EuGRZ 2003
29. August 2003
30. Jg. Heft 12-13

Informatorische Zusammenfassung

EU-Verfassungsvertrag / Der abschließende Entwurf des Konvents besteht aus vier Teilen und fünf Protokollen sowie drei beigefügten Erklärungen
Nachdem am 20. Juni auf dem Gipfel in Thessaloniki lediglich die Teile I (Grundlagen) und II (Grundrechte-Charta) sowie drei Protokolle in der endgültigen Fassung vorlagen, hat Konventspräsident Valéry Giscard d'Estaing den gesamten abschließenden Entwurf am 18. Juli dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi als derzeitigem Ratsvorsitzenden in Rom übergeben.
Dazu gehören über die Fassung von Thessaloniki (EuGRZ 2003, Heft 11, S. 357 ff.) hinaus Teil III (Politikbereiche und Arbeitsweise der Union) und Teil IV (Allgemeine und Schlussbestimmungen) sowie insgesamt fünf Protokolle.
(Gesamtinhaltsverzeichnis, Seite 389)
Änderungen der Gesamt-Präambel sowie der Teile I und II im abschließenden Entwurf des Konvents gegenüber der in Thessaloniki vorgelegten Fassung. (Seite 447)
Weiteres Verfahren – Auf Einladung des Europäischen Parlaments wird Giscard d'Estaing am 3. September vor dem Plenum in Straßburg den Entwurf vorstellen. Der Institutionelle Ausschuss des EP hätte dann noch knapp zwei Wochen, um eine ausführliche Stellungnahme (Co-Berichterstatter: Gil-Robles und Tsatsos) vorzubereiten, die im Plenum auf der Sitzung vom 22. bis 25. September in Straßburg und damit rechtzeitig vor Beginn der Regierungskonferenz Anfang Oktober in Rom verabschiedet werden könnte.
Das Mandat der Regierungskonferenz, wie es von den Staats- und Regierungschefs in Thessaloniki beschlossen wurde, ist insofern mit einem Beschleunigungsgebot verbunden, als die Regierungskonferenz „so bald wie möglich … Einvernehmen über den Vertrag über die Verfassung erzielen [sollte], so dass genügend Zeit bleibt, damit sich die europäischen Bürger vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2004 mit dieser Verfassung vertraut machen können“.
Die Zusammensetzung der Regierungskonferenz ist deshalb von besonderem Interesse, weil die zehn im Mai 2004, also noch vor der nächsten Wahl zum EP, beitretenden Staaten „gleichberechtigt und ohne Einschränkungen“ teilnehmen werden. Die drei Bewerberländer – Bulgarien, Rumänien und die Türkei – sind als Beobachter eingeladen. (Hinweis d. Red., Seite 389)
Politischer Zusammenhang zwischen Herzog-Konvent (Grundrechte) und Giscard-Konvent (Verfassung) – Zum Entstehen des vorliegenden Gesamtentwurfs der EU-Verfassung und zum Erfolg des Konvent-Verfahrens überhaupt cf. die EuGRZ-Fundstellen betr. die einzelnen Etappen des Giscard-Konvents und dieStandard setzende Erarbeitung der Grundrechte-Charta durch den Herzog-Konvent, wobei die Charta auf Initiative des Vorsitzenden so konzipiert wurde, „als ob“ sicher wäre, dass sie geltendes Recht würde. (Seite 392)
Die Gesamt-Präambel begreift den Kontinent Europa als einen „Träger der Zivilisation“ (Heft 11, Seite 358)
Zu dem der Gesamtpräambel vorangestellten Thukydides-Zitat cf. die Quellen-Nachweise am Ende der Informatorischen Zusammenfassungen von Heft 11.
Teil I: Grundlagen – bereits veröffentlicht in EuGRZ 2003, Heft 11, Seiten 358-368. Ein Überblick über den Inhalt der einzelnen Titel findet sich in den Informatorischen Zusammenfassungen von Heft 11. Änderungen gegenüber der Fassung von Thessaloniki, in diesem Heft S. 447.
Teil II: Charta der Grundrechte der Union – bereits veröffentlicht in Heft 11, Seiten 369-373. Redakt. Änderungen gegenüber der Fassung von Thessaloniki, in diesem Heft S. 447.
Teil III: Die Politikbereiche und Arbeitsweise der Union – Die sieben Titel von Teil III sind im einzelnen wie folgt überschrieben: (Seiten 393-439)
                                                 Titel I: Allgemein anwendbare Bestimmungen
Kohärenz von Politik und Maßnahmen der verschiedenen Bereiche der Unionspolitik und Grundsatz der Einzelermächtigung, Beseitigung der Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen, Diskriminierungsverbote, Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung, Verbraucherschutz, Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zur Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts (Art. III-1 bis III-6).
                                           Titel II: Nichtdiskriminierung und Unionsbürgerschaft
Ermächtigungen zum und Modalitäten beim Erlass Europäischer Gesetze in diesem Bereich, insbesondere zur Erleichterung der Ausübung der Rechte jedes Unionsbürgers, des Wahlrechts, des Anspruchs auf diplomatischen und konsularischen Schutz, der Sprachenfreiheit, Berichtspflichten der Kommission (Art. III-7 bis III-13).
                                             Titel III: Interne Politikbereiche und Maßnahmen
Die fünf Kapitel (Art. III-14 bis III-185) regeln Fragen des Binnenmarktes (Kapitel I), der Wirtschafts- und Währungspolitik (II), Politik in Einzelbereichen (III), Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts mit Problemen betr. Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung, justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen und in Strafsachen sowie polizeiliche Zusammenarbeit (IV), mögliche Bereiche für Koordinierungs-, Ergänzungs- oder Unterstützungsmaßnahmen wie Gesundheitswesen, Industrie, Kultur, Bildung, Jugend und Sport, Katastrophenschutz und Verwaltungszusammenarbeit (V).
Besonders hervorzuheben sind im Kapitel über den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts die gegenseitige Anerkennung der verschiedenen Rechtstraditionen und Rechtsordnungen (Art. III-158), das Mandat an die nationalen Parlamente bei Gesetzgebungsvorschlägen- und Initiativen „für die Achtung des Subsidiaritätsprinzips Sorge zu tragen“ (Art. III-160). Zuständigkeiten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit verbleiben ausdrücklich bei den Mitgliedstaaten (Art. III-163).
Zu Grenzkontrollen, Visa, Asyl und Einwanderung entwickelt die Union eine gemeinsame Politik (Art. III-166 bis Art. III-169).
Die für das ordnungsgemäße Funktionieren der Union „entscheidende effektive Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten ist als Frage von gemeinsamem Interesse“ anzusehen (Art. III-185).
                         Titel IV: Die Assoziierungen der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete
Es handelt sich um Gebiete Dänemarks, Frankreichs, der Niederlande und des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland (Art. III-186 bis Art. III-192).
                                                         Titel V: Auswärtiges Handel der Union
Die acht Kapitel (Art. III-193 bis III-231) betreffen neben allgemeinen Bestimmungen (Kapitel I), Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (II), Handelspolitik (III), Zusammenarbeit mit Drittländern und humanitäre Hilfe (IV), Restriktive Maßnahmen (V), Internationale Übereinkünfte incl. des angestrebten Beitritts zur EMRK (VI), Beziehungen der Union zu internationalen Organisationen, Drittländern und Delegationen der Union (VII), Anwendung der Solidaritätsklausel (VIII).
Für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik fordert Art. III-195: „[Die Mitgliedstaaten] enthalten sich jeder Handlung, die den Interessen der Union zuwiderläuft oder ihrer Wirksamkeit als kohärenter Kraft in den internationalen Beziehungen schaden könnte.“
Zu den Kompetenzen des Außenministers der Union gehört es, „sicherzustellen, dass die vom Europäischen Rat und vom Ministerrat erlassenen Europäischen Beschlüsse durchgeführt werden“. Er stützt sich auf einen Europäischen Auswärtigen Dienst (Art. III-197).
Siehe außerdem die Erklärung über die Errichtung eines Europäischen Auswärtigen Dienstes. (Seite 442)
                                                         Titel VI: Arbeitsweise der Union
Vorschriften über Organe und Finanzverfassung der Union sowie über die verstärkte Zusammenarbeit eines Teils der Mitgliedstaaten innerhalb der Union (Art. III-232 bis III-329).
Der Gerichtshof wird ausdrücklich mit dem Mandat eines Verfassungsgerichts ausgestattet (Art. III-266, III-274). Sofern die Satzung des Gerichtshofs geändert werden kann, darf dies nur auf Antrag des Gerichtshofs nach Anhörung der Kommission oder auf Vorschlag der Kommission nach Anhörung des Gerichtshofs geschehen (Art. III-289).
Zum Individualrechtsschutz bestimmt Art. III-270 Abs. 4: „Jede natürliche oder juristische Person kann … gegen die an sie ergangenen oder sie unmittelbar betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben.“
                                                     Titel VII: Gemeinsame Bestimmungen
Die Verfassung läßt die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt (Art. III-331); Haftung, Sitz der Organe und Regelung der Sprachenfrage (Art. III-337 ff.); Fortgeltende Prärogativen der Mitgliedstaaten wie Auskunftsverweigerung gegenüber der Union und Bestimmungen über die Herstellung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial bzw. den Handel damit bei Wahrung wesentlicher Sicherheitsinteressen (Art. III-342).
Teil IV: Allgemeine und Schlussbestimmungen – behandelt (Art. IV-1 bis IV-10) u. a. die Symbole der Union, die Aufhebung früherer Verträge, die rechtliche Kontinuität hinsichtlich EG und EU, den territorialen Geltungsbereich, die Erklärung der Protokolle zum Bestandteil der Verfassung, das Verfahren der Ratifikation und bei Vertragsänderungen, die Geltungsdauer auf „unbegrenzte Zeit“ und die Sprachen der Union. (Seite 439)
Die Zahl der gegenwärtig fünf Protokolle – kann noch erweitert werden. Der Konvent wollte es der Regierungskonferenz überlassen, die von ihm als redaktionelle Aufgabe betrachteten einschlägigen Konsequenzen aus den früheren Verträgen vollständig zu transponieren. (Liste der Protokolle und Erklärungen: Seite 392)
Mitglieder des Konvents, incl. der stellvertretenden Mitglieder, der Vertreter aus 13 beitrittswilligen Ländern von Bulgarien bis Türkei, der Beobachter und des Sekretariats.  (Seite 442)