EuGRZ 2018 |
28. Februar 2018
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45 Jg. Heft 1-4
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Informatorische Zusammenfassung
Gerhart Holzinger, Wien, würdigt den österreichischen Verfassungsgerichtshof als Bewahrer der Grundrechte
Der richterliche Grundrechtsschutz in Österreich geht zurück auf die Dezemberverfassung des monarchischen Staates von 1867, die einen genuin österreichischen Grundrechtskatalog enthielt und ein Reichsgericht u.a. zu dessen Durchsetzung etablierte. Die republikanische Verfassung von 1920 errichtete den Verfassungsgerichtshof (VfGH), der 1933 zum Schweigen gebracht wurde und erst 1946 seine Arbeit wieder aufnahm.
Der Autor, der ab 1995 Richter und 2008 bis 2017 Präsident des VfGH war, sieht in der EMRK einen Katalysator für die Rechtsprechung des VfGH:
«Bei der Auslegung und Anwendung der EMRK folgt der VfGH grundsätzlich der Rechtsanschauung des EGMR, und zwar unabhängig davon, ob dessen Urteile Österreich betreffen oder einen anderen Konventionsstaat. (...)
Rein äußerlich zeigt sich diese qualifizierte Verbundenheit des VfGH mit der EMRK und dem EGMR darin, dass in zahlreichen Entscheidungen des VfGH auf die EMRK und die entsprechende Judikatur des EGMR Bezug genommen wird. Selbst dort, wo ein und dieselbe grundrechtliche Gewährleistung „parallel“ sowohl im österreichischen Verfassungsrecht, etwa im StGG 1867, als auch in der EMRK verankert ist, zieht der VfGH in erster Linie die EMRK heran; so etwa in Entscheidungen zum Vereins- und Versammlungsrecht.
In der Sache selbst ist der VfGH grundsätzlich bereit, Sachverhalte, die in den Geltungsbereich der EMRK fallen, im Sinne der Judikatur des EGMR, also gleichsam „durch dessen Brille“, zu beurteilen. Dies selbst dann, wenn der VfGH in seiner früheren Rechtsprechung einen anderen Standpunkt vertreten hatte.»
Der Beitrag vertieft sodann eine Reihe von Beispielen, bei denen der VfGH dem EGMR gefolgt ist, aber auch Fälle eines erfolgreich geführten Rechtsprechungsdialogs, in dem sich der VfGH gegenüber dem EGMR am Ende durchgesetzt hat.
Abschließend unterstreicht Holzinger die Konstitutionalisierung der Grundrechtecharta der EU durch den VfGH 2012 und geht auf aktuelle Herausforderungen ein: «Umso bedauerlicher ist es daher, dass es um die Akzeptanz der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR nicht überall gut bestellt ist. (...) Auch darüber hinaus scheint der EGMR in eine immer schwierigere Lage zu geraten. Dies zum einen wegen der zunehmend prekären budgetären Situation des Europarates infolge der Einstellung bzw. Herabsetzung der russischen und türkischen Beitragsleistungen und zum anderen wegen der Schwierigkeiten mancher Konventionsstaaten, für die Stellen der Richter des EGMR entsprechend qualifizierte Persönlichkeiten namhaft zu machen.» (Seite 1)
Klaus Ferdinand Gärditz, Bonn, unterzieht „Sicherheitsverfassungsrecht und technische Aufklärung durch Nachrichtendienste“ einer differenzierenden Bewertung
Ausgangspunkt der Untersuchung des sicherheitsverfassungsrechtlichen Koordinatensystems des Nachrichtendienstrechts bildet das Urteil des Ersten Senats des BVerfG zum Gesetz über das Bundeskriminalamt (BKAG) vom April 2016 (EuGRZ 2016, 149-189): «Insgesamt ist die Entscheidung nach Duktus, Anspruch und Gegenstandsspezifität das vielleicht deutlichste Indiz, dass sich allmählich eine eigene – vom geschriebenen Verfassungsrecht emanzipierte und letztlich allein auf Erwägungen der Verhältnismäßigkeit gründende – Sicherheitsverfassung ausdifferenziert. Das Risiko solcher Sonderdogmatiken besteht vor allem darin, dass sie sich besonders leicht von allgemeinen Grundsätzen abkoppeln und verselbstständigen. Obgleich das BVerfG seine Erwägungen sehr abstrakt und grundsätzlich abgefasst hat, bleibt zweifelhaft, ob sich die formulierten Anforderungen inhaltlich auf den Bereich der nachrichtendienstlichen Aufklärung übertragen lassen. Hiergegen sprechen sowohl systematische als auch inhaltliche Gründe.»
Vorbehalte gegen Transfers nachrichtendienstlicher Informationen an Polizeibehörden ergeben sich aus einer vertieften Differenzierung zwischen beiden Strukturen. Sodann verneint der Autor die Frage, ob „Heimlichkeit des Eingriffs“ eine übergreifende kategorielle Klammer darstellen könnte. Zur Berücksichtigung von Eingriffsfolgen gehört die Tatsache, dass Nachrichtendienste im Unterschied zu Polizeibehörden über keine Zwangsbefugnisse verfügen. Sonderprobleme in der Rechtsprechung zur technischen Überwachung wie Online-Durchsuchung und Vorratsdatenspeicherung mit ihrer unionsrechtlichen Dimension werden ebenso erörtert wie Probleme eines etwaigen Richtervorbehalts bei nachrichtendienstlicher Vorfeldaufklärung bzw. längerfristiger Observation.
Als kritischer Problembereich verbleibt der Datentransfer: «Insgesamt erweist sich das Modell elastischer Kooperation im Sicherheitsbereich, das das BVerfG entwickelt hat, als ausgewogen, weil es einerseits Datentransfers zwischen Nachrichtendiensten und anderen Sicherheitsbehörden rechtsstaatlich einhegt, andererseits aber einem – im gemeinsamen Sicherheitsauftrag angelegten – Transfer keine unpraktikablen Hürden entgegenstellt.»
In der Summe formuliert Gärditz u.a. folgende Kritik und Perspektiven: «Ausgehend vom Volkszählungsurteil hat eine beständige justizielle Verfeinerung des grundrechtlichen Datenschutzniveaus stattgefunden, die auch das Nachrichtendienstrecht erfasst hat. Ungeachtet der Notwendigkeit, die sicherheitsverfassungsrechtlichen Dogmen im Bereich des Nachrichtendienstrechts besser auf die Funktionsbedingungen heimlicher, aber zwangsfreier Vorfeldermittlung auszutarieren, erscheint ganz allgemein eine realistischere Einstellung zum Datenschutz in einer digitalisierten Welt geboten, in der die Vulnerabilität erheblich zugenommen hat, also nicht nur neue Überwachungsrisiken, sondern auch neue Schutzbedürfnisse bestehen, und in der staatliche Sicherheitsbehörden nicht die größte Bedrohung darstellen. Bei ubiquitärer digitaler Wahrnehmbarkeit sollten die Empfindlichkeitsschwellen dem Zeitkontext angepasst und eher gesenkt werden. Zwischenzeitlich sind auch zahlreiche neue Bedrohungslagen entstanden; die Kerndogmatiken des Sicherheitsverfassungsrechts fußen immer noch auf Fundamenten, die in den 1980er und 1990er Jahren errichtet wurden. Im Vergleich zu den heutigen Bedrohungsszenarien waren dies sicherheitspolitisch harmonische Zeiten. Das BVerfG will das Sicherheitsverfassungsrecht durchaus glaubwürdig an neue Bedrohungen anpassen und auf der Höhe der Zeit halten. Es argumentiert aber teilweise in der anachronistischen Semantik des Volkszählungsurteils aus dem Jahr 1983, als wir uns von der staatlichen Lochkarte bedroht wähnten.
Auf der Rechtsprechung des BVerfG hat sich seitdem eine dicke mentale Staubschicht angesammelt, die partiell abgetragen und durch adäquatere Konzepte ersetzt werden muss. Insoweit bietet das Nachrichtendienstrecht auch eine Chance, die Koordinaten datenschutzrechtlicher Konstitutionalisierung problemadäquater zu balancieren, gerade weil durch die fehlenden Zwangsmaßnahmen erhebliches Potential besteht, grundrechtliche Verschonungs- und öffentliche Sicherheitsinteressen angemessen auszugleichen.» (Seite 6)
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Straßburg, wertet die von der Staatsanwaltschaft betriebene Offenlegung der Bankkonten eines Strafverteidigers und die dem Bf. verheimlichte Aufnahme von Bankdaten in die Verfahrensakten bei nur vagem Verdacht als unverhältnismäßigen Eingriff in das Anwaltsgeheimnis und demzufolge als Verletzung von Art. 8 EMRK / Sommer gegen Deutschland
«Im Hinblick auf den Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache nimmt der Gerichtshof zunächst den weitreichenden Umfang der Auskunftsersuchen der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis, die Informationen zu sämtlichen Transaktionen im Zusammenhang mit dem Geschäftskonto des Bf. über einen Zeitraum von über zwei Jahren sowie Informationen über weitere, möglicherweise private Bankkonten des Bf. betrafen. Er stimmt mit dem Bf. darin überein, dass die von der Bank erteilten Auskünfte dem Staatsanwalt und der Polizei einen umfassenden Überblick über seine berufliche Tätigkeit in dem betreffenden Zeitraum ermöglichte und ihnen darüber hinaus Aufschluss über seine Mandanten gab. Der Gerichtshof ist ebenfalls der Auffassung, dass der Eingriff dadurch schwerwiegender wurde, dass Auszüge der Informationen in die Verfahrensakten aufgenommen und anderen Personen zur Verfügung gestellt wurden. Die Tatsache, dass nur 53 Transaktionen als relevant angesehen und in die Verfahrensakten aufgenommen wurden und dass das Landgericht den Zugriff auf die entsprechenden Teile der Verfahrensakten später beschränkte, konnte dem bereits bestehenden Eingriff nicht abhelfen, sondern lediglich seine Schwere begrenzen. Zusammenfassend kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Auskunftsersuchen lediglich in Bezug auf den in Rede stehenden Zeitraum begrenzt waren, ansonsten aber sämtliche Informationen über das Bankkonto und die Banktransaktionen des Bf. betrafen.»
Gegen einen Mandanten des Bf. und dessen Verlobte sowie andere Personen wurde wegen bandenmäßigen Betruges ermittelt. Die Verlobte dieses Mandanten hatte 7.400,– Euro erhalten und dem Bf. 1.500,- Euro Anwaltsgebühren von ihrem Konto überwiesen. Die Staatsanwaltschaft hegte den Verdacht, dass es sich um aus der Straftat stammende Gelder habe handeln können. Der Gerichtshof wertete den Verdacht als «eher vage und unbestimmt». (Seite 23)
Gerichtshof der Europäischen Union, (EuGH, Große Kammer), Luxemburg, beanstandet die kürzeren Verjährungsfristen bei Mehrwertsteuerstraftaten zum Nachteil der Union gegenüber jenen bei Straftaten zum Nachteil des italienischen Staates und fordert in Anbetracht der Einwände des italienischen Verfassungsgerichtshofs den Gesetzgeber zur Abhilfe auf / Rs. M.A.S. und M.B.
Bei den Straftaten handelt es sich um bandenmäßigen Schmuggel ausländischer Tabakwaren. Der EuGH resümiert das Problem: «Im Ausgangsverfahren stellt sich nach Ansicht der Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) die Frage, ob die im Urteil Taricco aufgestellte Verpflichtung, die einschlägigen Vorschriften des Strafgesetzbuchs unangewendet zu lassen, gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen verstoßen könnte, und zwar zum einen, weil die Verjährung nach italienischem Recht ein materielles Institut darstellt, so dass die für sie geltenden Vorschriften für die Bürger zur Zeit der Begehung der ihnen zur Last gelegten Taten vorhersehbar sein müssen und nicht rückwirkend zu ihren Lasten geändert werden dürfen, und zum anderen wegen des Erfordernisses, dass alle nationalen Rechtsvorschriften über die Strafbarkeit auf einer Rechtsgrundlage beruhen müssen, die hinreichend bestimmt ist, um der Würdigung durch die nationalen Gerichte einen Rahmen und eine Leitlinie geben zu können.»
Da diese innerstaatlich verfassungsrechtlichen Probleme dem EuGH in dem Verfahren Taricco nicht zur Kenntnis gebracht worden seien, präzisiert der Gerichtshof seine Rechtsprechung – in einer den Konflikt mit dem italienischen Verfassungsgerichtshof zunächst vermeidenden Weise – und stellt im Tenor zum konkreten Fall fest, Art. 325 Abs. 1 und 2 AEUV sei dahingehend auszulegen, dass [wie im Urteil Taricco vom 8. September 2015 (C-105/14) und bisher in ständiger Rechtsprechung entschieden] die nationalen Gerichte verpflichtet seien, die unionsrechtswidrigen nationalen Vorschriften unangewendet zu lassen, «es sei denn, ihre Nichtanwendung führt wegen mangelnder Bestimmtheit der anwendbaren Rechtsnorm oder wegen der rückwirkenden Anwendung von Rechtsvorschriften, die strengere Strafbarkeitsbedingungen aufstellen als die zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat geltenden Rechtsvorschriften, zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen.»
Das Monitum an den nationalen Gesetzgeber in Rdnr. 41 und 42 dürfte eine Erinnerung an dessen vertragliche Pflichten sein, unverzüglich zu handeln: «Es ist in erster Linie Aufgabe des nationalen Gesetzgebers, die Verjährung so zu regeln, dass sie den Anforderungen von Art. 325 AEUV im Licht der vom Gerichtshof in Rn. 58 des Urteils Taricco angestellten Erwägungen genügt. Er hat nämlich zu gewährleisten, dass die nationale Regelung der Verjährung in Strafsachen nicht dazu führt, dass eine beträchtliche Anzahl von schweren Betrugsfällen im Bereich der Mehrwertsteuer ungeahndet bleiben, und dass sie nicht für Angeklagte in Betrugsfällen zum Nachteil der finanziellen Interessen des betreffenden Mitgliedstaats strenger ist als in Betrugsfällen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine sofort anwendbare und auch für noch nicht verjährte Straftaten geltende Verlängerung einer Verjährungsfrist durch den nationalen Gesetzgeber in der Regel keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil Taricco, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte).» (Seite 29)
EuGH sieht die Anerkennung einer von einem Scharia-Gericht in einem Drittstaat (Syrien) nach einseitiger Erklärung eines Ehegatten ausgesprochenen Scheidung nicht im Anwendungsbereich des Unionsrechts / Rs. Sahyouni
Konkret bezog sich die Vorlagefrage des OLG München auf Art. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010, das den Fall nun auf der Grundlage des deutschen Kollisionsrechts zu entscheiden haben wird. (Seite 34)
EuGH ordnet das obligatorische Schlichtungsverfahren bei einer Schlichtungsbehörde nach Schweizer Recht dem Begriff „Gericht“ zu / Rs. Schlömp
Dies hat zur Folge, dass im Sinne des Lugano-II-Übereinkommens der EU mit der Schweiz über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Rechtshängigkeit begründet wird. Im Ausgangsverfahren geht es um die Frage, in wieweit ein in der Schweiz lebendes erwachsenes Kind für die Aufwendungen einer deutschen Sozialbehörde für pflegebedürftige Eltern in Deutschland regresspflichtig ist. (Seite 38)
EuGH bekräftigt datenschutzrechtlichen Anspruch eines durchgefallenen Prüflings auf Einsicht in Prüfungsunterlagen inkl. Korrekturanmerkungen in einer berufsbezogenen Prüfung (hier: Wirtschaftsprüfer/Steuerberater in Irland) / Rs. Nowak
«Dieses Auskunftsrecht ist insbesondere erforderlich, um es der betroffenen Person gegebenenfalls zu ermöglichen, von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen die Berichtigung, Löschung oder Sperrung ihrer Daten zu verlangen und somit das Recht nach Art. 12 Buchst. b der genannten Richtlinie [RL 95/46/EG] auszuüben.» (Seite 42)
EuGH ordnet den Einsatz der Smartphone-Applikation von „Uber“, um gegen Entgelt eine Verbindung zwischen nicht berufsmäßigen Fahrern und potentiellen Fahrgästen herzustellen, als Verkehrsdienstleistung ein / Rs. Asociación Profesional Elite Taxi gegen Uber Systems Spain
Die im Ausgangsverfahren vor dem Handelsgericht in Barcelona klagende Vereinigung von Taxifahrern wirft dem amerikanischen Unternehmen „Uber“, das seine Geschäftstätigkeit in Spanien von einer Zweigstelle in den Niederlanden aus entfaltet, irreführende Geschäftspraktiken sowie unlauteren Wettbewerb vor und klagt mit dem Ziel, Uber Systems Spain seine Tätigkeit zu untersagen.
Die Große Kammer des EuGH betont, sie habe nur über die rechtliche Einordnung der umstrittenen Geschäftstätigkeit zu entscheiden. Im Ergebnis weist der Gerichtshof das Argument von Uber zurück, seine Tätigkeit sei ein „Dienst der Informationsgesellschaft“ und bedürfe keiner Lizenz oder behördlichen Genehmigung.
In dem Urteil heißt es: «Zudem übt Uber einen entscheidenden Einfluss auf die Bedingungen aus, unter denen diese Fahrer die Leistung erbringen. Dabei ist insbesondere klar ersichtlich, dass Uber durch die gleichnamige Anwendung zumindest den Höchstpreis für die Fahrt festsetzt, dass diese Gesellschaft den Preis beim Kunden erhebt und danach einen Teil davon an den nicht berufsmäßigen Fahrer des Fahrzeugs überweist und dass sie eine gewisse Kontrolle über die Qualität der Fahrzeuge und deren Fahrer sowie über deren Verhalten ausübt, die gegebenenfalls zu ihrem Ausschluss führen kann.
Dieser Vermittlungsdienst ist somit als integraler Bestandteil einer Gesamtdienstleistung, die hauptsächlich aus einer Verkehrsdienstleistung besteht, anzusehen und daher nicht als „Dienst der Informationsgesellschaft“.»
Folglich sei es beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts Sache der Mitgliedstaaten, die Bedingungen für Vermittlungsdienste dieser Art unter Beachtung der allgemeinen Vorschriften des AEU-Vertrags zu regeln. (Seite 47)
Gericht der Europäischen Union (EuG), Luxemburg, bewertet den Filmtitel „Fack Ju Göhte“ wegen der ihm innewohnenden Vulgarität als nicht geeignet, um als Unionsmarke eingetragen zu werden / Rs. Constantin Film Produktion
Es geht der Klägerin um eine sehr beachtliche Vielzahl von Waren und Dienstleistungen von Körper- und Schönheitspflege über Uhren, Lehr- und Unterrichtsmitteln, Bekleidung, Spielzeug, Sportartikel, Christbaumschmuck, Backwaren, Speiseeis, Getränke, Internetforen bis hin zu Rundfunk- und Fernsehprogrammen sowie „kulturellen Aktivitäten“.
Das EuG bestätigt mit seinem Urteil die Entscheidung einer Beschwerdekammer des Amtes der EU für geistiges Eigentum. (Seite 52)
Schweizerisches Bundesgericht (BGer), Lausanne, verneint verfassungsrechtlichen Anspruch behinderter Kinder auf integrative Sonderschulung in einer Regelschule / hier: eines Jungen mit Trisomie 21 (Down Syndrom“)
In dem Urteil wird festgestellt: «Eine behinderungsbedingte Ungleichbehandlung wie die Nichteinschulung in der Regelschule muss qualifiziert gerechtfertigt werden. Eine unterschiedliche Behandlung ist aber – im Gegensatz zu einer Benachteiligung – mit Verfassung und Gesetz durchaus vereinbar. Massgebend ist dabei in erster Linie das Wohl des betroffenen Kindes (vgl. Art. 20 Abs. 2 BehiG). Die separative Sonderschulung hat für Kinder mit einer Behinderung keineswegs nur negative Aspekte. Vielmehr ermöglicht sie, auf die (behinderungsbedingten) Lern- und Förderbedürfnisse individuell angepasster einzugehen. Das Diskriminierungsverbot und das Behindertengleichstellungsgesetz sollen nicht dazu führen, dass Kinder entgegen ihren Interessen und ihrem Wohl in eine Regelklasse eingeschult werden.» (Seite 56)
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Karlsruhe, kritisiert unzureichende verwaltungsgerichtliche Sachaufklärung von Abschiebungsverboten wie drohende Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Abschiebungszielstaat
Der Fall der Abschiebung eines in Deutschland geborenen 30-jährigen Türken in die Türkei nach Verurteilung wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland wird an das VG Gießen zurückverwiesen. (Seite 58)
BVerfG zum Auslieferungshindernis wegen mangelhafter Haftbedingungen in Rumänien
Wegen der bislang durch den EuGH nicht abschließend geklärten Frage der unionsgrundrechtlichen Mindestanforderungen an Haftbedingungen sieht der Zweite Senat des BVerfG in der vom OLG Hamburg unterlassenen Vorlage an den EuGH eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). (Seite 62)
BVerfG billigt Rücküberstellung einer mit einem italienischen Visum nach Deutschland eingereisten Armenierin nach Italien. (Seite 69)
Bundes- und landesrechtliche Regelungen zum Numerus clausus im Fach Humanmedizin in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig
Die Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats lauten:
«1. Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG haben jede Studienplatzbewerberin und jeder Studienplatzbewerber ein Recht auf gleiche Teilhabe an staatlichen Studienangeboten und damit auf gleichheitsgerechte Zulassung zum Studium ihrer Wahl.
2. Regeln für die Verteilung knapper Studienplätze haben sich grundsätzlich am Kriterium der Eignung zu orientieren. Daneben berücksichtigt der Gesetzgeber Gemeinwohlbelange und trägt dem Sozialstaatsprinzip Rechnung. Die zur Vergabe knapper Studienplätze herangezogenen Kriterien müssen die Vielfalt der möglichen Anknüpfungspunkte zur Erfassung der Eignung abbilden.
3. Der Gesetzgeber muss die für die Vergabe von knappen Studienplätzen im Studienfach Humanmedizin wesentlichen Fragen selbst regeln. Insbesondere muss er die Auswahlkriterien der Art nach selbst festlegen. Er darf den Hochschulen allerdings gewisse Spielräume für die Konkretisierung dieser Auswahlkriterien einräumen.
4. Die Abiturbestenquote begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die maßgebliche Orientierung der Vergabeentscheidung an den Ortswunschangaben sowie die Beschränkung der Bewerbung auf sechs Studienorte lassen sich im Rahmen der Abiturbestenquote verfassungsrechtlich jedoch nicht rechtfertigen.
5. Verfassungswidrig sind die gesetzlichen Vorschriften zum Auswahlverfahren der Hochschulen insofern,
– als der Gesetzgeber den Hochschulen ein eigenes Kriterienerfindungsrecht überlässt,
– als die Standardisierung und Strukturierung hochschuleigener Eignungsprüfungen nicht sichergestellt ist,
– als die Hochschulen neben eignungsbezogenen gesetzlichen Kriterien uneingeschränkt auch auf das Kriterium eines frei zu bestimmenden Ranges der Ortspräferenz zurückgreifen dürfen,
– als im Auswahlverfahren der Hochschulen die Abiturnoten berücksichtigt werden können, ohne einen Ausgleichsmechanismus für deren nur eingeschränkte länderübergreifende Vergleichbarkeit vorzusehen,
– als für einen hinreichenden Teil der Studienplätze neben der Abiturdurchschnittsnote keine weiteren Auswahlkriterien mit erheblichem Gewicht Berücksichtigung finden.
6. Die Einrichtung einer Wartezeitquote ist verfassungsrechtlich zulässig, wenngleich nicht geboten. Sie darf den jetzigen Anteil von 20 % der Studienplätze nicht überschreiten. Die Wartezeit muss in der Dauer begrenzt sein.
7. Wollen die Länder im Rahmen des Art. 125b Abs. 1 Satz 3 GG von Bundesrecht abweichen, müssen sie eine Neuregelung oder eine inhaltliche Regelung im unmittelbaren Zusammenhang mit bereits geltendem Landesrecht treffen. Rein redaktionelle Anpassungen genügen nicht. Die ausdrückliche Erklärung des Abweichungswillens ist nicht erforderlich.» (Seite 72)
BVerfG verhindert Auslieferung nach Russland wegen unzureichender Sachaufklärung und fehlender eigenständiger Prüfung der Gefahr politischer Verfolgung im Zielstaat durch OLG Dresden. (Seite 104)
Jahrespressekonferenz des EGMR-Präsidenten Guido Raimondi in Straßburg – Exzessiver Rückstau vorrangiger Fälle, Haushaltskrise, Türkei, Ukraine, Aserbaidschan, Rumänien, Ungarn, Verfahrensdauer der verschiedenen Fall-Kategorien, Verhältnis des EGMR zum EuGH, Jahres-Statistik. (Seite 108)
EuGH erlässt im Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen Polen eine einstweilige Anordnung mit Androhung von Zwangsgeld von 100.000 Euro pro Tag. Die Kommission rügt eine Verletzung der Habitat-RL und der Vogelschutz-RL durch unionsrechtlich verbotene aktive Waldbewirtschaftung im Natura-2000-Gebiet Puszcza Białowieska. (Seite 111)