EuGRZ
29. November 2024
51. Jg. Heft 18-21

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Informatorische Zusammenfassungen

Den Lesern der EuGRZ wird Kenntnis gegeben, dass Norbert Paul Engel, der Begründer und Herausgeber der Europäischen Grundrechte-Zeitschrift, am 2. November 2024 verstorben ist. (Seite 381)

Manfred Nowak und Imke Steimann, Venedig, informieren über eine einzigartige Institution, die Pionierarbeit leistet: „Der Global Campus of Human Rights: Bedeutung und Entstehungsgeschichte / Menschenrechte als Bildungsauftrag im Rahmen weltweiter Masterprogramme“

 «Der Global Campus of Human Rights, ein Netzwerk von mehr als hundert Universitäten, die gemeinsam acht Masterprogramme über Menschenrechte und Demokratie in verschiedenen Weltregionen durchführen, ist die weltweit größte Institution im Bereich der universitären Menschenrechtsbildung. Sie geht auf eine Initiative der EU zurück und wird vorwiegend durch die Europäische Kommission finanziert.»

 Federführend in der Gründungsphase (ab 1996) war das Menschenrechtszentrum an der Universität Padua. Das 50-jährige Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 wurde symbolträchtig zum Anlass genommen, das europäische Master-Programm zu errichten. Praktisch bedeutete das:

 «[A]m 6. Oktober 1997 [wurde] der erste Durchgang des nun neu gegründeten European Master in Human Rights and Democratisation (EMA) im Dogenpalast feierlich eröffnet. Rund 50 Studierende der ersten Generation von „Masterini“ wurden im Wintersemester 1997/98 in der Scuola Palladio-Europa auf der Insel Giudecca in Venedig von Vertretern der folgenden zehn europäischen Universitäten unterrichtet (…).»

 Derzeit wird EMA von 43 europäischen Universitäten betrieben. «Das Curriculum wird von allen teilnehmenden Universitäten gemeinsam beschlossen und in einem permanenten Reflexionsprozess unter aktiver Einbeziehung der Studierenden weiter entwickelt. (…) Das inter-universitäre Modell von EMA in Venedig (begonnen im Jahr 1997) entwickelte schnell Vorbildwirkung für ähnliche Masterprogramme, die in den folgenden Jahren in anderen Regionen entstanden.»

 Die Autoren beschreiben diese für sieben verschiedene Weltregionen errichteten Masterprogramme ausführlich, sie betreffen: (1) Afrika – seit 1999, Büro in Pretoria; (2) Südost-Europa – seit 2000, Büro in Sarajevo; (3) Asien und den Pazifik – seit 2010, Büro in Bangkok; (4) Kaukasus – seit 2010, Büro in Yerevan; (5) Lateinamerika und die Karibik – seit 2011,Büro in Buenos Aires; (6) Arabische Welt – seit 2017, Büro in Beirut und (7) Zentralasien – seit 2023, Büro in Bishkek.

 Nowak/Steimann geben Einblick in das Partnerschaftsprojekt mit der schwedischen Stiftung Right Livelihood, bei der die Stärkung von Kinderrechten im Vordergrund steht. Vielfältige weitere Aktivitäten werden im Abschnitt VIII dargelegt.

 In ihrer Schlussbetrachtung begründen die Autoren, warum Menschenrechtsbildung vor neuen Aufgaben steht:

 «Zum ersten Mal seit 1945 ist die multilaterale Weltordnung, die mühsam errichtet worden war, in ihren Grundfesten bedroht. (…)

 Allerdings müssen die Curricula der universitären Menschenrechtsbildung an die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Neben der Entwicklung und Bedeutung der Menschenrechte sowie der Verfahren und Möglichkeiten ihres internationalen Schutzes müssen die sich stellenden Fragen wie Klimawandel, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Populismus, Polarisierung oder Kriege nicht nur aufgezeigt, sondern auch im Kontext der tieferen Ursachen für diese Phänomene analysiert werden. Auch wenn der Kolonialismus und Imperialismus der Industriestaaten für viele Probleme des 21. Jahrhunderts kausal zu sein scheinen, so greifen post-koloniale Ansätze, wie wir sie in vielen menschenrechtlichen Masterprogrammen heute finden, häufig zu kurz, um die Komplexität und Interdependenz der beschriebenen Herausforderungen und ihrer Ursachen zu begreifen. Ähnliches gilt für Fragen der Identitätspolitik und ihrer Beziehung zur Universalität der Menschenrechte. Nur wenn wir die tieferen ökonomischen, politischen und sozialen Ursachen der gegenwärtigen globalen Krise von Menschenrechten und Demokratie verstehen, werden wir in der Lage sein, den Studierenden auch überzeugende Ansätze zur Lösung dieser komplexen Probleme zu präsentieren und mit ihnen zu diskutieren. Durch seine inter-regionale Verknüpfung und wechselseitige Befruchtung unterschiedlicher Theorien wurde mit dem Global Campus of Human Rights eine Institution geschaffen, die als besonders geeignet erscheint, profundes Problembewußtsein zu fördern und so dazu beizutragen, große Herausforderungen zu meistern.» (Seite 382)

 Teresa Suwita, Köln, und Oskar Wernitz, Potsdam, stellen die Frage: EMRK-Beitritt in Sicht? Mehr Zuständigkeit des EuGH für GASP-Maßnahmen / Zur Relevanz des EuGH-Urteils (GK, 10.9.2024) in den verb. Rs. KS und KD (C-29/22 P u.a.)“

 «Einem Beitritt der EU zur EMRK stand bislang unter anderem entgegen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), aber nicht der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) über Maßnahmen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik urteilen kann. Grund dafür ist Art. 275 Abs. 1 AEUV. Danach ist „(d)er Gerichtshof der Europäischen Union (…) nicht zuständig für die Bestimmungen hinsichtlich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und für die auf der Grundlage dieser Bestimmungen erlassenen Rechtsakte“. Das Besprechungsurteil reiht sich in die jüngste Rechtsprechung des Gerichtshofs ein, in der er seine Zuständigkeit im Bereich der GASP-Maßnahmen ausdehnt und sich immer weiter vom Wortlaut der Verträge entfernt.»

 Die Autoren halten die vom EuGH vorgenommene Auslegung nicht für überzeugend und begründen das u.a. wie folgt: «Der Wortlaut des Art. 275 Abs. 1 AEUV entzieht GASPMaßnahmen generell der gerichtlichen Kontrolle durch den EuGH. Es gibt keine Unterscheidung nach dem Inhalt der jeweiligen Maßnahme im Rahmen der GASP.

 Auch die Systematik des Art. 275 Abs. 1 AEUV ließe durchaus eine andere Lösung zu. Der Gerichtshof stützt sich darauf, dass die Zuständigkeitsbeschränkung des Art. 275 Abs. 1 AEUV eine Ausnahme von dem Prinzip der allgemeinen Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Art. 19 EUV darstelle und dementsprechend restriktiv auszulegen sei. Die GASP sei in den verfassungsrechtlichen Rahmen der Union einbezogen, was zur Folge habe, dass die Grundprinzipien der Unionsrechtsordnung, zu der die gerichtliche Kontrolle der Behörden der Union und der Mitgliedstaaten nach Art. 19 EUV gehört, auch im Rahmen der GASP Anwendung finden müssten.

 Im Zusammenspiel von Art. 275 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV könnte man jedoch gleichermaßen argumentieren, dass durch die in Art. 275 Abs. 2 AEUV genannten Ausnahmen, in denen eine gerichtliche Kontrolle von GASP-Maßnahmen möglich sein soll (…), erkennbar wird, dass eben nur in den genannten Ausnahmefällen und nicht darüber hinaus Raum für eine gerichtliche Kontrolle des Gerichtshofs bleibt. Eine restriktive Auslegung des Art. 275 Abs. 1 AEUV wäre damit nicht in Einklang zu bringen.

 Und nach dem nicht nur hier als Zuständigkeitsabrundungsvorschrift herangezogenen Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV ist Aufgabe des Gerichtshofs die Wahrung des Unionsrechts, nicht jedoch dessen Modifizierung.»

 In diesem Sinne äußert sich auch der franz. Conseil d’État in seinem Forschungsbericht für 2024 (Étude annuelle 2024, La souveraineté).

 Suwita/Wernitz kommen auf die in ihrem Beitrag anfangs aufgeworfene Frage im abschließenden Ausblick zurück und fassen den aktuellen Diskussionsstand wie folgt zusammen:

 «Zudem wurde zum damaligen Zeitpunkt [vom EuGH in seinem Gutachten vom 18.12.2014 = EuGRZ 2015, 56] darauf verwiesen, dass der Gerichtshof noch nicht genügend Gelegenheit hatte, den Umfang der Zuständigkeitsbeschränkung des Art. 275 AEUV abzugrenzen. Nach den neu aufgenommenen Verhandlungen zum Beitritt der Union zur EMRK kamen die Vertragsparteien im März 2023 zu Einigungen in allen Bereichen bis auf den der GASP. Die EU wollte die Frage der Zuständigkeit des Gerichtshofs bezüglich GASP-Maßnahmen intern klären und dann den Vertragspartnern bekannt geben. Das Besprechungsurteil, welches die Kompetenz des Gerichtshofs im Rahmen der GASP noch weiter ausdehnt und Kriterien für seine Zuständigkeit aufstellt, könnte somit einen letzten Schritt in Richtung des Beitritts der EU zur EMRK darstellen.» Diese Einschätzung spiegelt sich auch im Diskussionsstand wider wie er sich Ende November 2024 auf der letzten Sitzung des Lenkungsausschusses für Menschenrechte (CDDH) abzeichnete. (Seite 391)

 „Geschlechtsspezifische Verfolgung im Flüchtlingsrecht: Orientierungslinien zu drei richtungsweisenden Urteilen des EuGH aus dem Jahr 2024“, dargelegt von Ioanna Dervisopoulos, Darmstadt

 «Der Gerichtshof hat mit seinen hier besprochenen drei Entscheidungen aus dem Jahr 2024 [die dritte, Femmes afghanes, Okt. 2024, abgedruckt in diesem Heft S. 433 ff.] offene Fragen im Bereich der geschlechtsspezifischen Verfolgung geklärt. Die Entscheidungen sind prima facie ein Fortschritt für den Schutz von Frauen.

 Außerdem bilden die beiden ersten Entscheidungen (vom Jan. 2024 zu Zwangsverheiratung, häusl. Gewalt, drohenden Ehrenverbrechen sowie vom Juni 2024 zum Flüchtlingsschutz für „verwestlichte Frauen“) auch Anschauungsmaterial für die Methodik des EuGH, der in der Großen Kammer – bisweilen ohne wirklichen Anlass – Grundsatzfragen entscheidet (hier: Frauen insgesamt als „bestimmte soziale Gruppe“) und damit wichtige spätere Entscheidungen von 5er-Kammern vorspurt.

 Während die Bejahung der Relevanz internationaler Übereinkommen zum Schutz von Frauen (CEDAW und Übereinkommen von Istanbul (…)) bei der Auslegung der Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU) ebenfalls zu begrüßen ist, enttäuscht, dass der Gerichtshof die völkerrechtlichen Texte seiner Auslegung nur abstrakt voranstellt und nicht zu seiner Auslegung der Richtlinie in einen konkreten Bezug stellt, was aber in einem späteren Urteil erfolgen kann. Es bleibt abzuwarten, wie die Entscheidungen des Gerichtshofs von den Gerichten der Mitgliedstaaten umgesetzt werden und welche weiteren Fragen im Wege des Vorabentscheidungsersuchens dem Gerichtshof die Möglichkeit für eine weitere Präzisierung seiner Rechtsprechung geben werden.» (Seite 395)

 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Straßburg, entscheidet über Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK (zivilrechtl. Anspruch auf Zugang zu Gericht) anhand der Beschwerde eines Gefangenen, der fehlenden Rechtsschutz u.a. gegen wiederholte Anstaltswechsel rügt / Wick ./. Deutschland

 Der Bf., der in Sicherungsverwahrung untergebracht ist, wurde wegen gewalttätigen Verhaltens (u.a. lebensbedrohliche Verletzung eines Mitgefangenen) insgesamt 16-mal in andere Justizvollzugsanstalten (JVA) verlegt. Da nach deutschem Recht kein Anspruch darauf besteht, eine Freiheitsstrafe in einer bestimmten JVA zu verbüßen, war zunächst über die Frage der Anwendbarkeit von Art. 6 zu entscheiden. Der EGMR stellt dazu fest, dass der behördliche Ermessensspielraum nicht unbegrenzt war, mithin eine zivilrechtl. Streitigkeit vorlag. Zur Begründetheit der Beschwerde weist der EGMR vorab darauf hin, er habe nicht über die Zweckdienlichkeit der JVAwechsel zu entscheiden, sondern nur darüber, ob der Bf. Zugang zu einem Gericht hatte, um die Rechte, die ihm als Gefangener zustehen, geltend zu machen. Der EGMR stellt eine Verletzung von Art. 6 EMRK fest. Wörtlich heißt es:

 «Der Gerichtshof kommt zum Schluss, dass es dem Bf. durch die kollidierenden Entscheidungen der innerstaatlichen Stellen unmöglich gemacht wurde, zu erfahren, wie er zur Geltendmachung seiner Rechte vorgehen müsse, insbesondere welches Gericht er anrufen und gegen welche Justizvollzugsanstalt er sein Begehren richten müsse. Deshalb stand dem Bf. nach Auffassung des Gerichtshofs keine konkrete und wirksame Möglichkeit zur Verfügung, eine gerichtliche Entscheidung zu den besonderen Sicherungsmaßnahmen und den wiederholten Anstaltswechseln in kurzer Folge hintereinander zu erwirken. In Anbetracht der Umstände der vorliegenden Sache und insbesondere unter Berücksichtigung aller ergangenen Entscheidungen gelangt der Gerichtshof zum Ergebnis, dass der Bf. keinen Zugang zu einem Gericht hatte.» (Seite 400)

 Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), Luxemburg, Große Kammer (GK), präzisiert unter welchen Voraussetzungen Haftbefehle, die im UK nach dem Brexit ausgestellt wurden, in der EU vollstreckt werden können / Detaillierter Pflichtenkatalog für EU-Justizbehörden bei behauptetem Verstoß gegen den Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“, hier unter dem Aspekt, dass „keine schwerere Strafe als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden darf“ (Art. 49 Abs. 1 GRCh) / Rs. Alchaster

 Die Entscheidung beruht auf einem Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court von Irland. Es geht um vier Haftbefehle gegen MA, dem die Begehung terroristischer Straftaten im UK im Juli 2020 (also nach dem Brexit) zur Last gelegt wird. Das maßgebliche Argument gegen eine Übergabe an das UK lautete wie folgt: «Würde MA an das Vereinigte Königreich übergeben und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, würde sich eine etwaige vorzeitige Haftentlassung unter Auflagen nach Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs richten, die nach Begehung der mutmaßlichen Straftaten, derentwegen er strafrechtlich verfolgt werde, erlassen worden seien.»

 Zu der dadurch möglicherweise drohenden Gefahr eines Verstoßes gegen die Grundrechte wie sie in der Charta gewährt werden, führt der EuGH gestützt auf die Artikel 524 Abs. 2 und 604 lit. c AHZ (Abkommen über Handel und Zusammenarbeit zwischen der EU und dem UK, abgeschlossen nach dem Brexit) in Verbindung mit Art. 49 GRCh (Grundsätze der Gesetzmäßigkeit… im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen) aus, dass die vollstreckende EU-Justizbehörde das Vorliegen der Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 49 Abs. 1 GRCh «eigenständig prüfen muss, bevor sie über die Vollstreckung des Haftbefehls entscheidet, und zwar auch dann, wenn sie die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 7 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten unter Verweis auf die Garantien, die das Vereinigte Königreich im Allgemeinen in Bezug auf die Einhaltung dieser Konvention bietet, und auf die Möglichkeit der betroffenen Person, eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzulegen, bereits verneint hat. Am Ende dieser Prüfung darf die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung des Haftbefehls nur dann ablehnen, wenn sie, nachdem sie die ausstellende Justizbehörde um zusätzliche Informationen und Garantien ersucht hat, über objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben verfügt, nach denen eine echte Gefahr besteht, dass der Umfang der Strafe, die zum Zeitpunkt der Begehung der in Rede stehenden Straftat verwirkt wurde, geändert und somit eine schwerere Strafe verhängt wird als sie ursprünglich verwirkt wurde.» (Seite 408)

 EuGH (GK) hält die Unionsgerichte durchaus für berufen, über die Rechtmäßigkeit von Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zu entscheiden, vorausgesetzt, es besteht keine unmittelbare Verbindung mit politischen oder strategischen Entscheidungen / verb. Rs. KS und KD

 Der Sachverhalt betraf zwei Schadensersatzklagen, erhoben von KS und KD, nahe Familienangehörige von Personen, die 1999 im Kosovo verschwunden sind bzw. getötet wurden. Zu beurteilen war die Rolle der zivilen Mission der EU im Kosovo (Eulex). Das Gericht wies die Klage wegen offensichtlicher Unzuständigkeit ab, anders der EuGH im Rechtsmittelverfahren, der für folgende vier Konstellationen einen Zusammenhang mit politischen und strategischen Entscheidungen im Rahmen der GASP verneinte: (1) Einstellung von geeignetem Personal durch die Mission; (2) fehlende Vorschriften für Prozesskostenhilfegewährung; (3) Einrichtung eines Überwachungsmechanismus für die Mission und (4) fehlende Abhilfemaßnahmen bei Rechtsverletzungen (vgl. Rn. 127-132 f.). Soweit es um die Ausstattung der Mission mit ausreichenden finanziellen Ressourcen oder um die Beendigung des Exekutivmandats einer GASP-Mission geht, stimmt der EuGH dem EuG zu und beansprucht keine Entscheidungskompetenz (vgl. Rn. 126, 136). (Seite 416)

 Der Besprechungsaufsatz von Teresa Suwita und Oskar Wernitz fasst die wesentlichen Aussagen des Urteils zusammen und ordnet den jetzt vom EuGH eingeschlagenen Weg der Kompetenzerweiterung in einen systematischen Zusammenhang ein; zum Problemkreis des Beitritts der EU zur EMRK wird der neueste Erkenntnisstand vermittelt, s.o. in diesem Heft S. 391-395.

 EuGH stuft diskriminierende Maßnahmen des Taliban-Regimes gegen Frauen in Afghanistan als Verfolgungshandlungen ein / Das Kriterium der schwerwiegenden Grundrechtsverletzung kann sowohl durch bestimmte Einzelmaßnahmen als auch durch kumulative Wirkung von Maßnahmen erfüllt sein / verb. Rs. C-608/22 u.a. (Femmes afghanes) (Seite 433)

 Zur geschlechtsspezifischen Verfolgung im Flüchtlingsrecht s. den Aufsatz von Ioanna Dervisopoulos, in diesem Heft S. 395-400 EuGH (GK) sieht in der Weigerung eines Herkunftsmitgliedstaats (hier: Rumänien), die in einem anderen EU-Mitgliedstaat (hier: Vereinigtes Königreich) rechtmäßig erlangte Änderung des Vornamens und des Geschlechts zu berücksichtigen, einen Verstoß gegen die Rechte der Unionsbürger / Rs. Mirin (Seite 439)

 Nicola Berner, Luxemburg, merkt zur Rs. Mirin an: Der EuGH hat «seine bisherige Rechtsprechung zur Freizügigkeit und zum Personenstandsrecht weiterentwickelt und in Anlehnung an die Rechtsprechung des EGMR um die Stufe der Geschlechtsumwandlung ergänzt. So kritisch man den damit verbundenen Vorstoß in tiefe Sphären des nationalen Rechts auch sehen mag, so konsequent ist der Schritt vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Rechtsprechungslinie. Darüber hinaus hat der EuGH eine wichtige Klarstellung zum Ablauf des Übergangszeitraums nach dem Brexit-Austrittsabkommen und dessen Auswirkungen auf im Rahmen der Freizügigkeit erworbene Rechte getroffen. (…)

 Danach muss eine vor dem Brexit im Vereinigten Königreich erfolgte Geschlechtsumwandlung nach dem Brexit in anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden, auch wenn dies erst Jahre nach dem Austritt des UK beantragt wird. Damit stärkt der EuGH die berührten Grundrechte und Grundfreiheiten. (…) Das Urteil Mirin dürfte auch für weitere in Zukunft zu Entscheidende Verfahren bedeutsam sein. (…) Es bleibt abzuwarten, ob Mirin damit nur die nächste, nicht aber die letzte Stufe der Europäisierung des Personenstandsrechts bildet.» (Seite 446)

 EuGH benennt Kriterien, die wegen offensichtlicher Beeinträchtigung der Pressefreiheit die Nichtanerkennung ausländischer Urteile durch Verweigerung der Vollstreckbarkeitserklärung rechtfertigen / hier: Verstoß gegen den ordre public in Frankreich durch spanisches Urteil, mit dem die Zeitung Le Monde und einer seiner Journalisten zu abschreckend hohen Schadensersatzzahlungen verurteilt wurden / Rs. Real Madrid Club de Fútbol (Große Kammer)

 Der streitbefangene Artikel war am 7. Dezember 2006 in Le Monde erschienen und hatte über Verbindungen des Fußballclubs zur Dopingszene berichtet. Le Monde hatte am23.12.2006 kommentarlos eine von Real Madrid übersandte Gegendarstellung veröffentlicht. Sowohl der Fußballclub als auch AE, ein Mitglied des medizinischen Teams, hatten die spanischen Gerichte angerufen. Den Klägern wurden folgende Beträge zugesprochen: Le Monde sollte als Hauptforderung 300.000,– Euro sowie zusätzlich an Zinsen und Kosten 90.000,– Euro an Real Madrid zahlen; der Journalist sollte an AE, das Mitglied im ärztlichen Team, als Hauptforderung 30.000,– Euro sowie zusätzlich an Zinsen und Kosten 3.000,– Euro zahlen.

 Der EuGH macht in seinem Urteil grundsätzliche Ausführungen zur Bedeutung der Pressefreiheit und bezieht in seine Argumentation auch die Rechtsprechung des EGMR mit ein. Der EuGH entscheidet,

 «dass die Vollstreckung [des Urteils] (…) zu versagen ist, soweit diese Vollstreckung zu einer offensichtlichen Verletzung der Pressefreiheit, wie sie in Art. 11 der Charta der Grundrechte verankert ist, und somit zu einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Vollstreckungsmitgliedstaats führen würde.» (Seite 449)

 Schweizerisches Bundesgericht (BGer), Lausanne, erklärt Verzicht auf jederzeitige Haftprüfung im Dublin-Haftverfahren für unbeachtlich

 Das BGer weist darauf hin, dass es sich um die zentrale prozessuale Garantie im Dublin-Haftverfahren handelt, die dazu dient, die inhaftierte Person vor einem willkürlichen Freiheitsentzug zu schützen. Auf dieses Recht kann nicht verzichtet werden. Möchte die inhaftierte Person die Haft nicht sofort gerichtlich überprüfen lassen, kann sie auf die Ausübung des Rechts verzichten. Sie kann die Überprüfung aber jederzeit zu einem späteren Zeitpunkt verlangen. Im konkreten Fall ordnet das BGer die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und Haftentlassung an. (Seite 456)

 BGer befasst sich mit einem Verstoß gegen Maskentragpflicht in der Schule während der Corona-Pandemie und hat zu prüfen, ob es sich bei der gegenüber einem Erziehungsberechtigten verhängten Ordnungsbuße (hier: 250,– Fr.) um eine strafrechtliche Anklage i.S.v. Art. 6 EMRK handelt

 Unter Anwendung und Bestätigung der vom EGMR entwickelten Kriterien im Fall Engel ./. Niederlande (s. EuGRZ 1976, 221) kommt das BGer zu dem Ergebnis, dass es sich um eine disziplinarische Maßnahme handelt. (Seite 458)

 BGer äußert sich zur Beschwerdelegitimation eines Mannes, der den Rechtsweg beschreiten will, nachdem das Verfahren gegen seine Freundin wegen strafbaren Schwangerschaftsabbruchs eingestellt worden war (es lag eine medizinische Indikation vor)

 Das BGer entscheidet: Der Erzeuger des abgetriebenen Fötus ist nicht selber Träger des geschützten Rechtsguts; er ist auch nicht Angehöriger, da dem ungeborenen Leben keine Rechtspersönlichkeit und keine Opfereigenschaft zukommt. Somit fehlt dem Erzeuger die Parteistellung und er kann die Einstellung des Strafverfahrens gegen die Mutter wegen strafbaren Schwangerschaftsabbruchs nicht mit Beschwerde anfechten. (Seite 460)

 Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Karlsruhe, erklärt mehrere Bestimmungen des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes (HVSG) für unvereinbar mit dem Grundgesetz, eine Bestimmung wird für nichtig erklärt

 Es fehlt bei den Datenerhebungs- und Übermittlungsbefugnissen des Landesamts für Verfassungsschutz bei mehreren Bestimmungen eine hinreichende Eingriffsschwelle, das gilt z.B. für die Ortung von Mobilfunkendgeräten, bei Auskunftersuchen betr. Flugverkehr sowie beim Einsatz Verdeckter Mitarbeiter. Folgendes muss insoweit beachtet werden:

 «1. Das Eingriffsgewicht einer Standortermittlung ist regelmäßig erhöht, wenn wegen der damit verbundenen potentiell hohen Persönlichkeitsrelevanz die Erstellung eines Bewegungsprofils möglich ist.

 a) Das Eingriffsgewicht wiegt noch nicht sehr schwer, wenn eine Überwachung auf punktuelle Maßnahmen begrenzt ist. Es wird allerdings bereits dann nicht unerheblich erhöht, wenn punktuelle Maßnahmen über einen längeren Zeitraum hinweg durchgeführt werden.

 b) Einen schwerwiegenden Eingriff begründen jedenfalls Maßnahmen, mit denen der Standort einer Person sowohl im engen Zeittakt als auch über einen längeren Zeitraum hinweg ermittelt werden kann. Dabei können grundsätzlich auch lückenhafte Bewegungsprofile einen schwerwiegenden Eingriff mit hoher Persönlichkeitsrelevanz darstellen. Denn auch durch sie können Verhaltensweisen, Routinen, persönliche Neigungen und Vorlieben relativ zuverlässig überwacht werden.

 2. Die Qualifizierung einer Straftat als besonders schwer muss in der Strafnorm selbst einen objektivierten Ausdruck finden, also insbesondere in deren Strafrahmen und gegebenenfalls in tatbestandlich umschriebenen oder in einem Qualifikationstatbestand enthaltenen Begehungsmerkmalen und Tatfolgen.»

 Zu der für nichtig erklärten Bestimmung des HVSG – § 20a Satz 1 soweit er auf Art. 20a Satz 3 Bezug nimmt – stellt das BVerfG u.a. fest: «§ 20a Satz 3 HVSG [begegnet] auch im Hinblick auf seine Bestimmtheit und Normenklarheit Bedenken. Eine hinreichend bestimmte und normenklare Festlegung, welche Straftaten von der Übermittlungspflicht erfasst sind, ist dem Gesetz auch unter Zugrundelegung der anerkannten Auslegungsmethoden nur schwerlich zu entnehmen (…). So bleibt etwa unklar, was sich der Gesetzgeber unter Straftaten vorgestellt hat, die gegen die Freiheit als solche gerichtet sind.» (Seite 462)

 BVerfG entscheidet, dass gesetzliche Befugnisse des Bundeskriminalamts (BKA) zur Datenerhebung und Datenspeicherung in Teilen verfassungswidrig sind / Der Erste Senat erläutert, dass keine Notwendigkeit besteht, die fraglichen Bestimmungen des BKA-Gesetzes für nichtig zu erklären

 «Im Ergebnis genügen die zulässig angegriffenen Normen den verfassungsrechtlichen Anforderungen teilweise nicht. Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit begründet.

 § 18 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, soweit dieser in Verbindung mit § 13 Abs. 3, § 29 BKAG die Speicherung von Daten durch das Bundeskriminalamt in seiner Funktion als Zentralstelle erlaubt, ist verfassungswidrig, weil es für die Speicherung an der Normierung einer angemessenen Speicherschwelle und ausreichenden Vorgaben zur Speicherdauer fehlt.

 § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKAG ist verfassungswidrig, weil die vorgesehene Eingriffsschwelle nicht den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne genügt.

 Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Vorschriften führt grundsätzlich zu deren Nichtigkeit. Allerdings kann sich das Bundesverfassungsgericht, wie sich aus § 31 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BVerfGG ergibt, auch darauf beschränken, eine verfassungswidrige Norm nur für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären. Es verbleibt dann bei einer bloßen Beanstandung der Verfassungswidrigkeit ohne den Ausspruch der Nichtigkeit. Die Unvereinbarkeitserklärung kann das Bundesverfassungsgericht dabei zugleich mit der Anordnung einer befristeten Fortgeltung der verfassungswidrigen Regelung verbinden. Dies kommt in Betracht, wenn die sofortige Ungültigkeit der zu beanstandenden Norm dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls die Grundlage entziehen würde und eine Abwägung mit den betroffenen Grundrechten ergibt, dass der Eingriff für eine Übergangszeit hinzunehmen ist. Für die Übergangszeit kann das Bundesverfassungsgericht vorläufige Anordnungen treffen, um die Befugnisse der Behörden bis zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustands durch den Gesetzgeber auf das zu reduzieren, was nach Maßgabe dieser Abwägung geboten ist (…).

 2. a) Danach sind § 18 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, soweit dieser in Verbindung mit § 13 Abs. 3, § 29 BKAG die Speicherung von Daten durch das Bundeskriminalamt in seiner Funktion als Zentralstelle erlaubt, sowie § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKAG lediglich für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären. Die Gründe für die Verfassungswidrigkeit dieser Vorschriften betreffen nicht den Kern der mit ihnen eingeräumten Befugnisse, sondern einzelne Aspekte ihrer rechtsstaatlichen Ausgestaltung. Der Gesetzgeber kann in diesen Fällen die verfassungsrechtlichen Beanstandungen nachbessern und damit den Kern der mit den Vorschriften verfolgten Ziele auf verfassungsmäßige Weise verwirklichen.

 Die Unvereinbarkeitserklärung ist mit der Anordnung ihrer vorübergehenden Fortgeltung bis zum Ablauf des 31. Juli 2025 zu verbinden. Angesichts der Bedeutung, die der Gesetzgeber § 18 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 13 Abs. 3, § 29 BKAG für die staatliche Aufgabenwahrnehmung beimessen darf und wegen ihrer Bedeutung für die Verhütung und Verfolgung bestimmter Straftaten durch die Sicherheitsbehörden, ist eine befristete Fortgeltung zu bestimmen. Gleiches gilt für § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKAG wegen der großen Bedeutung einer wirksamen Bekämpfung des internationalen Terrorismus für den freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat.» (Seite 493)

 BVerfG, Erster Senat, befasst sich mit den Befugnissen des Bundesnachrichtendienstes (BND) zur strategischen Inland- Ausland-Fernmeldeaufklärung in Bezug auf internationale Cybergefahren und legt im Einzelnen fest, unter welchen Maßgaben die hier für verfassungswidrig erklärte Bestimmung fortgelten kann

 Unvereinbar mit dem Grundgesetz ist § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 8 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) i.d.F. vom 17. November 2015. Im Tenor der Entscheidung wird festgelegt:

 «3. Bis zu einer Neuregelung, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2026 gilt die für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärte Vorschrift mit der folgenden Maßgabe fort:

 a) Maßnahmen gemäß § 5 Absatz 1 Satz 3 Nummer 8 Artikel 10-Gesetz dürfen nur getroffen werden, wenn durch den Einsatz automatisierter Filter – soweit technisch möglich – dafür gesorgt wird, dass Daten aus rein inländischen Telekommunikationsverkehren herausgefiltert und unverzüglich automatisiert gelöscht werden, und entsprechende Daten, die trotz dieser automatisierten Filterung erhoben werden, unverzüglich gelöscht werden. (…).»

 Das BVerfG stellt seiner Entscheidung folgende Leitsätze voran:

 «1. Die Befugnis zur strategischen Inland-Ausland-Fernmeldeaufklärung in Bezug auf Cybergefahren hat unter den heutigen Bedingungen der Kommunikationstechnik und ihrer Bedeutung für die Kommunikationsbeziehungen eine außerordentliche Reichweite. Das Eingriffsgewicht dieser Befugnis ist nicht mehr zu vergleichen mit demjenigen der Befugnisse, über die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur strategischen Inland-Ausland-Fernmeldeaufklärung im Jahr 1999 zu entscheiden hatte (BVerfGE 100, 313 = EuGRZ 1999, 389), sondern übersteigt dieses deutlich. Zugleich haben sich die Analysemöglichkeiten der Nachrichtendienste weiterentwickelt.

 2. a) Diesem besonders schweren Eingriffsgewicht steht ein überragendes öffentliches Interesse an einer wirksamen Inland- Ausland-Aufklärung gegenüber. Die für die Gewichtung dieses öffentlichen Interesses bedeutsamen Umstände sind sowohl mit Blick auf die grundlegend gewandelte außen- und sicherheitspolitische Lage als auch hinsichtlich der erheblich gesteigerten technologischen Möglichkeiten, auf die bei der Entwicklung von Gefahrenlagen zulasten der staatlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland zurückgegriffen werden kann, ebenfalls nicht mehr mit den damaligen Gegebenheiten (BVerfGE 100, 313 = EuGRZ 1999, 389) vergleichbar.

 b) In der digital transformierten Gesellschaft kann die Gefahr internationaler Cyberangriffe auf die IT-Infrastruktur elementarer Bereiche ein vergleichbares Ausmaß wie die Gefahr eines bewaffneten Angriffs erreichen.

 3. Die Befugnis zur strategischen Inland-Ausland-Aufklärung ist trotz ihres besonders hohen Eingriffsgewichts aufgrund des überragenden öffentlichen Interesses grundsätzlich mit Art. 10 Abs. 1 GG vereinbar, bedarf aber der verhältnismäßigen Ausgestaltung.

 Erforderlich sind danach insbesondere Maßgaben zur Aussonderung der Telekommunikationsdaten aus rein inländischen Telekommunikationsverkehren, die Gewährleistung des Kernbereichsschutzes und Löschungspflichten sowie eine unabhängige objektivrechtliche Kontrolle.» (Seite 517)

 BVerfG, Erster Senat, äußert sich zur Rechtmäßigkeit der Besetzung der Richterbank, speziell dazu, welche Kriterien bei einer Selbstablehnung zu beachten sind / hier: Richter Eifert

 Entscheidungserheblich ist insoweit u.a. die „dienstliche Erklärung“ (vgl. 19 Abs. 3 BVerfGG) des betroffenen Richters. Vorliegend geht es um Äußerungen von Richter Eifert in seiner Eigenschaft als Hochschullehrer an der Humboldt-Universität zum Thema Berliner Hochschulgesetz (Verfassungsbeschwerde jetzt anhängig in seinem Dezernat). Die „dienstliche Erklärung“ vom 18. Juli 2023 hat folgenden Wortlaut:

 «Sehr geehrter Herr Präsident, im o.g. Verfahren wird im Wege der Verfassungsbeschwerde Artikel 1 Nr. 105 des Gesetzes zur Stärkung der Berliner Wissenschaft vom 14.9.2021 (GVBI. für Berlin, 77. Jahrgang, Nr. 70, Seite 1039 (§ 110 Abs. 6 Satz 2 BerlHG) angegriffen. Gerügt wird die Verletzung von Art. 5 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 72 Abs. 1 GG. Das Verfahren war bei meiner Ernennung zum Richter des Bundesverfassungsgerichts bereits in meinem Dezernat anhängig.

 Die angegriffene Regelung verpflichtet die Universitäten dazu, mit promovierten, befristet eingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit bestimmten arbeitsvertraglich festgelegten Qualifikationszielen (u.a. „Habilitation“) eine „Anschlusszusage“ zu vereinbaren. Inhalt der Anschlusszusage ist der Abschluss eines unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses in dem Fall, dass die festgelegten wissenschaftlichen Leistungen erbracht wurden und die sonstigen Einstellungsvoraussetzungen vorliegen. Die Regelung betrifft damit die arbeitsrechtliche Stellung der erfassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die personellen Dispositionsmöglichkeiten der Universitäten sowie ihrer Mitglieder, denen entsprechende Stellen zugeordnet sind.

 In diesem Verfahren möchte ich Umstände anzeigen, die geeignet sein könnten, an meiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln und eine Besorgnis meiner Befangenheit zu begründen.

 Als Universitätsprofessor bin ich Mitglied der beschwerdeführenden (…) Universität (…). An meinem Lehrstuhl ist ein promovierter, befristet eingestellter Mitarbeiter beschäftigt, so dass dessen Arbeitsverhältnis und meine Dispositionsmöglichkeiten über Mitarbeiterstellen von der Regelung unmittelbar betroffen sind. Nach Erlass der Vorschrift habe ich hochschulund fakultätsintern deutlich meine kritische verfassungsrechtliche Position markiert und mit dem seinerzeitigen Vizepräsidenten (…) sowie dem jetzt im parallelen Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin Bevollmächtigten in einer Telefonkonferenz über die Erfolgsaussichten einer möglichen Verfassungsbeschwerde beraten und dabei die klare verfassungsrechtliche Position bezogen, dass die Regelung die Wissenschaftsfreiheit verletze.»

 Der Senat kommt zu dem Ergebnis: «2. Der von Richter Eifert in seiner dienstlichen Erklärung vom 18. Juli 2023 mitgeteilte Sachverhalt begründet die Besorgnis seiner Befangenheit.» (Seite 539)

 Zum Thema Resilienz des BVerfG s. die Stellungnahme des Plenums des BVerfG zu möglichen Änderungen der gesetzlichen Vorschriften über das Bundesverfassungsgericht (Seite 543)

 BVerfG verhindert im Wege der einstweiligen Anordnung das Exequatur für die Vollstreckung einer in Ungarn verhängten Freiheitsstrafe (Seite 544)