EuGRZ 1999 |
12. Oktober 1999
|
26. Jg. Heft 19-20
|
Informatorische Zusammenfassung
Matthias Hartwig, Heidelberg, kommentiert das zweite Urteil zum Beutekunst-Gesetz: «Vae victis – Völkerrechtliche Fragwürdigkeiten in der Argumentation des Russischen Verfassungsgerichts»
Im Ergebnis hält der Autor fest: «Aus den Feststellungen des Gerichts lassen sich bei genauerem Hinsehen zwei Tendenzen ableiten: Zum einen wird die Aneignung von Kulturgütern der ehemaligen Feindstaaten durch die Sowjetunion unter völker- und verfassungsrechtlichen Aspekten für rechtmäßig erklärt, andererseits aber ist das Gericht bemüht, die Bedeutung des gegen den Willen Jelzins verabschiedeten Gesetzes zu beschränken und insbesondere die Möglichkeit offenzuhalten, daß etwaige bestehende Ansprüche in einem rechtsstaatlich gesicherten Verfahren durchgesetzt werden können; zudem wird nach der Argumentation des Verfassungsgerichts durch das Gesetz auch nicht jede Möglichkeit abgeschnitten, die Kulturgüter zurückzugeben.»
In der Bewertung der Urteilsbegründung kommt Hartwig zu folgendem Schluß: «Das Urteil baut auf Auffassungen auf, welche im wesentlichen in der überkommenen Völkerrechtsdoktrin der sozialistischen Zeit wurzeln. Dies erklärt auch, warum das Besatzungsrecht als solches, d. h. nicht in seinen restitutionsspezifischen Bestimmungen vorbehaltlos und ohne weitere Begründung als Rechtsgrundlage für die kompensatorische Restitution herangezogen wird. Hieraus spricht eine Siegermentalität, die den Sieg an die Stelle des Rechts stellt. Der Geist, der diese Ausführungen prägt, spiegelt sich nicht zuletzt darin wider, daß Finnland uneingeschränkt zu den „Aggressorstaaten“ gezählt wird, obwohl dieses Land Opfer einer sowjetischen Aggression war.
Dem russischen Verfassungsgericht gelingt es in seiner sehr mangelhaften Auseinandersetzung mit dem Völkerrecht nicht, einen überzeugenden Nachweis zu führen, daß die kompensatorische Restitution ein völkerrechtlich zulässiges Mittel der Wiedergutmachung für Kriegsschäden an Kulturgütern ist. (…) Wenn sich die Russische Föderation auf dieses völkerrechtliche Institut beruft, wie dies sowohl in dem Gesetz wie auch in der Gerichtsentscheidung geschehen ist, muß sie es in seiner völkerrechtlichen Vorgegebenheit akzeptieren. Es geht nicht an, die eigenen Handlungen völkerrechtlich rechtfertigen zu wollen und gleichzeitig die Definitionshoheit über das Völkerrecht zu beanspruchen. Wer sich auf das Völkerrecht beruft, muß auch seinen Regeln folgen. Und diese lassen am Ende des 20. Jahrunderts ein „Vae victis“ nicht mehr zu.» (Seite 553)
Übersetzung des Beutekunst-Urteils (II) in diesem Heft S. 589. S.a. den Antrag von Präsident Jelzin, EuGRZ 1998, 423 ff.
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), Luxemburg, sieht in Personenkontrollen bei Einreise über Binnengrenzen (Flughafen) keine Behinderung des freien Personenverkehrs / Rs. Wijsenbeek
«Zur entscheidungserheblichen Zeit gab es weder gemeinsame Vorschriften noch eine Harmonisierung der Gesetze der Mitgliedstaaten über die Kontrolle der Außengrenzen und die Ausländer-, Visums- und Asylpolitik. Selbst wenn die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten nach Artikel 7a oder Artikel 8a EG-Vertrag ein unbedingtes Recht besäßen, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen, behielten die Mitgliedstaaten folglich das Recht, Identitätskontrollen an den Binnengrenzen der Gemeinschaft durchzuführen, die einen Betroffenen, wie in den Richtlinien 68/369, 73/148, 90/364, 90/365 und 93/96 vorgesehen, zur Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses verpflichteten, damit festgestellt werde könnte, ob er Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und damit das Recht hat, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen, oder ob er Staatsangehöriger eines Drittlandes ist, der dieses Recht nicht besitzt.
Hinzuzufügen ist, daß die Mitgliedstaaten mangels einer gemeinschaftlichen Regelung auf diesem Gebiet zuständig bleiben, Zuwiderhandlungen gegen eine solche Verpflichtung zu ahnden, wobei die Sanktionen denjenigen vergleichbar sein müssen, die für entsprechende nationale Vergehen gelten.» (Seite 564)
EuGH weist im Streit um die Bananenmarktordnung Schadensersatzklage der Atlanta AG gegen die Europäische Gemeinschaft in zweiter Instanz ab
Der Schaden war entstanden, weil eine Atlanta-Tochtergesellschaft drei Bananen-Transportschiffe gechartert und anschließend an eine amerikanische Gesellschaft weitervermietet hatte. Die amerikanische Gesellschaft kündigte den Vertrag vorzeitig, weil sie wegen der Einfuhrbeschränkungen nach dem Inkrafttreten der Bananenmarkt-VO Nr. 404/93 für die Schiffe keine Verwendung mehr hatte. Die Atlanta-Tochtergesellschaft hingegen mußte an ihren Schiffsvermieter das volle Entgelt weiterzahlen. Diesen Schaden möchte die Atlanta AG von der EG ersetzt haben.
Der EuGH gibt der Atlanta AG bei einem von sieben Rechtsmittelgründen Recht, das Gericht erster Instanz habe sich in seinem Urteil vom 11.12.1996 nicht hinreichend mit dem Argument der Klägerin auseinandergesetzt, die Bananenmarkt-VO sei u. a. auch deshalb rechtsfehlerhaft zustande gekommen, weil der Rat seine Rechtssetzungsbefugnis rechtswidrig an die Kommission delegiert habe.
Praktisch nützt dieser Teilerfolg der Klägerin nichts; denn der EuGH stellt abschließend fest: «Auch wenn davon auszugehen ist, daß der Begriff des Marktbeteiligten Merkmale aufweist, die für die zu regelnde Materie wesentlich sind und daher der Zuständigkeit des Rates vorbehalten bleiben müssen (…), ist angesichts dieser Erläuterungen festzustellen, daß der Rat diesen Begriff hinreichend genau umschrieben hat, so daß er die Befugnis zur Durchführung der erlassenen Vorschriften wirksam gemäß Artikel 145 EG-Vertrag (jetzt Artikel 202 EG) auf die Kommission delegieren konnte.
Folglich ist der Klagegrund einer rechtswidrigen Delegation der Rechtsetzungsbefugnis auf die Kommission zurückzuweisen. Demnach ist die Schadensersatzklage abzuweisen.» (Seite 567)
Slowenisches Verfassungsgericht (Slow.VerfG), Ljubljana, erklärt Referendumsantrag zur Massenausbürgerung von im Zuge der Unabhängigkeit eingebürgerten Angehörigen anderer Ex-Jugoslawien-Republiken für verfassungswidrig
«Der Antragsinhalt ist verfassungswidrig, weil er unzulässigerweise in das Recht auf Menschenwürde und Sicherheit nach Artikel 34 Vf und in den Schutzbereich des Rechts auf Privatsphäre und der Persönlichkeitsrechte nach Artikel 35 Vf eingreift, und weil er den Prinzipien des Rechtsstaats widerspricht.
Ein Rechtsstaat soll die Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und andere rechtsstaatliche Prinzipien beachten. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes erfordert, daß gesetzmäßige, bedingungslose und nicht vorläufige Verwaltungsakte bestandskräftig sind. Das Recht kann seine Funktion der Regelung des gesellschaftlichen Lebens nur erfüllen, wenn es im möglichst großen Umfang stabil und dauerhaft ist. So wie das Recht soll aus Gründen der Rechtssicherheit auch das gesamte Verhalten der Staatsorgane vorhersehbar sein. Die Sicherheit der Staatsbürger ist auch von der Bestandskraft von Verwaltungsakten abhängig. Darin verwirklicht sich das Vertrauen der Staatsbürger in das Recht und in den Staat.
(…) Wenn der Einzelne sich auf den Bestand gesetzmäßig erworbener Rechte nicht verlassen kann, die er nach dem Gesetz für beständig gehalten hat, dann kann er sich nicht vor willkürlichen Staatseingriffen in wohlerworbene Rechte sicher fühlen. Auch das ist aber die Bedeutung des Menschenrechts auf Sicherheit nach Art. 34 Vf.» (Seite 575)
Metoda Orehar, Ljubljana, und Frank Hoffmeister, Berlin, zur verfassungsgerichtlichen Präventivkontrolle von Gesetzesreferenden – Das slowenische Modell direkter Demokratie 1995-1999
In ihrer rechtsvergleichenden Anmerkung zum vorstehenden Urteil weisen die Autoren nach, daß in Slowenien eine Variante des Gesetzesreferendums Wirkung entfaltet, die in keinem Staat der EU bekannt ist:
«Vielmehr hat das Volk die Möglichkeit, im Entstehen begriffene Gesetze zu verhindern oder die Rechtsordnung positiv zu verändern, was das slowenische Referendum wiederum gegenüber dem italienischen mit seiner rein kassatorischen Wirkung heraushebt. Auch der Volksgesetzgeber ist an die Verfassung gebunden. Wie anhand der Entscheidungen vom 25.11.1995, 4.8.1996 und 23.5.1997 zu sehen ist, hat daher das slowenische Verfassungsgericht die Kompetenz, auf Antrag die Ausschreibung verfassungswidriger Gesetzesreferenden zu verhindern, was den höchstrichterlichen präventiven Kontrollverfahren in Italien (Art. 75 II Vf), Irland (Art. 27.4.2 Vf) und Portugal (118 VI Vf) ähnelt. Von besonderem rechtsvergleichendem Erfahrungswert erscheint abschließend, daß das slowenische Modell in der Praxis funktioniert. Die bisher durchgeführten Verfahren bestätigen, daß dem EU-Beitrittskandidaten Slowenien durch die Kombination von großzügigen Volksinitiativrechten für verbindlich-gestaltende Gesetzesreferenden in Verbindung mit einer vom Verfassungsgericht ausgleichend früh durchgeführten Verfassungskontrolle eine im EU-Vergleich bemerkenswerte Konkordanz von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip gelungen ist.» (Seite 586)
Russisches Verfassungsgericht (RussVerfG), Moskau, bestätigt grundsätzlich das Gesetz zur Verhinderung der Rückgabe von „in der Folge des Zweiten Weltkriegs in die UdSSR verbrachten Kulturgütern“ – in einschränkender Auslegung / Beutekunst-Urteil II
– Verfassungsgemäß ist nach dem Urteil die gesetzliche Eigentumsbegründung an Kulturgütern ehemaliger Feindstaaten, verfassungswidrig ist sie in bezug auf Kulturgüter, die im Eigentum betroffener (Nicht-Feind-)Staaten gewesen sind, verfassungswidrig ist sie ferner bei Kulturgütern ungeklärter staatlicher Herkunft, sofern berechtigten Personen keine angemessenen Rückgabegarantien gewährleistet werden.
Außerdem wird russischen natürlichen und juristischen Personen, Subjekten der Föderation, kommunalen Körperschaften, gesellschaftlichen und anderen Organisationen und Vereinigungen in einschränkender Auslegung Eigentums- und Rechtsweggarantie zugesprochen. (Ziff. 1 des Tenors).
– Verfassungswidrig ist die Bestimmung, wonach betroffene Staaten ihre Ansprüche gegenüber der Russischen Föderation verlieren, sofern sie diese Ansprüche nicht innerhalb festgesetzter Fristen gegenüber Deutschland und seinen ehemaligen Kriegsverbündeten geltend gemacht haben. (Ziff. 3 des Tenors).
– Verfassungswidrig ist der in dem Gesetz verfügte Beginn der 18-Monatsfrist für die Geltendmachung etwaiger Ansprüche. (Ziff. 4 des Tenors).
– Verfassungsgemäß ist die Errichtung des föderalen Kulturgüter-Organs. (Ziff. 5). Verfassungswidrig jedoch ist die Regelung, derzufolge die Entscheidungen dieses Organs nur von diesem selbst abgeändert oder aufgehoben werden können. (Ziff. 6).
– Verfassungswidrig ist die Bestimmung, die vorschreibt, daß Kulturgüter nur auf der Grundlage eines besonderen Föderationsgesetzes zurückgegeben werden dürfen. (Ziff. 9).
Zum parlamentarischen Verfahren bei der Verabschiedung des Gesetzes stellt das RussVerfG zweierlei fest: Nur im vorliegenden Fall wolle es davon absehen, das Gesetz insgesamt für verfassungswidrig zu erklären, weil es rechtsfehlerhaft zustande gekommen sei; denn die erforderliche Mehrheit sei nur deshalb erreicht worden, weil anwesende Abgeordnete auch für abwesende Abgeordnete mitabgestimmt haben. Künftig will das RussVerfG bei ähnlichen Fällen auf Verfassungswidrigkeit erkennen, es sei denn das Parlament beschließt eine – mögliche – Änderung der Geschäftsordnung. (Ziff. 10 des Tenors). (Seite 589)
S.o. den Aufsatz von Matthias Hartwig, Vae victis … S. 553 ff.
Österreichischer Verfassungsgerichtshof (VfGH), Wien, wertet Verbot der Schächtung nach islamischem bzw. israelitischem Ritus als Verletzung der Religionsfreiheit
«Die Schächtung ist eine im Judentum und im Islam verbreitete Form der rituellen Schlachtung von Tieren zum Zwecke der vollständigen Entblutung durch Durchschneiden von Halsschlagader, Luftröhre und Speiseröhre, welches ohne vorherige Betäubung des Tieres erfolgt. Es ist in der bisherigen Lehre und Rechtsprechung nahezu unbestritten, daß die Schächtung als religiöser Brauch und damit als Teil der Religionsausübung in den Schutzbereich der Art. 14 StGG, Art. 63 Abs. 2 Staatsvertrag von St. Germain und Art. 9 Abs. 1 EMRK fällt. (…)
Der Verfassungsgerichtshof übersieht nicht, daß in den letzten Jahrzehnten insoweit ein Wertewandel eingetreten ist, als sich nach heutiger Auffassung im Tierschutz ein weithin anerkanntes und bedeutsames öffentliches Interesse verkörpert. Dem Tierschutz kommt aber – vor dem Hintergrund der in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Werteskala – unter Berücksichtigung aller Umstände deshalb noch kein gegenüber dem Recht auf Freiheit der Religionsausübung durchschlagendes Gewicht zu. Der Tierschutz ist insbesondere für die öffentliche Ordnung nicht von derart zentraler Bedeutung, daß er das Verbot einer Handlung verlangt, die einem jahrtausendealten Ritus entspricht, der (aus dem Blickwinkel der Zwecke des Tierschutzes gesehen) seinerseits nicht etwa in einer gleichgültigen oder gar aggressiven Haltung dem Tier gegenüber wurzelt, sondern auf die bestmögliche Vermeidung von Schmerzen, Leiden und Angst bei den zu schlachtenden Tieren höchsten Wert legt.»
Im konkreten Fall kommt der VfGH zu einer verfassungskonformen Auslegung des Vorarlberger Tierschutzgesetzes 1982. (Seite 600)
Schweizerisches Bundesgericht (BGer), Lausanne, bestätigt strikte Einzelhaft von bis zu 20 Tagen als schärfste Disziplinarmaßnahme im Vollzug der Ausschaffungshaft ohne Rechtsmittel an eine richterliche Behörde / Flughafengefängnis Zürich
«Die strikte Einzelhaft, wie sie als Disziplinarmassnahme im Rahmen der Flughafengefängnisverordnung angeordnet werden kann, verschärft deren Bedingungen, stellt aber nicht ihrerseits Freiheitsentzug im eigentlichen Sinne dieses Begriffes dar.
Die bisherigeRechtsprechung der Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention hat, wie ausführlich dargelegt, lediglich dann bei Disziplinarstrafen gegen Gefangene wegen der Schwere der Sanktion Art. 6 Ziff. 1 EMRK als anwendbar erklärt, wenn eine Verlängerung des Freiheitsentzugs von erheblicher Dauer in Frage stand. Nach der Rechtsprechung erfasst diese Bestimmung hingegen nicht Disziplinarmassnahmen, die lediglich die Verschärfung der Haftbedingungen zum Gegenstand haben. Dies gilt selbst für Einzelhaft von 20 Tagen, wie dies der Ordnung und maximalen Dauer der strikten Einzelhaft nach der hier angefochtenen Flughafengefängnisverordnung entspricht.» (Seite 604)
BGer verneint Anspruch auf ausschließlich Moslems vorbehaltenen Bereich innerhalb öffentlicher Friedhöfe und hält geforderte Garantie einer Grabstätte auf unbeschränkte Zeit („ewige Totenruhe“ i.S.d. Islam) nicht für geboten
«Die Gewährung von Sonderrechten oder Sonderleistungen in öffentlichen Friedhöfen zugunsten bestimmter Konfessionen oder Religionen widerspräche jedoch als solche gerade wiederum dem Gebot der Gleichbehandlung. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer bereit wäre, ein der verlangten Sondernutzung entsprechendes Entgelt zu zahlen, ändert nichts. Wenn die besonderen Vorschriften einer Religionsgemeinschaft die Benützung eines öffentlichen Friedhofs wegen des dort geltenden Prinzips des Gräberturnus nicht erlauben, können die entsprechenden religiösen Anliegen nur im Rahmen eines Sonderfriedhofs realisiert werden. Diese Lösung liegt umso näher, wenn die Vorschriften der betreffenden Religionsgemeinschaft, wie hier geltend gemacht, überdies eine räumliche Abtrennung von den Gräbern Andersgläubiger gebieten.» (Seite 607)
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Karlsruhe, nimmt Verfassungsbeschwerden von vier ehemaligen DDR-Spitzenfunktionären gegen die von der Volkskammer der DDR veranlaßte Einziehung ihrer Sparguthaben nicht zur Entscheidung an / Mielke, Stoph, Axen u. a.
Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit der DDR hatte 750.000 DDR-Mark zum Umtausch in DM angemeldet. Der zuständige Sonderausschuß der demokratisch gewählten Volkskammer der DDR übergab die Unterlagen der Strafverfolgungsbehörde „mit der ausschließlich und einstimmig beschlossenen Forderung, das auf den gesperrten Sparkonten vorhandene Geldvermögen zugunsten des Staatshaushaltes einzuziehen“.
Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht mit der Begründung ab, die Ersparnis sei die Folge der Bereicherung durch eine gesetzlos erlangte eigentumsähnliche Position bzgl. eines Jagdschlosses und dessen Ausstattung und Nutzung sowie des dazugehörigen Staatsjagdgebiets. Die Bereicherung des Bf. betrage mindestens die Hälfte der dadurch veranlaßten Kosten und damit rund 1,6 Mio. DDR-Mark.
Das BVerfG führt u. a. aus: «Der Gesetzgeber konnte, ohne in unverhältnismäßiger Weise in die Eigentumsgarantie einzugreifen, bei der Umstellung von DDR-Guthaben, die einer erheblichen Aufwertung gleichkam, Beträge außer acht lassen, die in grob sittenwidriger Weise oder durch Mißbrauch staatlicher oder gesellschaftlicher Befugnisse zum Nachteil des Gemeinwohls erlangt waren und insofern nicht auf eigener Leistung beruhten. Daß die Gerichte bei der Anwendung von &Par; 5 Abs. 2 UGG Bedeutung und Tragweite von Art. 14 Abs. 1 GG grundlegend verkannt hätten, läßt sich nicht feststellen. Das gilt auch für die Auffassung, daß regulär erworbenes Geldvermögen eingezogen werden konnte, soweit es infolge grob sittenwidrig oder mißbräuchlich erlangter Vorteile angespart worden war.» (Seite 611)
Willi Stoph, Minister des Innern, Minister für Nationale Verteidigung, Mitglied und Vorsitzender des Staatsrats, hatte ein Guthaben von 386.000 DDR-Mark zum Umtausch angemeldet. Aufgerechnet wurde mit der eigentumsähnlichen Nutzung einesJagd- und Erholungszentrums. (Seite 612)
Hermann Axen, Mitglied des SED-Politbüros, hatte 250.000 DDR-Mark zum Umtausch angemeldet. Aufgerechnet wurde mit der eigentumsähnlichen Nutzung eines 6,5 Mio.-Mark-Ferienheims. (Seite 613)
Der namentlich nicht genannte Abteilungsleiter Finanzverwaltung/Parteibetriebe des Zentralkomitees der SED hatte 53.000 DDR-Mark zum Umtausch angemeldet. (Seite 614)
EU-Charta der Grundrechte / Europäischer Rat legt Arbeitsstruktur des 66-köpfigen Ausarbeitungs-Gremiums fest
Als Mitglieder entsenden die Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Staaten sowie die EG-Kommission je einen Beauftragten, das Europäische Parlament sechzehn Mitglieder. Die nationalen Parlamente benennen je zwei, insgesamt also dreißig Mitglieder. Als Beobachter sind zwei Vertreter des EuGH und zwei Vertreter des Europarats (darunter einer des EGMR) vorgesehen. Das Gremium hält seine Sitzungen in Brüssel, und zwar abwechselnd im Ratsgebäude und im Gebäude des EP ab. (Seite 615)
EKMR-Präsident Trechsel und EGMR-Präsident Wildhaber würdigen das Vermächtnis der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR), Straßburg
Ende Oktober 1999 trat die EKMR zu ihrer letzten Sitzung zusammen. Als Konsequenz der im Reform-Protokoll Nr. 11 beschlossenen Fusion von Gerichtshof und Kommission (cf. EuGRZ 1998, 644) hört die Kommission am 31. Oktober auf zu bestehen. Nach der Konstituierung des neuen Vollzeit-EGMR am 1. November 1998 blieb der EKMR noch ein Jahr, um die von ihr zuvor ca. 500 für zulässig erklärten Beschwerden aufzuarbeiten.
Trechsel hob die Einsatzbereitschaft nicht nur der Kommissionsmitglieder, sondern auch der „ebenso qualifizierten wie motivierten Beamten des Sekretariats“ hervor.
Wildhaber betonte die prägende Rechtsprechungs-Leistung der Kommission: „Sie hat zahlreiche grundlegende Kapitel in der Geschichte der Konvention geschrieben.“ (Seite 616)
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), Luxemburg – Generalanwalt La Pergola sieht in Nichtzulassung von Frauen zum Militärdienst in Deutschland Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliches Verbot beruflicher Diskriminierung / Rs. Kreil (Seite 616)