EuGRZ 2018 |
18.April 2018
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45 Jg. Heft 5-8
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Informatorische Zusammenfassung
Christian Tomuschat, Berlin, behandelt „Wohlfahrtsziele auf Weltebene / Das Recht auf Wohnung in der Rechtsprechung nach dem UN-Sozialpakt“
«Von Anfang an bestand eine Diskrepanz zwischen den beiden Weltpakten hinsichtlich ihrer Durchsetzungsmodalitäten. Beide Rechtsinstrumente sehen als Hauptmodalität der Erfüllungskontrolle die Überprüfung von Staatenberichten vor. Eine Individualbeschwerde war allerdings nur für den IPBPR vorgesehen, auch nicht im Vertragstext selbst, sondern nur über den Umweg eines Fakultativprotokolls vom gleichen Tage wie der IPBPR selbst (19. Dezember 1966). Für den IPWSKR hatten die Vertragsparteien einen solchen Verfahrensweg nicht eingeführt, weil sie der Auffassung waren, dass eine Individualbeschwerde sich zur Durchsetzung der Rechte der 2. Generation nicht eigne, da solche Rechte aktive Leistungen der Staaten voraussetzten, die mit einem Beschwerdeverfahren nicht hervorgebracht werden könnten, während sich andererseits Eingriffe in Freiheitsrechte relativ umstandslos durch ein solches Verfahren abwehren ließen.
Dieser schlichte Gedankengang wurde von vielen Verfechtern einer Stärkung der sozialen Rechte nicht geteilt. Es setzten daher Bestrebungen ein, zur Herstellung echter Gleichwertigkeit auch dem IPWSKR ein Individualbeschwerdeverfahren beizugeben. Im Jahre 2008 führten diese Bemühungen schließlich zum Erfolg. Am 10. Dezember 2008, also auf den Tag genau 60 Jahre nach der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, nahm die UN-Generalversammlung im Konsensus-Verfahren, also ohne förmliche Abstimmung, das Fakultativprotokoll mit ihrer Resolution 63/117 an. (…)
Wesentlich ist allerdings auch hier, dass lediglich eine Bemühensverpflichtung festgelegt wird. (…)
Im Laufe der Jahre hat sich allerdings der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSKR-Ausschuss) zunehmend auf eine Interpretation zubewegt, welche jeden Unterschied zwischen den Rechten aus den beiden Weltpakten leugnet. Es ist mittlerweile eine ständige Forderung des Ausschusses, die Vertragsstaaten sollten die Rechte des IPWSKR in gleicher Weise justitiabel und unmittelbar anwendbar machen wie die Rechte des IPBPR. Dieses Bestreben ist aus einer Perspektive des Menschenrechtsaktivismus durchaus verständlich. Aber es ist nicht geeignet, das Vertrauen auf die Entwicklung des Paktes durch den WSKR-Ausschuss zu stärken.»
Zu den im Fall Ben Djazia festgestellten Verletzungen der Art. 11 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs 1 und Art. 10 Abs. 1 des Sozialpaktes [dt. Übers. unten S. 135] hält der Autor u.a. fest: «Einerseits wird Spanien aufgegeben, den Bf. angemessenen Wohnraum zu verschaffen, sollten sie im Zeitpunkt des Erlasses seiner Entscheidung noch obdachlos sein; im Übrigen sollen sie Wiedergutmachung für den von ihnen erlittenen Schaden erhalten, einschließlich Erstattung der Kosten für die von ihnen betriebene Rechtsverfolgung. Eine solche Tenorierung wäre undenkbar, wenn es sich bei dem Recht auf Wohnung nach Art. 11 Abs. 1 IPWSKR nicht um ein echtes subjektives Recht handeln würde.»
Abschließend gibt Tomuschat zu bedenken: «In einer Gerechtigkeitsperspektive möchte man der Entscheidung des WSKR-Ausschusses gerne zustimmen, obwohl der Fall Hintergründe persönlicher Art aufzeigt (Verhalten des Bf.), denen der Ausschuss nicht näher nachgegangen ist, ja deren Berücksichtigung er sogar ausdrücklich verwirft (§ 17.2). Aber dem Grundsatzproblem der Zulässigkeit von Beschwerden nach dem Fakultativprotokoll hat sich der Ausschuss nicht gestellt. Die Entscheidung Ben Djazia kann so gelesen werden, als ermächtige sie einen jeden, bei einem angenommenen Missstand hinsichtlich eines sozialen Wohlfahrtsrechtes den WSKR-Ausschuss anzurufen, um eine Nachprüfung nicht nur seiner persönlichen Situation, sondern auch sämtlicher Rahmenbedingungen des angeblich verletzten Rechts zu fordern. Welche weiterreichenden Auswirkungen sich aus diesem Ansatz ergeben, lässt sich im Augenblick nicht überblicken, kann aber bei den verantwortlichen staatlichen Instanzen eine gewisse Beunruhigung hervorrufen. Es muss die Aufgabe des WSKR-Ausschusses sein, sich um die notwendigen Klärungen zu bemühen und im Interesse der Rechtssicherheit genauere Kriterien zu erarbeiten, die es gestatten könnten, den Kreis der potentiell Beschwerdeberechtigten in sachgerechter Weise einzugrenzen. (…) Das primäre Instrument zur rechtlichen Würdigung solcher Gesamtlagen sollte die Prüfung der Staatenberichte sein, wo noch eine erheblich stärkere und effizientere Leistung erbracht werden könnte.» (Seite 121)
Arne Pilniok, Hamburg, prüft in einer Anfangsbilanz detailliert „Die Europäische Bürgerinitiative zwischen Legitimationserwartungen und institutioneller Praxis“ und sieht darin einen „Beitrag zum Recht auf Beteiligung am demokratischen Leben der Union“
«Der Europäischen Bürgerinitiative kommt jedenfalls normativ eine Pionierfunktion bei der Ausgestaltung einer supranationalen Demokratie zu, die nicht ausschließlich auf ein repräsentatives System gestützt werden kann. Sie hat insoweit zweifelsohne einen experimentellen Charakter. Die Verfassungspraxis der letzten Jahre lässt einen gemischten Eindruck entstehen. Die Zahl der angestrengten Bürgerinitiativen bringt die Motivation zur bürgerschaftlichen Beteiligung an der demokratischen Herrschaft in der Europäischen Union zum Ausdruck. Demgegenüber verweist die geringe Zahl der erfolgreichen Initiativen auf deren rechtliche wie organisatorische Schwierigkeiten. Insbesondere hat es seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon noch keine Initiative bis in den acquis communautaire geschafft. Wenn allgemein von einer „Entzauberung der partizipativen Demokratie“ gesprochen wird, umschreibt dies im Ansatz zutreffend, dass es keine problemlose zusätzliche Legitimation durch Beteiligung geben kann, wie manche Großformeln es nahelegen. So wie die repräsentative Demokratie für die Abgeordneten nicht nur in glanzvollen Plenardebatten, sondern in der mühevollen Kleinarbeit in Fraktionen und Ausschüssen besteht, gilt dies auch für die partizipative Demokratie.
Die Verwirklichungschancen der bürgerschaftlichen Beteiligung an der Rechtsetzung der Union hängen entscheidend von deren sekundärrechtlicher Ausgestaltung ab. Primärrechtlich ist insoweit durchaus ein weiter Rahmen gesteckt. Darin erscheint die Bürgerinitiative und ihre Reform als Sinnbild für die Arbeit der Union und insbesondere der Kommission insgesamt. Detaillierte Regulierung und eine weitgehende Entpolitisierung durch Verrechtlichung lassen sich hier im Lichte der vorhergehenden Analysen als nichtintendierte Nebenfolgen der Ausgestaltung festhalten. Dabei haben das Europäische Gericht und – bisher nur in einem Fall – der Europäische Gerichtshof durch mehrere Entscheidungen den Zugang zur Europäischen Bürgerinitiative erleichtert. Gleichzeitig ist im Rechtsrahmen – wie in vielen europäischen Rechtsakten – bereits eine periodische Revision angelegt. Daher steht eine Reform mit den skizzierten Schwerpunkten von Haftungserleichterungen für die Organisatoren, ihrer Entlastung bei den notwendigen Übersetzungen sowie einer Erleichterung der Online-Sammlung von Unterstützungsbekundungen derzeit auf der Agenda. Allerdings sind durch die erstmalige Ausgestaltung erhebliche Festlegungen wie die Anknüpfung an das Initiativrecht der Kommission und die zweistufige Struktur mit vorgeschalteter Registrierung entstanden, von denen insbesondere die Kommission nicht ohne Weiteres abrücken mag. Die Normen, die bei den gerichtlichen Verfahren im Mittelpunkt standen, bleiben unisono nahezu unverändert. Insofern ist nur mit einer behutsamen Fortentwicklung des Rechtsrahmens zu rechnen. Von daher ist differenziert zu betrachten, was die Europäische Bürgerinitiative zur demokratischen Legitimation der Union unter den Rahmenbedingungen der Reform ihrer sekundärrechtlichen Ausgestaltung und ihrer andauernden justiziellen Ausformung beitragen kann.» (Seite 126)
UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-AWSKR), Genf, stellt Verletzung des Rechts auf Wohnung fest (Art. 11 Abs. 1 einzeln und i.V.m. Art. 2 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 Sozialpakt) / Mohamed Ben Djazia und Naouel Bellili gegen Spanien
Grundsätzlich heißt es in der Entscheidung: «Das Menschenrecht auf angemessene Wohnung ist ein fundamentales Recht mit zentraler Bedeutung für alle wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, das unauflösbar mit anderen Menschenrechten verbunden ist, einschließlich der im Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte niedergelegten Rechte. Das Recht auf Wohnung sollte für alle Menschen gewährleistet werden, unabhängig von Einkommen oder Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen, und die Vertragsstaaten sollten alle notwendigen Maßnahmen treffen, um die volle Verwirklichung dieses Rechts nach dem Höchstmaß ihrer verfügbaren Ressourcen zu erreichen.
Alle Menschen sollten einen Grad von Bestandsschutz genießen, der ihnen rechtlichen Schutz gegen Zwangsräumung bietet, gegen Belästigung und andere Bedrohungen. Diese Gewährleistung gilt auch für Personen in einer Mietwohnung, sei sie privat oder öffentlich; solche Personen sollten das Recht auf Wohnung in Anspruch nehmen können, auch wenn der Mietvertrag ausläuft. (…)
Insbesondere sollten Zwangsräumungen Menschen nicht obdachlos machen. Soweit die Betroffenen nicht die Mittel haben, sich anderweitigen Wohnraum zu verschaffen, müssen die Staaten alle geeigneten Maßnahmen treffen, um wenn möglich sicherzustellen, dass angemessener alternativer Wohnraum, Umsiedlung oder Zugang zu nutzbarem Land je nach den Umständen verfügbar ist.»
Im konkreten Fall wird Spanien aufgegeben: «Dem Vertragsstaat obliegt die Verpflichtung, für die Bf. effektive Abhilfe zu schaffen, insbesondere (a) für den Fall, dass die Bf. keine angemessene Unterbringung haben, ihre gegenwärtige Lage zu überprüfen und ihnen nach einer echten Konsultation öffentlichen Wohnraum zuzuweisen oder andere Maßnahmen zu ergreifen, die sie in die Lage versetzen, eine angemessene Unterbringung in Anspruch zu nehmen, unter Berücksichtigung der in den vorliegenden Auffassungen niedergelegten Kriterien; (b) den Bf. finanziellen Ausgleich für die von ihnen erlittenen Verletzungen zu gewähren; und (c) den Bf. die von ihnen vernünftigerweise aufgewandten Kosten für die Verfolgung der Mitteilung zu erstatten.» (Seite 135)
Siehe hierzu den Aufsatz von Christian Tomuschat, Wohlfahrtsziele auf Weltebene / Das Recht auf Wohnung in der Rechtsprechung nach dem UN-Sozialpakt, EuGRZ 2018, 121 (in diesem Heft).
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Straßburg, beanstandet das Unterbleiben effektiver Ermittlungen nach einem Polizeieinsatz mit Schlagstöcken und Pfefferspray in einem Fußballstadion wegen fehlender individualisierender Kennzeichnung behelmter Polizisten / Hentschel und Stark gegen Deutschland
Der erste Bf. behauptet, beim Verlassen des Stadions von Polizeibeamten ohne Vorwarnung mit Schlagstöcken attackiert worden zu sein und eine 3 cm lange blutende Platzwunde am Kopf erlitten zu haben, der zweite Bf. behauptet, aus kurzer Distanz Pfefferspray ins Gesicht gesprüht bekommen zu haben. Beide Bf. hätten ihre Angreifer als Polizeibeamte identifizieren können, seien jedoch nicht in der Lage gewesen, sie zu unterscheiden, da sie identische Uniformen ohne Kennzeichnung oder Namensschilder getragen hätten.
Der EGMR kritisiert u.a., dass das vorhandene Videomaterial den ermittelnden Beamten nur in Auszügen gezeigt wurde, dass nicht dargelegt wurde, wann und von wem das übrige Videomaterial gelöscht wurde, sowie schließlich, dass die tätig gewordenen Videobeamten nicht als unabhängig angesehen werden können, wenn es um Ermittlungen geht, die Vorwürfe der Polizeigewalt durch Mitglieder ihrer eigenen Einheit betreffen.
Der EGMR gelangt zu dem Ergebnis, dass Art. 3 EMRK (Verbot der Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) in verfahrensrechtlicher Hinsicht verletzt wurde: «Der Gerichtshof erinnert daran, dass ein Ermittlungsmangel, der verhindert, dass der Sachverhalt oder die Identität der Verantwortlichen festgestellt werden kann, die Gefahr birgt, dass das nach Art. 3 in verfahrensrechtlicher Hinsicht erforderliche Maß an Effektivität nicht erreicht wird (…). In der vorliegenden Rechtssache ist er der Ansicht, dass etwa die Sicherung und Auswertung des Original-Videomaterials durch eine unabhängige Behörde oder die Befragung weiterer Mitglieder der eingesetzten USK-Einheiten oder Zeugen, etwa des Rettungsassistenten, der den ersten Bf. in der Nähe des Stadions behandelt haben soll, möglicherweise hätte klären können, was sich nach dem Fußballspiel am 9. Dezember 2007 in München ereignete, welche Ursache die Verletzungen der Bf. hatten und was es mit den behaupteten Misshandlungen durch Polizeibeamte auf sich hatte. Da diese offensichtlichen Ermittlungsansätze nicht umfassend verfolgt wurden, stellt der Gerichtshof fest, dass die fehlende Kennzeichnung der behelmten Beamten und die daraus resultierenden Schwierigkeiten durch die anschließenden Ermittlungen nicht hinreichend ausgeglichen wurden.» (Seite 142)
Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), Luxemburg, sieht in der vorübergehenden Kürzung von Richterbezügen (zwei Jahre) im Rahmen allgemeiner haushaltspolitischer Sparmaßnahmen in Portugal keine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit / Rs. ASJP
«Die Maßnahmen richteten sich also nicht speziell gegen die Mitglieder des Tribunal de Contas (Rechnungshof). Es handelte sich vielmehr um allgemeine Maßnahmen, mit denen dem gesamten nationalen öffentlichen Dienst ein Beitrag zu den Einsparungen abverlangt wurde, die zum Abbau des übermäßigen Haushaltsdefizits des portugiesischen Staates erforderlich waren.» (Seite 154)
EuGH erklärt Schiedsgerichtsbarkeit zum Investitionsschutz im Rahmen eines internationalen Abkommens für mit Art. 267 und 344 AEUV unvereinbar / Rs. Achmea BV
Ein solches Schiedsgericht sei kein Gericht „eines Mitgliedstaats“. (Seite 159)
EuGH klärt gerichtliche Zuständigkeiten in Verbraucherschutzsachen / Rs. Schrems gegen Facebook Ireland
«Art. 15 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (…) ist dahin auszulegen, dass ein Nutzer eines privaten Facebook-Kontos die Verbrauchereigenschaft im Sinne dieses Artikels nicht verliert, wenn er Bücher publiziert, Vorträge hält, Websites betreibt, Spenden sammelt und sich die Ansprüche zahlreicher Verbraucher abtreten lässt, um sie gerichtlich geltend zu machen.» Das bedeutet, der Nutzer kann die Gerichte an seinem Wohnsitz (hier: in Wien) anrufen.
Für Klagen hingegen, mit denen der Verbraucher nicht nur seine eigenen Ansprüche geltend macht, sondern auch Ansprüche, die von anderen Verbrauchern mit Wohnsitz im gleichen Mitgliedstaat, in anderen Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten abgetreten wurden, sind die Gerichte am Sitz der beklagten Firma zuständig (hier also: Irland). (Seite 164)
EuGH verneint die Zulässigkeit projektiver Persönlichkeitstests zur Feststellung der sexuellen Orientierung (hier: Homosexualität) von Asylbewerbern / Rs. F
Maßgebend ist Art. 7 GRCh (Achtung des Privat- und Familienlebens). (Seite 168)
EuGH zu den verfahrensrechtlichen Folgen der illegalen Wiedereinreise eines Drittstaatsangehörigen nach Überstellung in den Staat der ersten Einreise / Rs. Hasan
Fristen und Zuständigkeiten im Rahmen der Dublin-III-Verordnung. (Seite 173)
EuGH präzisiert in drei Italien betreffenden Verfahren Kriterien für Einschränkungen des Grundsatzes ne bis in idem bei Kumulierung verwaltungsrechtlicher und strafrechtlicher Sanktionen im Zusammenhang mit Mehrwertsteuer-Delikten
• In der Rs. Menci geht es um Ziele des Gemeinwohls, Vorhersehbarkeit und Begrenzung der Maßnahmen insgesamt auf das zwingend Erforderliche. (Seite 181)
• In der Rs. Garlsson Real Estate steht die Ahndung von Marktmanipulationen im Vordergrund. Hier bedarf die italienische Regelung der Überprüfung auf Verhältnismäßigkeit. (Seite 187)
• In den verb. Rsn. Di Puma und Zecca betont der EuGH den Grundsatz der Rechtskraft eines strafrechtlichen Freispruchs. Danach verhindert das Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem) die Fortsetzung eines verwaltungsrechtlichen Bußgeldverfahrens wegen eines in einem Strafverfahren erfolgten rechtskräftigen Freispruchs. (Seite 193)
Gericht der Europäischen Union (EuG), Luxemburg, bestätigt die Ablehnung der Eintragung von „La Mafia“ als Unionsmarke / Rs. La Mafia Franchises
Der Hinweis auf eine kriminelle Vereinigung fällt unter das absolute Eintragungshindernis des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten. (Seite 197)
Schweizerisches Bundesgericht (BGer), Lausanne, erklärt die Eingrenzung von weggewiesenen ausländischen Personen auf einen bestimmten Aufenthaltsrayon für zulässig
Dies kann auch dann verfügt werden, wenn zwar keine zwangsweise Ausschaffung, wohl aber eine freiwillige Rückkehr in das Heimatland möglich ist. (Seite 202)
BGer bekräftigt den Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht
Danach darf die Schulbehörde von den Eltern keinen Kostenbeitrag für Pflicht-Sprachkurse verlangen. Bei obligatorischen Exkursionen und Schullagern dürfen nur die von den Eltern gesparten Verpflegungskosten verlangt werden. (Seite 206)
Österreichischer Verfassungsgerichtshof (VfGH), Wien, hebt die gesetzliche Trennung der Rechtsinstitute der Ehe und der eingetragenen Partnerschaft als diskriminierend und deshalb verfassungswidrig auf
«Denn auf diese Weise wird aus der Perspektive gleichgeschlechtlicher Paare mit dem unterschiedlichen Rechtsinstitut öffentlich und für jede Person deutlich gemacht, dass die von der eingetragenen Partnerschaft erfasste Beziehung zwischen zwei Personen gleichen Geschlechts etwas anderes ist als die Ehe zwischen Personen verschiedenen Geschlechts, obwohl beide Beziehungen intentional von den gleichen Werten getragen sind. Die Trennung in zwei Rechtsinstitute bringt somit – auch bei gleicher rechtlicher Ausgestaltung – zum Ausdruck, dass Personen mit gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung nicht gleich den Personen mit verschiedengeschlechtlicher Orientierung sind. Die damit verursachte diskriminierende Wirkung zeigt sich darin, dass durch die unterschiedliche Bezeichnung des Familienstandes („verheiratet“ versus „in eingetragener Partnerschaft lebend“) Personen in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft auch in Zusammenhängen, in denen die sexuelle Orientierung keinerlei Rolle spielt und spielen darf, diese offen legen müssen und, insbesondere auch vor dem historischen Hintergrund, Gefahr laufen, diskriminiert zu werden. Vor solchen Wirkungen will Art. 7 Abs. 1 Satz 2 B-VG in besonderer Weise schützen.» (Seite 210)
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Karlsruhe, verneint ein „Recht auf Gegenschlag“ staatlicher Organe gegenüber unsachlichen und diffamierenden Angriffen (hier: der AfD mit dem Versammlungsmotto: Rote Karte für Merkel – Asyl braucht Grenzen)
Der Zweite Senat des BVerfG betont: «Die negative Bewertung einer politischen Veranstaltung durch staatliche Organe, die geeignet ist, abschreckende Wirkung zu entfalten und dadurch das Verhalten potentieller Veranstaltungsteilnehmer zu beeinflussen, greift in das Recht der betroffenen Partei auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ein.»
Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Johanna Wanka, hatte in einer Pressemitteilung auf der Homepage ihres Ministeriums u.a. entgegnet: «Die rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden …» (Seite 215)
BVerfG qualifiziert die Verurteilung eines Verlags zum Abdruck einer Gegendarstellung auf der Titelseite einer Zeitschrift (Woche der Frau) als Verletzung der Pressefreiheit
Die offene Aufmacherfrage („J. – Sterbedrama um seinen besten Freund – Hätte er ihn damals retten können?“), die der Anlass zu der Verurteilung war, sei keine Tatsachenbehauptung. Auf andere presserechtliche Instrumente zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird hingewiesen. (Seite 223)
BVerfG sieht die Kritik an vermeintlichen Missständen bei der Aufarbeitung der DDR-Diktatur von der Pressefreiheit geschützt
Deshalb sei die Kritik an einem Rehabilitationsbeschluss des LG Berlin keine strafrechtlich zu ahndende Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. (Seite 226)
BVerfG beanstandet die unangemessene Höhe der von den Strafgefangenen zu entrichtenden Telefongebühren in einer Justizvollzugsanstalt in Schleswig-Holstein
«Indem das Oberlandesgericht die Frage der Angemessenheit der in Rede stehenden Tarife ausdrücklich offen gelassen hat, hat es die finanziellen Interessen des Beschwerdeführers missachtet und ihn dadurch in seinem Grundrecht auf Resozialisierung verletzt. Das Gericht hat insoweit verkannt, dass der geltend gemachte Anspruch auf Anpassung der Telefongebühren nicht mit dem Hinweis auf eine Vertragsbindung im Verhältnis zu dem Anbieter abgelehnt werden konnte.»
Der Bf. hatte geltend gemacht, die JVA habe durch die neuerdings geltenden Telefontarife eine Fürsorgepflichtverletzung begangen, da es andere Anbieter gebe, die bis zu 50 % günstiger seien. (Seite 229)
Verhaltensrichtlinien für Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts – unterzeichnet von den im November 2017 amtierenden Mitgliedern des Gerichts
In der 16 Punkte umfassenden Erklärung heißt es u.a.: «Die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts können für Vorträge, für die Mitwirkung an Veranstaltungen und für Publikationen eine Vergütung nur und nur insoweit entgegennehmen, als dies das Ansehen des Gerichts nicht beeinträchtigen und keine Zweifel an der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Integrität seiner Mitglieder begründen kann. Dadurch erzielte Einkünfte legen sie offen.»
Das Gericht macht in der abschließenden Ziff. 16 deutlich, dass sich das Plenum regelmäßig mit der Fortentwicklung der Verhaltensleitlinien befassen wird. (Seite 231)
BVerfG reagiert energisch auf die Nichtbefolgung einer einstweiligen Anordnung vom 24. März 2018 betr. die Durchführung einer Wahlkampfveranstaltung der NPD am selben Tage in einer Stadthalle
In einer Pressemitteilung vom 26. März 2018 wird dargelegt: «Das Bundesverfassungsgericht hat die zuständige Kommunalaufsichtsbehörde deswegen aufgefordert, den Vorfall aufzuklären, notwendige aufsichtsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen und das Gericht unverzüglich davon zu unterrichten. Der Ministerpräsident, der Innen- und der Justizminister des Landes sowie der Oberbürgermeister der Stadt sind über das Schreiben informiert worden.» (Seite 232)
BVerfG – Übersicht über die im Jahr 2018 u.a. zur Entscheidung anstehenden Verfahren. (Seite 232)