EuGRZ 1999 |
9. Juli 1999
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26. Jg. Heft 11-12
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Informatorische Zusammenfassung
Albrecht Weber, Osnabrück, skizziert „Ansätze zu einem gemeineuropäischen Asylrecht“
«Zur Entfaltung eines künftigen gemeineuropäischen Asylrechts wird es entscheidend darauf ankommen, ob nicht nur die neuen, aufgrund des Amsterdamer Vertrags eingeräumten Kompetenzen der Gemeinschaft genutzt werden, sondern ob wesentliche Fortschritte bei der Angleichung des formellen und materiellen Asylrechts erreichbar sind, die deutlich über die zaghaften Ansätze des nunmehr in Gemeinschaftsrecht überführten Schengener Rechts (…) hinausreichen. Dies wird ohne solide Rechtsvergleichung der verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Grundlagen der Mitgliedstaaten kaum möglich sein. Nachstehende Skizze dient dem Versuch, wesentliche Elemente eines künftigen gemeineuropäischen Asylrechts zu bezeichnen (Rechtsquellen; Verfolgungsbegriff; Konzept der „sicheren Drittstaaten“; „sichere Herkunftsstaaten“; Minimalgarantien im Anerkennungsverfahren; effektiver Rechtsschutz bei Zurückschiebung oder Abschiebung).»
Der Autor untersucht die Rechtsquellen in den 15 EU-Staaten und in der Schweiz sowie in den vier EU-Beitritts-Ländern Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien.
Weber kommt zu dem Schluß: «Es wäre schon viel erreicht, wenn die materiellen und verfahrensrechtlichen Maßstäbe der Genfer Flüchtlingskonvention und der aus anderen menschenrechtlichen Konventionen (z. B. EMRK) folgenden Abschiebungs- und Zurückschiebungsverbote in allen Mitgliedstaaten und den als sichere Herkunftsstaaten geltenden Ländern eingehalten würden.» (Seite 301)
Christian Lange, Brüssel, prüft Fragen der Rechtmäßigkeit des NATO-Einsatzes im Kosovo
Der Autor stellt zunächst fest, daß die Intervention im Völkervertragsrecht (UNO und NATO) keine Rechtsgrundlage findet, stellt dann aber auf die Entwicklung im Völkergewohnheitsrecht bzw. auf den Mindeststandard der Menschenrechte ab:
«Die Entwicklung der Menschenrechte seit 1949, die sich in zahlreichen internationalen Erklärungen und Konventionen (…) niedergeschlagen hat, zeigt ihre immer größer werdende Bedeutung. Darin erweist sich, daß der Universalität der Menschenrechte zunehmend Raum gegeben wird. In dem Spannungsverhältnis zwischen Nichteinmischung einerseits und Menschenrechtsgeltung andererseits (wie bereits in der Helsinki-Schlußakte vom 1. August 1975 verfestigt) muß das Prinzip der Nichteinmischung daher zurücktreten, wenn es sich um massive undsystematische Menschenrechtsverletzungen („consistent pattern of gross and reliably attested violations“) handelt. (…) Entscheidend für die Rechtsfortbildung in diesem Bereich sind Akzeptanz und Förderung einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung der Staaten und zwar nicht nur im Europäischen Raum. Dabei sollte die EU ihre Rolle im Rahmen der Vereinten Nationen mit Nachdruck geltend machen.» (Seite 313)
S.a. den Text der Kosovo-Resolution des UN-Sicherheitsrats vom 10. Juni 1999, in diesem Heft S. 362
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Straßburg, sieht in widerrechtlicher Zwangsräumung eines Freiluftkinos Verletzung der Eigentumsgarantie / Iatridis gegen Griechenland
Der EGMR bekräftigt seine Rechtsprechung, derzufolge «bestimmte Rechte und Interessen, die Aktivposten darstellen», ebenfalls als Eigentumsrechte i.S.v. Art. 1 des 1. ZP-EMRK angesehen werden können. Danach kann auch der Kundenstamm einer Firma als Vermögenswert beurteilt werden.
Im konkreten Fall hatte der Beschwerdeführer sein Freiluftkino im Athener Vorort Ilioupolis auf der Grundlage eines ordnungsgemäß unterschriebenen Mietvertrages elf Jahre lang betrieben, ohne von den Behörden behelligt zu werden. Mit der in brachialer Weise erfolgten Zwangsräumung will der Staat offensichtlich auch den Vermieter treffen und das von den Behörden behauptete Eigentumsrecht an dem Gelände durchsetzen, ohne daß der anhängige Rechtsstreit gerichtlich entschieden worden ist.
Der EGMR unterstreicht, «daß der umstrittene Eingriff nach innerstaatlichem Recht offensichtlich rechtswidrig» war. (Seite 316)
EGMR stellt bei obligatorischer Entschädigungsminderung bei Enteignungen für Nationalstraßen Verletzung der Eigentumsgarantie fest / Papachelas gegen Griechenland
«Der Gerichtshof bemerkt, daß bei dem hier angewandten System die Entschädigung in jedem Fall um den Wert gemindert wird, der einem 15 Meter breiten Streifen entspricht, ohne daß die betroffenen Eigentümer geltend machen können, die fraglichen Bauarbeiten würden im Ergebnis entweder keine oder nur eine geringere Wertsteigerung oder einen mehr oder weniger bedeutenden Schaden zur Folge haben.
In seiner exzessiven Starrheit hat dieses System (…) den Gerichtshof bereits in zwei ähnlichen Fällen dazu bewogen, eine Verletzung von Art. 1 des 1. ZP-EMRK anzunehmen.» Trotzdem hat die griechische Regierung bisher nicht die Absicht erkennen lassen, das konventionswidrige Gesetz zu ändern. (Seite 319)
EGMR bestätigt seine Rechtsprechung zur Unabhängigkeit des richterlichen Beamten bzw. zur Waffengleichheit bei Haftbeschwerden / Nikolova gegen Bulgarien
Die Beschwerdeführerin wurde ein halbes Jahr nach Beginn der Ermittlungen wegen des Verdachts, als Kassiererin und Buchhalterin eines staatlichen Unternehmens den Betrag von umgerechnet ca. 660,– Euro veruntreut zu haben, in Untersuchungshaft genommen und vier Monate später im Anschluß an eine Operation vom Vollzug der U-Haft verschont und unter Hausarrest gestellt.
Der EGMR stellt fest: «Nach ihrer Verhaftung am 24. Oktober 1995 wurde die Bf. einem Untersuchungsrichter vorgeführt, der nicht ermächtigt war, eine bindende Entscheidung über ihre Haft zu treffen, und der auf der Verfahrensebene gegenüber dem Staatsanwalt nicht unabhängig war. Zudem verbot ihm keine gesetzliche Vorschrift, im Prozeß gegen die Bf. als Staatsanwalt tätig zu werden (…). Der Untersuchungsrichter kann also nicht als ein „gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigter Beamter“ i.S.v. Art. 5 Abs. 3 EMRK angesehen werden.»
Weil das regionale Gericht bei seiner negativen Haft-Entscheidung die Argumente der Bf. gegen die Stichhaltigkeit der erhobenen Beschuldigungen und gegen die Haftgründe nicht erwogen hat, stellt der EGMR außerdem eine Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK fest, der vorschreibt, das richterliche Haftprüfungsverfahren müsse kontradiktorisch sein und die „Waffengleichheit“ zwischen den Parteien gewährleisten.
Die bulgarische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, eine Gesetzesreform sei in Vorbereitung. (Seite 320)
EGMR stellt Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK wegen überlanger Dauer der Abfassung eines Gutachtens im Verfahren über die Fortdauer der Einweisung in eine geschlossene psychiatrische Anstalt fest / Musiał gegen Polen
Der EGMR beanstandet, daß die Entscheidung des innerstaatlichen Gerichts auf einem medizinischen Gutachten basiert, dessen Befund elf Monate zuvor erhoben worden war. Der EGMR kritisiert das Gericht außerdem, weil es den langen Zeitraum zwischen der Untersuchung des Bf. und der Vorlage des Gutachtens nicht durch energische Maßnahmen abgekürzt hat. Der Bf. war in die Anstalt eingewiesen worden, weil er in einem Verfahren wegen des Verdachts, seine Frau ermordet zu haben, für strafrechtlich unzurechnungsfähig und gemeingefährlich erklärt worden war. (Seite 322)
EGMR qualifiziert unterbliebenen Hinweis auf neuen rechtlichen Gesichtspunkt im Strafverfahren (hier: statt Freispruch als Täter, Verurteilung wegen Beihilfe) als Verletzung des fairen Verfahrens / Pélissier und Sassi gegen Frankreich
Die Beschwerdeführer waren Miteigentümer bzw. Geschäftspartner verschiedener Bootswerften im südfranzösischen Departement Var. Als sich für das Appellationsgericht Aix-en-Provence während der Urteilsberatung abzeichnete, daß eine Verurteilung wegen betrügerischen Bankrotts in Täterschaft nicht in Frage kam, verurteilte es die Bf. wegen Beihilfe, ohne vorher auf die Änderung des rechtlichen Gesichtspunktes hinzuweisen. Der EGMR stellt fest, das Gericht hätte «den Bf. Gelegenheit geben müssen, ihr Verteidigungsrecht in diesem Punkt konkret und effektiv und vor allem rechtzeitig wahrzunehmen». Außerdem wird die überlange Dauer des Strafverfahrens von mehr als acht bzw. neun Jahren beanstandet. (Seite 323)
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), Luxemburg, erkennt in der qualifikationsbezogenen unterschiedlichen Entlohnung (hier: von Psychologinnen und Fachärzten) keine indirekte Frauen-Diskriminierung / Rs. Wiener Gebietskrankenkasse
In der Begründung wird ausgeführt: «[Daher] können zwei Gruppen von Arbeitnehmern mit unterschiedlicher Berufsausbildung, die aufgrund des unterschiedlichen Umfangs ihrer Berufsberechtigung, die sich aus dieser Ausbildung ergibt und auf deren Grundlage sie eingestellt wurden, unterschiedliche Aufgaben oder Tätigkeiten wahrzunehmen haben, nicht als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden.» (Seite 324)
EuGH sieht in behördlichen Beschränkungen der Vermietung von Bootsliegeplätzen (hier: am österreichischen Bodensee-Ufer) an Bootseigner aus anderen EU-Mitgliedstaaten eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit / Rs. Ciola
«Artikel 59 EG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er es nicht zuläßt, daß ein Mitgliedstaat dem Betreiber eines Bootshafens unter Androhung der Strafverfolgung verbietet, Bootsliegeplätze über ein bestimmtes Kontingent hinaus an Bootseigner zu vermieten, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind.» (Seite 326)
EuGH bekräftigt Rechtsprechung, wonach der Grundstückserwerb durch Gebietsfremde im Rahmen der Niederlassungsfreiheit sowie des freien Kapitalverkehrs gewährleistet ist, und nimmt zu Schadensersatzpflichten von Bundesstaaten Stellung / Rs. Konle
Das Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 verstößt gegen Art. 56 EG (früher Art. 73b EGV) insoweit, als es den Grundstückserwerb für ausländische EU-Bürger schwieriger gestaltet als für Inländer. Zu den haftungsrechtlichen Konsequenzen entscheidet der EuGH:
«Die Beurteilung, ob ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht hinreichend qualifiziert ist, um die außervertragliche Haftung eines Mitgliedstaats gegenüber einzelnen zu begründen, obliegt grundsätzlich den nationalen Gerichten.
Ein bundesstaatlich aufgebauter Mitgliedstaat kann seine gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen auch dann erfüllen, wenn nicht der Gesamtstaat den Ersatz der einem einzelnen durch gemeinschaftsrechtswidrige innerstaatliche Maßnahmen entstandenen Schäden sicherstellt.» (Seite 329)
House of Lords, London, billigt zeitliche Begrenzung extensiver Polizeieinsätze zum Schutz der Ausübung eines rechtmäßigen Gewerbes (hier: Tiertransporte per LKW und Schiff) gegen gewalttätige Demonstrationen / I.T.F. Ltd
Nachdem größere Fährunternehmen den Transport lebender Tiere auf das europäische Festland wegen der dagegen gerichteten zum Teil gewalttätigen Proteste aufgegeben hatten, gründete eine Gruppe von Landwirten und Spediteuren ein eigenes Fährunternehmen [International Trader's Ferry Ltd (I.T.F.)], das ab Januar 1995 überwiegend eigene Viehbestände über den Hafen Shoreham verschiffen sollte. Um das zu verhindern, waren an manchen Tagen 500-600 zum Teil gewalttätige Demonstranten am Hafengelände erschienen. Um die Transporte durchzusetzen, hatte der Polizeipräsident von Sussex bis zu knapp 1.200 Beamte eingesetzt. Aus Kostengründen kündigte er der Firma jedoch an, ab Ende April 1995 die Transporte nur noch an zwei aufeinanderfolgenden Tagen pro Woche oder an vier aufeinanderfolgenden Tagen alle zwei Wochen zu schützen, wobei Einsätze an Freitagen, Wochenenden und gesetzlichen Feiertagen abgelehnt würden. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Bezirksgericht ab, die Berufung wird von den fünf Lordrichtern mit zum Teil unterschiedlichen Begründungsschwerpunkten zurückgewiesen. (Seite 333)
Peter Szczekalla, Osnabrück, gibt in seiner Anmerkung („Gewalt und Grundrechte – Ein gemeineuropäisches Thema“) eine Kurzanalyse der I.T.F.-Entscheidung des House of Lords
Der Autor betont die enge Verzahnung von nationalem und Gemeinschaftsrecht, geht auf die unterschiedlichen Begründungsschwerpunkte der einzelnen Lordrichter ein und stellt fest: «Die Entscheidung des Oberhauses läßt sich schlußendlich nur als Ausschnitt aus dem klassischen Konflikt zwischen Recht und (Privat-) Gewalt begreifen, der immer wieder und gerade in jüngster Zeit in ganz verschiedener Gestalt aufscheint (…) Kein Mitgliedstaat der Rechtsgemeinschaft EU scheint davon verschont zu bleiben. Was bleibt, ist die Aufgabe, (relativ) trennscharfe rechtsstaatliche und -gemeinschaftliche Grenzen zu ziehen, sei es durch nationale und/oder europäische Gerichte. Ob dies dem Oberhaus vorliegend wirklich schon gelungen sein sollte, darf bezweifelt werden. Stellvertretend für diese Zweifel sei hier auf die eher unvermittelte Zurückweisung der Berufung durch Lord Cooke hingewiesen, der nach ausgiebiger Darlegung, daß sehr wohl genug Geld für Polizeischutz vorhanden gewesen sei, u. a. aus Gründen des rein wirtschaftlichen Interesses der Klägerin annimmt, daß der Polizeipräsident ein faires Gleichgewicht hergestellt habe. Dies deutet auf eine Fehlgewichtung wirtschaftlicher Freiheiten einschließlich ihres Grundrechtsgehalts hin.» (Seite 350)
Verfassungsgerichtshof (VfGH), Wien, sieht seine Zuständigkeit zur innerstaatlichen Normenkontrolle durch EU-Beitritt Österreichs nicht eingeschränkt und bestätigt grundsätzlich die Vorlagepflicht des VfGH an den EuGH
«Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Normenkontrolle als zentrales Element des rechtsstaatlichen Baugesetzes der österreichischen Bundesverfassung wurde durch den Beitritt Österreichs zur EU nicht eingeschränkt. Auch verlangt das Erfordernis der Effektivität des Gemeinschaftsrechts keine einschränkende Interpretation. Denn im verfassungsgerichtlichen Normenprüfungsverfahren wird keine endgültige Entscheidung darüber getroffen, ob Gemeinschaftsrecht oder nationales Recht bei der Lösung des Falles, der Anlaß zur Einleitung des Normenprüfungsverfahrens gegeben hat, anzuwenden ist. Wird in diesem Verfahren eine Rechtsvorschrift aufgehoben oder ihre Rechtswidrigkeit festgestellt und ist diese Rechtsvorschrift aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht unbedenklich, besteht aus eben dieser Sicht ebensowenig ein Problem, wie für den Fall einer Gemeinschaftsrechtswidrigkeit. Denn es kann zu keinem gemeinschaftswidrigen Ergebnis führen, wenn eine zwar nicht offenkundig, aber letztlich vielleicht doch gemeinschaftsrechtswidrige nationale Rechtsvorschrift vom nationalen Verfassungsgericht (schon) wegen Verstoßes gegen eine nationale Norm aufgehoben wird. Wird eine solche nationale Rechtsvorschrift aber im verfassungsgerichtlichen Normprüfungsverfahren nicht aufgehoben, ist die Frage des Vorranges des Gemeinschaftsrechtes vom letztlich zuständigen Gerichtshof des öffentlichen Rechts – gegebenenfalls nach Einholung einer Vorabentscheidung nach Art. 177 Abs. 3 EGV – zu klären.»
Im konkreten Fall hebt der VfGH den Umsatzsteuer-Bezug im burgenländischen Tourismusgesetz auf. (Seite 352)
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Karlsruhe, lehnt Antrag der PDS-Bundestagsfraktion gegen NATO-Einsatz zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo als unzulässig ab
Im Beschluß des Zweiten Senats vom 25. März 1999 heißt es: «Der Antrag zur Hauptsache ist unzulässig. Die Antragstellerin ist nicht antragsbefugt, weil weder ihre eigenen noch die Rechte des Deutschen Bundestages verletzt sein können. (…) Der 13. Bundestag hat am 16. Oktober 1998 militärischen Maßnahmen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo zugestimmt. Dieser Beschluß ermächtigt zu Luftoperationen der NATO, die in Phasen durchzuführen sind. Bei diesem Beschluß war dem Bundestag bewußt, daß der Einsatz aller Voraussicht nach ohne eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durchgeführt werden würde. (…)
Die späteren Beschlüsse nehmen auf den Beschluß vom 16. Oktober 1998 Bezug und machen damit deutlich, daß auch der 14. Deutsche Bundestag an dem Beschluß zu einer militärischen Operation zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe festhält.» (Seite 355)
S.a. die Kosovo-Friedensresolution des UN-Sicherheitsrats, S. 362 und den Aufsatz von Lange, S. 313.
BVerfG weist Richtervorlage zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der Stationierung von Atomwaffen in einem Strafverfahren wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit zurück
«Nach dem Vorlagebeschluß ist eine Rechtfertigung des regelverletzenden Verhaltens des Angeklagten „nicht ausgeschlossen“. Diese Formulierung läßt die Möglichkeit offen, daß das Gericht auch im Falle der Völkerrechtswidrigkeit von Nuklearwaffen zu dem Ergebnis kommt, daß das regelverletzende Verhalten des Angeklagten nicht gerechtfertigt werden kann. Für die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit reicht dies nicht aus. (…)
Auch die Ausführungen des Amtsgerichts zur Strafzumessung können die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht begründen, solange eine Auseinandersetzung mit dem Gebot der Friedlichkeit fehlt und außerdem nicht dargelegt ist, warum der strafrechtliche Schutz von Hausfrieden und Sachgütern und die daraus sich ergebenden Rechtsfolgen durch die völkerrechtliche Qualifikation der von den Atomwaffen geschaffenen allgemeinen Gefahrenlage berührt werden könnten.» (Seite 357)
BVerfG sieht in überlanger Dauer eines Prüfungsverfahrens (vier Jahre) einen Verstoß gegen die Berufsausübungsfreiheit
Der Beschwerdeführer (Bf.) hatte sich im Januar 1993 nach &Par; 2 Abs. 2 des Hamburgischen Gesetzes über die öffentliche Bestellung und allgemeine Vereidigung von Dolmetschern und Übersetzern im Januar 1993 zur Prüfung angemeldet. Erst nach Erhebung einer Klage auf Durchführung der Prüfung erhielt er einen Termin im Februar 1997. Danach wurde das Verfahren vom Verwaltungsgericht eingestellt. Der Bf. wendet sich vor dem BVerfG dagegen, daß ihm die Kosten für das Verfahren überbürdet werden.
Die 2. Kammer des Ersten Senats begründet: «Die Verwaltung muß grundsätzlich dafür Sorge tragen, daß Prüfungen ohne unnötige Verzögerungen abgenommen werden können. Sie hat es in der Hand, das Prüfungsverfahren so auszugestalten, daß sie diese Anforderung mit den ihr zur Verfügung stehenden Kapazitäten erfüllen kann. Gelegentlich auftretende Engpässe können unvermeidbar sein und sind dann auch vom Kandidaten hinzunehmen. Gründe dafür, daß dem Beschwerdeführer vorliegend eine Prüfungsdauer von vier Jahren zugemutet werden konnte, sind nicht ersichtlich.» (Seite 359)
BVerfG nimmt im Fall der dt.-franz. Kindesrückentführung durch den Vater (BVerfG, EuGRZ 1999, 171 f.) die Verfassungsbeschwerde des Vaters nicht zur Entscheidung an
Nachdem das BVerfG dem Vater im Falle einer für ihn ungünstigen OLG-Entscheidung vorläufigen Rechtsschutz gewährt hatte (EuGRZ 1999, 174), sprach des OLG – nach eingehender Abwägung des Kindeswohls – die Kinder der Mutter zu. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Vaters wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Die 3. Kammer des Zweiten Senats stellt fest: «Die Rückführungsentscheidung des Oberlandesgerichts orientiert sich am Kindeswohl und rechtfertigt damit den mit ihr verbundenen Eingriff in das Elternrecht des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.» (Seite 360)
EGMR-Präsident Wildhaber beklagt die steigende Überlastung des Gerichtshofs: «Der Arbeitsumfang ist entmutigend.»
Vorbeugende Abhilfe sieht Wildhaber in der bereits innerstaatlichen Beachtung der EMRK, so daß eine Beschwerde nach Straßburg überflüssig wird: «Regierung, Gesetzgeber und Richter müssen in den Mitgliedstaaten zusammenwirken, um die EMRK in der Gesamtheit ihrer Artikel und Zusatzprotokolle umzusetzen, gleichviel ob es sich um das Recht auf Leben handelt, um das Recht, nicht gefoltert zu werden, oder um den Anspruch auf ein faires Gerichtsverfahren in angemessener Frist.» (Seite 361)
UN-Sicherheitsrat, New York, kann wegen kooperativer Stimmenthaltung Chinas die Kosovo-Friedensresolution am 10. Juni 1999 verabschieden und damit das Ende der NATO-Intervention in Jugoslawien ermöglichen
In dem unter Beteiligung Rußlands ausgehandelten Text lautet der entscheidende Passus: «[Der Sicherheitsrat] beschließt, unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen im Kosovo internationale zivile und Sicherheitspräsenzen zu dislozieren, die über das erforderliche geeignete Gerät und Personal verfügen, und begrüßt es, daß die Bundesrepublik Jugoslawien diesen Präsenzen zugestimmt hat.»
Ausführlich werden Aufgaben und Kompetenzen der zivilen (Ziff. 11) und der Sicherheitspräsenz (Ziff. 9) definiert.
In Ziff. 19 beschließt der Sicherheitsrat, «die internationale zivile Präsenz und die internationale Sicherheitspräsenz zunächst für einen Zeitraum von 12 Monaten einzurichten, der verlängert wird, sofern der Sicherheitsrat nichts anderes beschließt.» (Seite 362)
S.a. in diesem Heft den Beitrag von Christian Lange, zu Fragen der Rechtmäßigkeit des NATO-Einsatzes im Kosovo, S. 313 und die Entscheidung des BVerfG zur selben Frage unter dem Aspekt der Rechte des Deutschen Bundestages, S. 355.
Europäischer Rat beschließt in Köln die Erarbeitung einer EU-Charta der Grundrechte
«Der Europäische Rat wird dem Europäischen Parlament und der Kommission vorschlagen, gemeinsam mit dem Rat eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf der Grundlage des Entwurfs feierlich zu proklamieren. Danach wird zu prüfen sein, ob und gegebenenfalls auf welche Weise die Charta in die Verträge aufgenommen werden sollte.» (Seite 364)
Österreichischer Verfassungsgerichtshof (VfGH), Wien, dokumentiert Loyalität gegenüber der europäischen Rechtsordnung durch Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
Im Ausgangsverfahren geht es konkret um die nur bestimmten Unternehmensgruppen gewährte Rückerstattung von Energieabgaben auf Erdgas und Strom.
Zur Vorlagepflicht auch eines nationalen Verfassungsgerichts an den EuGH führt der VfGH aus: «Der Verfassungsgerichtshof ist im Sinne des Artikels 177 Absatz 3 EGV ein Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist daher für den Verfassungsgerichtshof verpflichtend.
Im Sinne der Judikatur des EuGH ist das nationale letztinstanzliche Gericht unter anderem dann von der Vorlagepflicht entbunden, wenn es feststellt, daß die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt; ob ein solcher Fall gegeben ist, ist unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft zu beurteilen.» (Seite 365)