdenrecht“ sowie den relevanten Grundrechtsschutz
«Das Fremdenrecht und damit auch die Bestimmungen über aufenthaltsbeendende Maßnahmen unterliegen in Österreich ständigen Veränderungen. Das derzeit in Geltung stehende Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) wurde seit seinem Inkrafttreten am 1. Jänner 2006 bereits zehnmal novelliert. Eine umfassende Änderung erfolgte durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 (FrÄG 2011), mit dem insbesondere die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (kurz: RückführungsRL) umgesetzt werden sollte.
Mit 1. Jänner 2014 sind weitere Änderungen vorgesehen, die erheblichen Einfluss auf die Vollziehung der Bestimmungen betreffend aufenthaltsbeendende Maßnahmen haben werden. Mit diesem Datum wird einerseits die Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012 in Kraft treten. Mit der Einführung von je einem Verwaltungsgericht pro Bundesland, einem Bundesverwaltungsgericht und einem Bundesfinanzgericht beinhaltet diese eine umfassende Neustrukturierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich. Andererseits wird mit gleichem Datum ein Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als zuständige Behörde erster Instanz für die Vollziehung u.a. aufenthaltsbeendender Maßnahmen eingerichtet werden. Ab Jänner 2014 werden somit über aufenthaltsbeendende Maßnahmen in erster Instanz das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in zweiter Instanz das Bundesverwaltungsgericht entscheiden; gegen letztere Entscheidung ist grundsätzlich eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) möglich.» (Seite 19)
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Straßburg, erklärt gegen Vorabentscheidung des EuGH gerichtete Beschwerde wegen offensichtlicher Unbegründetheit für unzulässig / Lechouritou u.a. gegen Deutschland und 26 weitere EU-Staaten
Der EuGH hatte auf ein Vorabentscheidungsersuchen eines griechischen Gerichts die Frage verneint, ob die Schadensersatzklage der Hinterbliebenen von Opfern eines Massakers deutschen Militärs an griechischen Zivilisten im Zweiten Weltkrieg als „Zivilsache“ i.S.d. Art. 1 des Brüsseler Übereinkommens zu beurteilen sei und deshalb nicht an der gerichtlichen Staatenimmunität Deutschlands scheitern könne.
Hierzu stellt der EGMR fest, dass der EuGH «sein Urteil umfassend begründet und substantiiert dargelegt hat, weshalb die Klage der Bf. vor den griechischen Gerichten nicht unter dieses Übereinkommen fällt. Nichts deutet darauf hin, dass die Auslegung der Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens durch den EuGH willkürlich oder offensichtlich unangemessen war, was den Gerichtshof veranlassen könnte, eine Konventionsverletzung festzustellen.»
Zum völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität heißt es: «Im Hinblick auf die auf Art. 1 des 1. ZP-EMRK [Schutz des Eigentums] gestützte Rüge und insofern, als die Bf. auch zu rügen scheinen, dass sie von der Bundesrepublik Deutschland keine Entschädigung erhalten können und dass das oberste Sondergericht Griechenlands die gerichtliche Immunität des deutschen Staates anerkennt, kann der Gerichtshof unter Berücksichtigung der Gesamtheit des ihm vorliegenden Materials und im Rahmen seiner Kompetenz, über die geltend gemachten Ansprüche zu entscheiden, keine Verletzung der nach der Konvention und ihren Protokollen zugesicherten Rechte und Freiheiten erkennen.» (Seite 26)
EGMR bekräftigt die Pflicht zur innerstaatlichen Rechtswegerschöpfung als Zulässigkeitsvoraussetzung füreine Menschenrechtsbeschwerde / Weyhe gegen Deutschland
Die Behauptung der Aussichtslosigkeit einer Verfassungsbeschwerde (hier: gegen die Zwangsmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft) scheitert am Hinweis des Bundesverfassungsgerichts an den Bf., eine einschlägige Entscheidung des EGMR abwarten zu wollen.
Der EGMR führt aus: «Die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht bisher die Auffassung vertreten hat, die Zwangsmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft verletze die Eigentumsrechte des betreffenden Bf. nicht, rechtfertigt vor diesem Hintergrund nicht die Annahme, dass die Verfassungsbeschwerde des Bf. keine Aussicht auf Erfolg habe. Der Bf. ist folglich nicht von der Verpflichtung entbunden, den Ausgang des beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahrens abzuwarten.» Der EGMR erklärt die Beschwerde für unzulässig, weil verfrüht. (Seite 28)
Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), Luxemburg, bestätigt, dass Aufstachelung zu Hass und Gewalt (in Côte d'Ivoire/Elfenbeinküste) durch einen Pressekonzern einen hinreichenden Grund für das Einfrieren von Geldern der verantwortlichen Direktorin darstellt / Rs. Rat/Bamba
Auf Rechtsmittel des Rates gegen das anders lautende Urteil des Gerichts gelangt der EuGH zu dem Ergebnis: «Anders als das Gericht entschieden hat, lässt sich dieser Begründung entnehmen, dass der besondere und konkrete Grund, der den Rat dazu veranlasst hat, die restriktiven Maßnahmen gegen Frau Bamba zu verhängen, seines Erachtens darin besteht, dass sie in der ihr zugeschriebenen Funktion als Direktorin der Verlagsgruppe der Zeitung Le temps für Handlungen der öffentlichen Aufstachelung zu Hass und Gewalt und Desinformationskampagnen im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen von 2010 mittels dieser Zeitung verantwortlich gewesen sein soll. (…)
Mit diesen Angaben wurde Frau Bamba somit in die Lage versetzt, in sachgerechter Weise die Begründetheit der streitigen Rechtsakte in Zweifel zu ziehen. Anhand dieser Angaben hätte sie die Möglichkeit gehabt, gegebenenfalls die in den streitigen Rechtsakten angegebenen Tatsachen zu bestreiten (…) oder die Erheblichkeit aller oder eines Teils dieser Tatsachen oder ihre Einstufung als Blockierungen des Friedens- und Aussöhnungsprozesses in Côte d'Ivoire, die die Anwendung restriktiver Maßnahmen gegen sie rechtfertigen können, in Abrede zu stellen.» (Seite 29)
EuGH weist Klage der in den Niederlanden ansässigen Stiftung Al-Aqsa gegen ihren Verbleib auf der Terrorismus-Liste der EU ab sowie gegen die damit verbundenen restriktiven Maßnahmen wie das Einfrieren ihrer Gelder / Rs. Stichting Al-Aqsa
«Angesichts eines für die Völkergemeinschaft derart grundlegenden Ziels wie des mit allen Mitteln gemäß der UN-Charta geführten Kampfes gegen die Bedrohungen, die durch terroristische Handlungen auf dem Weltfrieden und der internationalen Sicherheit lasten, kann das Einfrieren von Geldern, Finanzvermögen und anderen wirtschaftlichen Ressourcen der Personen, die nach den in der Verordnung Nr. 2580/2001 und dem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 festgelegten Regeln als in die Finanzierung des Terrorismus verwickelt identifiziert worden sind, für sich genommen nicht als unangemessen angesehen werden (…).
Hinsichtlich der Erforderlichkeit ist festzustellen, dass die von der Rechtsmittelführerin genannten alternativen und weniger belastenden Maßnahmen, z.B. ein System einer vorherigen Erlaubnis oder eine Verpflichtung, die Verwendung der gezahlten Beträge nachträglich zu belegen, es – namentlich in Anbetracht der Möglichkeit einer Umgehung der auferlegten Beschränkungen – nicht ermöglichen, das angestrebte Ziel, nämlich die Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, ebenso wirksam zu erreichen.» (Seite 36)
EuGH erkennt in der Gefährdung einer Frau („Familienehre“) einen zwingenden humanitären Grund für die Verpflichtung eines Staates (Österreich) zur Übernahme der Zuständigkeit (von Polen) zur Prüfung eines Asylantrags ihrer Schwiegermutter, auf deren Unterstützung sie angewiesen ist / Rs. K gegen Bundesasylamt
«Nach Ansicht des Asylgerichtshofs wurde der Nachweis erbracht, dass die Schwiegertochter von Frau K auf deren Unterstützung angewiesen ist, und zwar sowohl wegen eines neugeborenen Kindes als auch wegen einer schweren Krankheit und einer ernsthaften Behinderung, an denen sie infolge eines in einem Drittland eingetretenen schweren traumatischen Ereignisses leidet. Im Fall der Aufdeckung dieses Ereignisses bestünde für die Schwiegertochter die Gefahr, aufgrund kultureller Traditionen zur Herstellung der Familienehre von Männern aus ihrem familiären Umfeld schwer misshandelt zu werden. Frau K ist, seit sie und ihre Schwiegertochter sich in Österreich wiedergefunden haben, deren engste Beraterin und Vertraute, nicht nur aufgrund der familiären Bindung, sondern auch deshalb, weil sie einschlägige Berufserfahrung hat. (…)
Zwar ist Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 343/2003 eine fakultative Bestimmung, die den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen bei der Entscheidung einräumt, ob sie aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige „zusammenführen“, doch wird dieses Ermessen durch Art. 15 Abs. 2 in der Weise eingeschränkt, dass die Mitgliedstaaten, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen, den Asylbewerber und den anderen Familienangehörigen „im Regelfall &247;… nicht &247;… trennen“.» (Seite 48)
Für den Kontext derartiger und ähnlicher (in der Rechtsprechung des EuGH neuen) Konstellationen cf. Ece Göztepe, Rechtliche Aspekte der sog. Ehrenmorde in der Türkei, EuGRZ 2008, 16 ff.
EuGH präzisiert Reichweite der Unionsbürgerschaft von Kindern in Patchwork-Familien und das Kriterium des Kindeswohls für Daueraufenthaltsrechte drittstaatsangehöriger Mütter / Rs. O. et al.
Auf Vorlage eines finnischen Gerichts gelangt der EuGH zu folgenden Ergebnissen: «Art. 20 AEUV ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, einem Drittstaatsangehörigen die Erteilung eines auf der Grundlage der Familienzusammenführung beantragten Aufenthaltstitels zu verweigern, wenn dieser Drittstaatsangehörige beabsichtigt, mit seiner Ehegattin, die ebenfalls Drittstaatsangehörige ist, sich rechtmäßig in diesem Mitgliedstaat aufhält und Mutter eines Kindes aus einer ersten Ehe ist, das die Unionsbürgerschaft besitzt, und dem aus der Ehe des Drittstaatsangehörigen und seiner Ehegattin hervorgegangenen Kind, das ebenfalls Drittstaatsangehöriger ist, zusammenzuleben, sofern eine solche Verweigerung nicht dazu führt, dass dem betroffenen Unionsbürger verwehrt wird, den Kernbestand der Rechte, die ihm der Unionsbürgerstatus verleiht, in Anspruch zu nehmen, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.
Auf der Grundlage der Familienzusammenführung gestellte Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden fallen unter die Richtlinie 2003/86. Art. 7 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten zwar befugt sind, den Nachweis zu verlangen, dass der Zusammenführende über ausreichende feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, um den Lebensunterhalt für sich und seine Familienangehörigen zu bestreiten, diese Befugnis aber im Licht der Art. 7 und 24 Abs. 2 und 3 der Charta ausgeübt werden muss, wonach die Mitgliedstaaten die Anträge auf Familienzusammenführung unter Berücksichtigung des Wohls der betroffenen Kinder und in dem Bestreben, auch das Familienleben zu fördern, prüfen müssen und das Ziel dieser Richtlinie und deren praktische Wirksamkeit nicht beeinträchtigen dürfen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts,zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Entscheidungen, mit denen die Erteilung von Aufenthaltstiteln abgelehnt wurde, unter Beachtung dieser Anforderungen erlassen wurden.» (Seite 53)
Cf. Eva Julia Lohse, Die Rechtsprechung des EuGH zum Aufenthaltsrecht Drittstaatsangehöriger – auf dem Weg zur Achtung der Kompetenzverteilung bei der Gewährleistung von Grundrechten?, EuGRZ 2012, 693; Astrid Merl, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen im österreichischen Fremdenrecht, EuGRZ 2013, 19 (in diesem Heft).
EuGH bestätigt Klagerecht der EU-Kommission vor nationalen Gerichten auf Ersatz des der Union als Käufer durch Kartellabsprachen entstandenen Schadens / Rs. Otis u.a.
Im vorliegenden Fall geht es um eine Schadensersatzklage vor einem belgischen Gericht auf 7 Mio. Euro zzgl. Zinsen und Verfahrenskosten wegen überhöhter Preise für Aufzüge und Rolltreppen in Gebäuden der EU. (Seite 59)
Schweizerisches Bundesgericht (BGer), Lausanne, erklärt das Arbeitsverbot nach Art. 43 Asylgesetz grundsätzlich für mit Art. 8 EMRK (Schutz des Privatlebens) vereinbar
Bei langer Anwesenheit und jahrelanger Nothilfeabhängigkeit eines weggewiesenen Asylbewerbers kann sich in außerordentlichen Situationen aus dieser Bestimmung jedoch ein Anspruch auf Bereinigung des Anwesenheitsstatus (vorläufige Aufnahme oder asylrechtlicher Härtefall) bzw. auf Erteilung einer Arbeitsbewilligung ergeben. (Seite 65)
BGer verneint die direkte Anwendbarkeit neuer verfassungsrechtlicher Vorgaben zur Aufenthaltsbeendigung, die im Widerspruch zu geltendem Gesetzes- und Völkerrecht stehen / „Ausschaffungsinitiative“
Das Urteil gibt eine Übersicht über die nach der Rechtsprechung des EGMR und der bundesgerichtlichen Praxis zu beachtenden Kriterien bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit aufenthaltsbeendender Massnahmen von straffällig gewordenen Ausländern.
Die mit der Ausschaffungsinitiative am 28. November 2010 in die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft aufgenommenen Bestimmungen in Art. 121 Abs. 3-6 sind aufgrund einer der praktischen Konkordanz verpflichteten Auslegung und mangels hinreichender Bestimmtheit nicht direkt anwendbar, sondern bedürfen der Umsetzung durch den Gesetzgeber. Sie haben keinen Vorrang vor den Grundrechten oder den Garantien der EMRK. Der vom Verfassungsgeber zum Ausdruck gebrachten Wertung kann bei der Anwendung des geltenden Rechts insoweit Rechnung getragen werden, als dies zu keinem Widerspruch zu übergeordneten Bestimmungen bzw. zu Konflikten mit dem Beurteilungsspielraum führt, den der EGMR den einzelnen Konventionsstaaten bei der Umsetzung ihrer Migrations- und Ausländerpolitik einräumt. (Seite 68)
S.a. den Aufsatz von Andreas Zünd und Thomas Hugi Yar, Aufenthaltsbeendende Massnahmen im schweizerischen Ausländerrecht, insbesondere unter dem Aspekt des Privat- und Familienlebens, EuGRZ 2013, 1 ff. (in diesem Heft).
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Karlsruhe, zu den Grenzen polizeilicher Dauerobservation eines im Anschluss an die Rechsprechung des EGMR aus der Sicherungsverwahrung Entlassenen
«Die angegriffenen Entscheidungen genügen (…) nicht den Voraussetzungen für die hier von Verfassungs wegen gebotene Prüfungsintensität im Bereich des grundrechtsrelevanten einstweiligen Rechtsschutzes (…). Die Gerichte durften angesichts des mit einer solchen Observation verbundenen schweren Eingriffs, zumal wenn er zur Zeit nach der Auffassung der Verwaltungsgerichte wohl allein auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden kann, dem Beschwerdeführer nicht unter Berufung auf zum Zeitpunkt ihrer Entscheidungen im Wesentlichen nicht mehr aktuelle Erkenntnisse den einstweiligen Rechtsschutz versagen.» (Seite 73)
Zu den Wechselwirkungen im Verhältnis von EGMR und BVerfGin diesem Themenkomplex cf. Christoph Grabenwarter, Die deutsche Sicherungsverwahrung als Treffpunkt grundrechtlicher Parallelwelten, EuGRZ 2012, 507 ff.
BVerfG beanstandet verwaltungsgerichtliche Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen versammlungsrechtliche Auflage
Die Beschwerdeführer gehören zur rechtsextremen Szene bzw. zur NPD. Die Stadt Leipzig hatte hinsichtlich der angemeldeten drei Aufzüge und einer Abschlusskundgebung in der Innenstadt angesichts zahlreicher angemeldeter Gegendemonstrationen und eines Mangels an Polizeikräften verfügt, dass lediglich eine stationäre Kundgebung im Bereich des Hauptbahnhofs durchgeführt werden dürfe. Das BVerfG stellt Verletzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) i.V.m. dem Rechtsschutzanspruch (Art. 19 Abs. 4 GG) fest. (Seite 76)
BVerfG wertet die gesetzliche Unmöglichkeit der Sukzessivadoption (Adoption eines vom eingetragenen Lebenspartner adoptierten Kindes) als Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung der betroffenen Kinder sowie der betroffenen Lebenspartner
Die Leitsätze des Ersten Senats lauten: «1. Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verleiht dem Kind ein Recht auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Adoption des angenommenen Kindes eines eingetragenen Lebenspartners durch den anderen Lebenspartner (Sukzessivadoption) zu ermöglichen, lässt sich daraus nicht ableiten.
2. Zwei Personen gleichen Geschlechts, die gesetzlich als Elternteile eines Kindes anerkannt sind, sind auch im verfassungsrechtlichen Sinne Eltern (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG).
Eine Person, die bislang weder in einer biologischen noch in einer einfachrechtlichen Elternbeziehung zu einem Kind steht, ist grundsätzlich nicht allein deshalb nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG Elternteil im verfassungsrechtlichen Sinne, weil sie in sozial-familiärer Beziehung mit dem Kind lebt.
3. Leben eingetragene Lebenspartner mit dem leiblichen oder angenommenen Kind eines Lebenspartners in sozial-familiärer Gemeinschaft, bilden sie mit diesem eine durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familie im Sinne des Grundgesetzes.
Bei der rechtlichen Ausgestaltung der Familie ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht ohne Weiteres verpflichtet, denjenigen, die tatsächlich soziale Elternfunktion wahrnehmen, allein deswegen eine Adoptionsmöglichkeit zu schaffen.
4. Indem §&247;9 Abs. 7 des Lebenspartnerschaftsgesetzes die Möglichkeit der Annahme eines adoptierten Kindes des eingetragenen Lebenspartners durch den anderen Lebenspartner (Sukzessivadoption) verwehrt, wohingegen die Möglichkeit der Annahme eines adoptierten Kindes des Ehepartners und die Möglichkeit der Annahme eines leiblichen Kindes des eingetragenen Lebenspartners (Stiefkindadoption) eröffnet sind, werden sowohl die betroffenen Kinder als auch die betroffenen Lebenspartner in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt (Art. 3 Abs. 1 GG).» (Seite 79)
BVerfG sieht den Schutz der Allgemeinheit vor Missbrauch von Schusswaffen durch die Regelungen des Waffengesetzes als hinreichend gewährleistet an
Die Bf. sind die Mutter und zwei Geschwister eines Opfers des Amokschützen von Winnenden. (Seite 91)
EGMR bewältigt Beschwerdeflut zunehmend effektiver; Jahrespressekonferenz des EGMR-Präsidenten Spielmann. (Seite 93)
EuGH veranstaltet Kolloquium zur unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts aus Anlass des 50. Jahrestags des Urteils Van Gend en Loos. (Seite 93)
Österreichischer Verfassungsgerichtshof (VfGH), Wien, hat grundrechtliche Bedenken gegen die in der RL 2006/24/EG geregelte Vorratsdatenspeicherung / Vorlage des VfGH an den EuGH
Insbesondere geht der VfGH davon aus, dass ein höheres Schutzniveau als jenesnach der Grundrechte-Charta, das sich aus einem wertenden Rechtsvergleich der Verfassungen der Mitgliedstaaten ergibt, dazu zwingen kann, die einschlägige Garantie der Grundrechte-Charta so auszulegen, dass der Grundrechtsstandard der mitgliedstaatlichen Verfassungen nicht unterschritten wird. (Seite 94)
BVerfG – Übersicht über die im Jahr 2013 u.a. zur Entscheidung anstehenden Verfahren. (Seite 101)