EuGRZ 1999 |
29. November 1999
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26. Jg. Heft 21-22
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Informatorische Zusammenfassung
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Karlsruhe, fordert Neuregelung des Länderfinanzausgleichs auf der Basis fester Prinzipien innerhalb eindeutiger Fristen, andernfalls das gegenwärtige Finanzausgleichsgesetz verfassungswidrig und nichtig wird
Erstens ist bis Ende 2002 ein verfassungskonkretisierendes „Maßstäbegesetz“ zu verabschieden. Soweit dieses Gesetz nicht bis zum 1. Januar 2003 in Kraft getreten ist, wird das bis dahin als Übergangsregelung weitergeltende Finanzausgleichsgesetz (FAG) bereits mit diesem Tag verfassungswidrig und nichtig. Zweitens ist das FAG entsprechend den Prinzipien des Maßstäbegesetzes neu zu regeln. Sofern die Neuregelung nicht bis zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, wird das FAG an diesem Tag verfassungswidrig und nichtig.
Der Zulässigkeit der Normenkontrollanträge Baden-Württembergs, Bayerns und Hessens steht nicht entgegen, daß diese Länder im Bundesrat dem FAG zugestimmt haben: «Der objektive Charakter des abstrakten Normenkontrollverfahrens … macht die Antragsteller zu Garanten der verfassungsgemäßen Rechtsordnung, die sich nicht schon vor ihrem Abstimmungsverhalten im Bundesrat schlüssig werden müssen, ob sie später – insbesondere aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Vollzug des Bundesrechts – einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle stellen werden … Im übrigen kann sich die tatsächliche Bedeutung des Finanzausgleichsgesetzes in den vergangenen Jahren verändert haben. Zudem wird die Nichterfüllung ausdrücklicher Regelungs- und Prüfungsaufträge des Bundesverfassungsgerichts gerügt.»
Grundsätzlich stellt das BVerfG fest: «Die Regelung des Finanzausgleichs darf nicht dem freien Spiel der politischen Kräfte überlassen bleiben. Das Grundgesetz stellt seine behutsam aufeinander abgestimmten Regeln über Steueraufkommen und Finanzausgleich nicht am Ende eines abgestuften und aufeinander bezogenen Regelungssystems zur Disposition der betroffenen Körperschaften. Es beauftragt vielmehr den Gesetzgeber, die finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben in Fortbildung der bundesstaatlichen Verfassungsprinzipien so auszuformen, daß die Finanzverfassung in zeitgerechten Maßstäben verdeutlicht wird und die Zuteilungs- und Ausgleichsfolgen jeweils gegenwartsgerecht bemessen und periodisch überprüft werden können.
Eine nur vertragliche Verständigung über Tatbestände und Rechtsfolgen des Finanzausgleichsgesetzes ist auch deshalb ausgeschlossen, weil damit jedes Land, das zum Vertragsschluß nicht bereit wäre, sich seinen Ausgleichspflichten entziehen könnte. Andererseits rechtfertigt auch die bloße parlamentarische Mehrheit noch nicht den beschlossenen Finanzausgleich. Der Gesetzgeber hat gegenläufige Interessen festzustellen, zu bewerten und auszugleichen. Er darf aber nicht allein in der Rechtfertigung eines Mehrheitswillens zu Lasten einer Minderheit auf fremde Haushalte zugreifen oder Ausgleichsansprüche vereiteln. Damit begegnet eine Gesetzgebungspraxis, die das Finanzausgleichsgesetz faktisch in die Verantwortlichkeit des Bundesrates verschiebt, verfassungsrechtlichen Einwänden. (…) Eine Maßstäbegesetzgebung schafft abstrakte Kriterien für konkrete Finanzfolgen, in denen der Gesetzgeber sich selbst und der Öffentlichkeit Rechenschaft gibt, die rechtsstaatliche Transparenz der Mittelverteilung sichert und die haushaltswirtschaftliche Planbarkeit und Voraussehbarkeit der finanzwirtschaftlichen Autonomiegrundlagen für den Bund und jedes Land gewährleistet. (…)
Zu den Maximen, an die das Maßstäbegesetz gebunden ist, heißt es u. a.: «Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die „notwendigen“ von den im Haushalt veranschlagten Ausgaben zu unterscheiden, also in einer Erforderlichkeits- und Dringlichkeitsbewertung von Ausgabestrukturen der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern eine Grenze des Finanzierbaren vorzugeben. Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft, nicht in ihrer Finanzwirtschaft selbständig und voneinander unabhängig. Dementsprechend ist die Garantie der Haushaltsautonomie in Art. 109 Abs. 1 GG den Bestimmungen der Art. 105 bis 107 GG über die Steuerzuteilung und den Finanzausgleich nachgeordnet. Bund und Länder müssen die in diesen Vorschriften ausgesprochenen Einschränkungen ihrer Finanzhoheit hinnehmen. Ein Deckungsquotenverfahren, das allein nach den in den jeweiligen Haushalten veranschlagten Einnahmen und Ausgaben bemessen ist, genügt diesen Erfordernissen nicht.
Der Umfang der notwendigen Ausgaben stützt sich nach Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 Satz 2 GG auf eine Planungsgrundlage, die sicherstellt, daß Bund und Länder bei der Ermittlung der notwendigen Ausgaben und der laufenden Einnahmen jeweils dieselben Indikatoren zugrunde legen, deren Entwicklung in finanzwirtschaftlicher Rationalität über Jahre hin beobachten, aufeinander abstimmen und fortschreiben, auf dieser Grundlage dem Haushaltsgesetzgeber jeweils in Bund und Ländern dauerhafte Grundlagen für seine Planungen geben und in dem kontinuierlich fortgeschriebenen Kriterium der Notwendigkeit zugleich gewährleisten, daß nicht eine großzügige Ausgabenpolitik sich bei der Umsatzsteuerzuteilung refinanzieren könnte, eine sparsame Ausgabenpolitik hingegen verminderte Umsatzsteueranteile zur Folge hätte. (…)
Er [der Finanzausgleich] hat die richtige Mitte zu finden zwischen der Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Bewahrung der Individualität der Länder auf der einen und der solidargemeinschaftlichen Mitverantwortung für die Existenz und Eigenständigkeit der Bundesgenossen auf der anderen Seite. Er ist kein Mittel, um das Ergebnis der in Art. 107 Abs. 1 GG geregelten primären Steuerverteilung durch ein neues System zu ersetzen, das etwa allein vom Gedanken der finanziellen Gleichheit der Länder geprägt wird, ihre Eigenstaatlichkeit und Eigenverantwortung jedoch nicht mehr berücksichtigt. Die Ausgleichspflicht des Art. 107 Abs. 2 GG fordert deshalb nicht eine finanzielle Gleichstellung der Länder, sondern eine ihren Aufgaben entsprechende hinreichende Annäherung ihrer Finanzkraft.
Die Balance zwischen Eigenstaatlichkeit der Länder und bundesstaatlicher Solidargemeinschaft wäre insbesondere verfehlt, wenn die Maßstäbe des horizontalen Finanzausgleichs oder ihre Befolgung die Leistungsfähigkeit der gebenden Länder entscheidend schwächen oder zu einer Nivellierung der Länderfinanzen führen würden. Das Gebot, die unterschiedliche Finanzkraft der Länder nur angemessen und ohne Nivellierung auszugleichen, verbietet außerdem eine Verkehrung der Finanzkraftreihenfolge unter den Ländern im Rahmen des horizontalen Finanzausgleichs. Der annähernde, nicht gleichstellende Finanzausgleich hat zur Folge, daß der horizontale Finanzausgleich die Abstände zwischen allen 16 – ausgleichspflichtigen wie ausgleichsberechtigten – Ländern verringern, nicht aber aufheben oder gar ins Gegenteil verkehren darf. Eine Solidarität unter Bundesstaaten mindert Unterschiede, ebnet sie nicht ein. (…)
Eigenständigkeit und politische Autonomie bringen es mit sich, daß die Länder grundsätzlich für die haushaltspolitischen Folgen autonomer Entscheidungen selbst einzustehen und eine kurzfristige Finanzschwäche selbst zu überbrücken haben.
Berücksichtigt der Gesetzgeber Sonderlasten, so verpflichtet ihn das föderative Gleichbehandlungsgebot wiederum, diese Sonderlasten zu benennen und zu begründen.»
Zum Fonds „Deutsche Einheit“ entscheidet das BVerfG: «Mit der Einbeziehung der neuen Länder in den Länderfinanzausgleich sind die Leistungen des Fonds an diese Länder entfallen. Der Fonds hat vor Ablauf der Frist des Art. 143 Abs. 2 GG seine Zahlungen eingestellt und dient seitdem nur noch der Abwicklung früher entstandener Kredite. Die Verteilung der Abwicklungslasten auf Bund und Länder behält jedoch die früheren Maßstäbe bei: Die in Art. 31 (&Par; 6 Abs. 5 FondsG) StaatsVG i.V.m. &Par; 1 Abs. 2 FAG vorgesehenen Beiträge der alten Länder an den Bund wirken als Übergangsverpflichtungen fort und bleiben Bestandteil eines vor Einschlägigkeit der Finanzverfassung errichteten Fonds, der mit der Wiedervereinigung auf der Grundlage des Art. 143 Abs. 2 GG die Funktion eines – für diese Sonderlage zulässigen – Nebenfinanzausgleichs erhalten hat.
Für die Zeit nach dem 31. Dezember 2004 wird der Gesetzgeber bei der zukünftigen Ausgestaltung des Grundsatzes föderativer Gleichbehandlung auch die bestehenden Belastungen aus dem Fonds „Deutsche Einheit“ berücksichtigen müssen – sei es durch Integration in den allgemeinen Finanzausgleich, sei es durch Abstimmung dieses Finanzausgleichs mit den bestehenden Belastungen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung verpflichtet den Bundesgesetzgeber, bei der Lastenverteilung alle Länder nach sachgerechten Kriterien heranzuziehen.» (Seite 617)