EuGRZ 2007 |
30. November 2007
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34. Jg. Heft 19-21
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Informatorische Zusammenfassung
Thomas Buergenthal wurde auf Beschluss der Juristischen Fakultät die Ehrendoktorwürde der Georg-August-Universität Göttingen verliehen
Auf dem Festakt am 19. April 2007 in der historischen Aula der Universität überreichte Dekan Alexander Bruns die Urkunde. Der vorm. Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg Luzius Wildhaber hielt die Laudatio.
Thomas Buergenthal (geb. 1934), dessen Mutter in Göttingen geboren wurde, hatte als Kind Auschwitz und den Todesmarsch nach Sachsenhausen überlebt. Sein Vater, die Eltern seiner Mutter und zahlreiche Verwandte sind in den Konzentrationslagern Nazi-Deutschlands ermordet worden. Nach seiner Befreiung durch sowjetische Truppen im April 1945 in Sachsenhausen und einer langen Odyssee durch verschiedene Länder fand Thomas Buergenthal im Dezember 1946 seine Mutter, die Auschwitz überlebt hatte, in Göttingen wieder. Dort ging er zur Schule, bis er 1951 nach Amerika auswanderte.
Nach dem Studium an der New York University erwarb er den L.L.M.- sowie den Doktor-Grad an der Harvard-Universität. Als Professor lehrte er an der State University of New York in Buffalo, an der University of Texas in Austin, an der Rechtsfakultät (deren Dekan er war) der American University in Washington, D.C., an der Emory University in Atlanta und schließlich an der George Washington University in Washington, D.C., bevor er zum Richter am Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag gewählt wurde, dem er seit dem 2. März 2000 angehört (cf. EuGRZ 2006, 109 f.).
Alexander Bruns, Dekan der Juristischen Fakultät, erklärt in seiner feierlichen Begrüßung: «Die heutige Ehrung ist für unsere Fakultät auch deshalb von ganz besonderer Bedeutung. Das Völkerrecht, dem das wissenschaftliche Werk und Wirken von Thomas Buergenthal als Richter gilt, kann in Göttingen auf eine lange ehrwürdige Tradition zurückblicken. (…) [Sie] umfasst unter anderem so klangvolle Namen wie Georg Friedrich von Martens (1756 bis 1821), der als Begründer des modernen Völkerrechts die Juristische Fakultät der Georg-August-Universität weltweit als erste Adresse völkerrechtlicher Forschung und Lehre bekannt machte.»
Bruns fährt an anderer Stelle fort: «Der Nationalsozialismus hat seine Schatten teilweise auch auf die Juristische Fakultät der Georg-August-Universität geworfen. (…) Nach Kriegsende wurden insgesamt acht Göttinger Professoren aus dem Dienst entfernt, vier von ihnen waren Juristen. Ihre Relegation eröffnete der Juristischen Fakultät die Chance eines Neuanfangs, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten. (…)
Und es ehrt uns, die Juristische Fakultät der Georgia Augusta und mich ganz persönlich, auf das Höchste, dass Thomas Buergenthal bereit ist, die höchste akademische Ehrung von der Göttinger Juristenfakultät entgegenzunehmen.» (Seite517)
Luzius Wildhaber, Basel, wählt als Ausgangspunkt für seine Laudatio die kürzlich erschienene Autobiographie des Geehrten
Buergenthal widmet sein Buch (Ein Glückskind, S. Fischer Verlag) dem Andenken seiner Eltern, „deren Liebe, Charakterstärke und Integrität dieses Buch inspiriert haben“. Wildhaber nimmt dies auf und sagt: «Die Eltern wären stolz auf ihren Sohn, denn Liebe, Charakterstärke und Integrität sind genau die Eigenschaften, die sein Leben und sein Lebenswerk auszeichnen.»
Zu den zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen bemerkt der Schweizer Völkerrechtler: «Thomas Buergenthal schreibt den einfachen, schönen Stil des Könners. (…) Sein lebenslanger Beitrag zur Grundlegung und zur Entwicklung des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes ist allgemein anerkannt und geschätzt und ist so tiefgehend und bedeutsam, dass man feststellen muss, er habe einen massgeblichen Teil der Geschichte dieses Menschenrechtsschutzes selber geschrieben und gestaltet.»
Abschließend setzt Wildhaber seine Erfahrungen als Richter des früheren EGMR (1991-1998) und als erster Präsident des neuen ständigen EGMR (1998-2007) zu Betrachtungen in Beziehung, in denen Buergenthal vor zehn Jahren die normative und institutionelle Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes in vier Etappen charakterisiert hatte: «Heute (…) müssen wir uns natürlich die bange Frage stellen, ob wir nicht eine fünfte Etappe durchlaufen, eine Etappe der Relativierung der Fortschritte, die wir geglaubt hatten, erreicht zu haben, auch eine Etappe, in der uns die Fragilität der menschenrechtlichen Institutionen (…) vorgeführt wird.» (Seite 518)
Thomas Buergenthal, Den Haag, beschreibt in seiner Dankesrede zur Göttinger Ehrenpromotion seine besondere Beziehung zu dieser Stadt
Die Wurzeln seiner Familie reichen in der Geburtsstadt seiner Mutter bis zu den Urgroßeltern zurück:
«Obwohl ich nicht hier geboren bin, ist Göttingen meine emotionale Heimatstadt; denn hier ist der Ort, an dem ich mit meiner Mutter wieder vereint war, nachdem wir in Auschwitz getrennt wurden; hier habe ich lesen und schreiben gelernt; und hier habe ich gelebt, bis ich 1951 nach Amerika ging. Hier in Göttingen fand ich meine ersten deutschen Freunde und hier wurde mir klar, dass es einen großen Unterschied gab zwischen den Deutschen, die so viel Leid über meine Familie gebracht hatten, und jenen, die ich in Göttingen kennen lernte.»
Unter den besonderen Eindrücken seiner Aufgaben außerhalb des Professorenberufs hebt Buergenthal die zwölf Jahre als einer der ersten sieben Richter des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte in San José (Costa Rica) hervor und den Dienst in der dreiköpfigen UNO-Wahrheitskommission für El Salvador zur Aufklärung der Verbrechen beider Seiten während des (bis 1991) zwölf Jahre dauernden Bürgerkriegs.
Sodann unterstreicht Buergenthal die positive Sicht der Dinge, durch die sein Leben auf vielfältige Weise geprägt sei:
«Die Tatsache, dass ich hier in der berühmten Göttinger Aula vor Ihnen stehe und die Ehrendoktorwürde dieser Universität entgegennehme, wo doch zur Zeit meiner Geburt – 1934 – kein vernünftiger Mensch auch nur auf den Gedanken gekommen wäre, dies für möglich zu halten, rechtfertigt meine Überzeugung, dass das ständige Bemühen um Frieden und Menschenrechte keine Selbsttäuschung ist. Es ist zu erreichen. Und vor allem: Es ist wert, dafür zu kämpfen.» (Seite 520)
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, Große Kammer – GK), Straßburg, erklärt sich für Beschwerden gegen Truppensteller-Staaten im Rahmen von internationalen Friedenstruppen unter der alleinigen Verantwortung der Vereinten Nationen für unzuständig ratione personae / Behrami gegen F und Saramati gegen D, F und N
Das bedeutet, die beschwerdeführenden Personen unterstehen wegen der Gesamtverantwortung der Vereinten Nationen nicht der Jurisdiktion der Truppensteller-Staaten i.S.v. Art. 1 EMRK. Die Beschwerden sind deshalb unzulässig.
Im Fall Behrami hatten spielende Kinder Munition gefunden und eine Streubombe in die Luft geworfen. Durch die Explosion der Bombe fand ein Kind den Tod, ein weiteres Kind wurde schwer verletzt und erblindete. Die Bf. rügen, die französischen KFOR-Truppen hätten es versäumt, die noch nicht detonierte Streubombe zu markieren oder zu entschärfen.
Der Bf. Saramati war unter dem Verdacht des versuchten Mordes und des unerlaubten Waffen- bzw. Sprengstoff-Besitzes auf Befehl des KFOR-Kommandanten, zu der Zeit ein norwegischer Offizier, in Haft genommen worden. Die Haft wurde später von einem französischen General als nachfolgendem KFOR-Kommandanten jeweils verlängert. Nachdem die deutsche Regierung im Straßburger Verfahren erklärt hatte, trotz umfassender Ermittlungen seien entgegen der Behauptung des Bf. keine Anhaltspunkte für eine irgendwie geartete Beteiligung eines deutschen Offiziers an den gerügten Haft-Entscheidungen ersichtlich, nahm der Bf. seine Beschwerde insoweit zurück.
Der EGMR beschreibt in seiner Entscheidung zunächst die historische Entwicklung der humanitären Intervention zur Rettung der Kosovo-Albaner vor den, auf Befehl des Präsidenten von Rest-Jugoslawien Milošević, unverhältnismäßig agierenden serbischen Truppen 1998/1999, die Luftschläge der NATO gegen Serbien, die Resolution 1244 des Sicherheitsrates, nach der sowohl eine zivile Übergangsverwaltung (UNMIK – United Nations Interim Administration Mission in Kosovo) als auch eine militärische Präsenz (KFOR – Kosovo Force) unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen etabliert wurde.
Im Sinne der Argumentation der belangten Regierungen bzw. der in Straßburg als Drittbeteiligte auftretenden Regierungen gelangt der EGMR zu dem Ergebnis, «dass die Anordnung von Haftmaßnahmen Teil des Sicherheitsmandats der KFOR und die Überwachung der Minenräumung Teil des Mandats der UNMIK waren».
Daraus folgt: «In den vorliegenden Fällen hingegen können die streitigen Handlungen und Unterlassungen der KFOR und der UNMIK den beschwerdegegnerischen Staaten nicht zugerechnet werden, wobei sie übrigens weder im Hoheitsgebiet dieser Staaten erfolgten noch aufgrund von Entscheidungen ihrer Behörden vorgenommen wurden. (…)
Wie der Gerichtshof im Vorstehenden hervorgehoben hat, ist die UNMIK ein Unterorgan der UNO, errichtet nach Kapitel VII der Charta, und die KFOR hat Befugnisse wahrgenommen,die ihr rechtmäßig vom Sicherheitsrat nach Maßgabe dieses Kapitels übertragen worden sind. Deren Vorgehen ist demnach den VN als Weltorganisation, die ein zwingendes Gebot der kollektiven Sicherheit erfüllt, unmittelbar zuzurechnen.» (Seite 522)
EGMR bestätigt Verbot der Vereinigung „Kalifat-Staat“ wegen gewaltbereiter Bekämpfung der verfassungsmäßigen Ordnung in Deutschland zur Errichtung einer weltweiten islamischen Ordnung auf der Grundlage der Scharia / „Kalifat-Staat“ (Kaplan) gegen Deutschland
Die Beschwerde wird für unzulässig erklärt, weil sie offensichtlich unbegründet ist (Art. 35 Abs. 3 EMRK). Der Gerichtshof stellt fest, «die Bf. selbst erkennt an, dass sie langfristig eine weltweite islamische Ordnung auf der Grundlage der Scharia schaffen wolle, und [der EGMR] erinnert bei dieser Gelegenheit daran, dass die Scharia mit den grundlegenden Prinzipien der Demokratie, wie sie in der Konvention festgeschrieben sind, unvereinbar ist (s. Refah Partisi, Ziff. 123 = EuGRZ 2003, 206 [218]). Ferner ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die Aussagen und das Verhalten der Mitglieder der Bf. und insbesondere ihres Leiters dieser zuzurechnen waren und zeigen, dass sie die Gewaltanwendung zur Verwirklichung ihrer Ziele nicht ausschloss. Wie die innerstaatlichen Gerichte sieht es der Gerichtshof als in überzeugender Weise erwiesen an, dass weniger strenge Maßnahmen nicht ausgereicht hätten, um die reale Bedrohung einzudämmen, welche die Bf. gegenüber der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland darstellte.» (Seite 543)
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), Luxemburg, sieht in dem generellen Ausschluss der Berücksichtigung von Schulgeldzahlungen an (Privat-)Schulen im EU-Ausland als steuermindernde Sonderausgaben eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) bzw. des allgemeinen Freizügigkeitsrechts des Unionsbürgers (Art. 18 EG) / Rs. Schwarz u.a.
Das Urteil ist auf Vorlage des FinG Köln ergangen. Der EuGH führt u.a. aus: «Art. 49 EG ist demnach auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens anwendbar, wenn Steuerpflichtige eines bestimmten Mitgliedstaats ihre Kinder in eine Privatschule in einem anderen Mitgliedstaat schicken, die als Erbringer entgeltlicher Dienstleistungen angesehen werden kann, d.h., im Wesentlichen aus privaten Mitteln finanziert wird. Ob dies der Fall ist, hat das nationale Gericht zu prüfen.»
Zu den von der Bundesregierung vorgetragenen fiskalischen Argumenten stellt der EuGH fest: «Wie die Generalanwältin in Nr. 62 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist es einem Mitgliedstaat zur Vermeidung einer übermäßigen finanziellen Belastung nämlich möglich, die Abzugsfähigkeit des Schulgelds auf einen bestimmten Betrag zu beschränken, der der steuerlichen Vergünstigung entspricht, die dieser Staat gemäß bestimmten eigenen Wertvorstellungen für den Besuch von Schulen im Inland gewährt, was ein milderes Mittel als die Versagung der betreffenden Steuervergünstigung wäre.» (Seite 546)
EuGH qualifiziert die Beschränkung der teilweisen steuerlichen Abzugsfähigkeit von Schulgeldzahlungen auf inländische Einrichtungen als Verletzung von Art. 18, 39, 43 und 49 EG / Kommission gegen Deutschland
Während in dem vorstehenden Urteil (Rs. Schwarz, S. 546) der Blickwinkel des EuGH durch die Vorlage des FinG Köln auf die Art. 49 und 18 EG beschränkt war, erstrecken sich die Beanstandungen der Kommission im vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren auch auf weitere Vorschriften. (Seite 553)
EuGH sieht Berufsgeheimnis und Unabhängigkeit von Rechtsanwälten trotz der Informationspflichten gegenüber den Behörden bei der Verfolgung von Geldwäsche-Delikten wegen der berufsspezifischen Ausnahmeregelungen im Gemeinschaftsrecht gewahrt / Rs. Ordre des barreaux francophones et germanophone et al.
Vor dem belgischen Verfassungsgerichtshof greifen die Anwaltskammern des Landes das innerstaatliche Gesetz zur Umsetzung der Geldwäsche-RL an. Auf Vorlage des Verfassungsgerichtshofs stellt der EuGH fest:
Die in Art. 6 Abs. 1 der RL 91/308/EWG i.d.F. der RL 2001/97/EG vorgesehenen Pflichten zur Information und zur Zusammenarbeit mit den Behörden, «die den Rechtsanwälten in Art. 2a Nr. 5 dieser Richtlinie auferlegt worden sind, verstoßen angesichts von Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie nicht gegen das Recht auf ein faires Verfahren, wie es durch Art. 6 EMRK und Art. 6 Abs. 2 EU gewährleistet wird.» (Seite 562)
EuGH beschränkt Opfer-Begriff i.S.d. Rahmenbeschlusses 2001/220/JI auf natürliche Personen / Rs. Dell'Orto
«Opfer im Sinne des Rahmenbeschlusses ist nach dessen Art. 1 Buchst. a eine „natürliche“ Person, die einen Schaden, insbesondere eine Beeinträchtigung ihrer körperlichen und geistigen Unversehrtheit, seelisches Leid oder einen wirtschaftlichen Verlust als direkte Folge von Handlungen oder Unterlassungen erlitten hat, die einen Verstoß gegen das Strafrecht eines Mitgliedstaats darstellen. (…)
Eine Auslegung des Rahmenbeschlusses dahin, dass er auch „juristische“ Personen erfasst, die wie die Privatklägerin im Ausgangsverfahren geltend machen, sie hätten einen Schaden als direkte Folge einer Straftat erlitten, verstieße gegen den Wortlaut seines Art. 1 Buchst. a.» (Seite 566)
Schweizerisches Bundesgericht (BGer), Lausanne, sieht in der Übergabe eines flüchtigen Tatverdächtigen durch die Behörden eines anderen Staates an Schweizer Polizeibeamte keine völkerrechtswidrige Entführung
Gegen den Bf., einen deutschen Staatsangehörigen, lief ein von der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich geführtes Strafverfahren wegen gewerbsmäßigen Anlagebetrugs. Seiner Verhaftung konnte er sich durch die Flucht in die Dominikanische Republik entziehen. Von den dortigen Behörden wurde er in Santo Domingo festgenommen, ausgewiesen und den schweizerischen Behörden übergeben. (Seite 571)
Österreichischer Verfassungsgerichtshof (VfGH), Wien, beanstandet eine aus innerstaatlichem Recht und Gemeinschaftsrecht gemischte Rechtsquelle als Verstoß gegen den Grundsatz der Geschlossenheit des Rechtsquellensystems
§ 13 Abs. 4 EmissionszertifikateG (EZG) wird als verfassungswidrig aufgehoben. Der VfGH stellt in dem Erkenntnis fest:
«Mit dem nationalen Zuteilungsplan in seiner durch die Vorgaben der Europäischen Kommission geprägten abweichenden Gestalt wurde somit – ohne dass das Recht der Europäischen Union dazu zwingt – eine Rechtsquelle geschaffen, die sowohl funktionell als auch organisatorisch Gemeinschaftsrecht mit innerstaatlichem Recht vermengt: Funktionell dienen die nationalen Zuteilungspläne der Erreichung des Kyoto-Zieles (Reduktion um 8 % bezogen auf die Emissionen an CO2 des Jahres 1990) sowie der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen unter den Mitgliedstaaten (vgl. Erwägungsgrund 7 der [Emissionshandels]-RL). Innerstaatlich sollen die Zertifikate auf die entsprechenden Anlagen bzw. deren Betreiber bedarfsgerecht aufgeteilt werden. Organisatorisch beruht der nationale Zuteilungsplan auf der Ausarbeitung eines innerstaatlichen Verwaltungsorgans (vgl. § 11 Abs. 1 EZG), eines obersten Organs der Vollziehung (Art. 19 Abs. 1 B-VG), das sich abweichende Vorgaben durch die Europäische Kommission gefallen lassen muss.»
Zudem finde eine rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts beim nationalen Zuteilungsplan in seiner durch die Vorgaben der Europäischen Kommission korrigierten Gestalt nicht statt. (Seite 575)
Oberster Gerichtshof (OGH), Wien, sieht sich aufgerufen, «nicht bloß die Rechtsprechung des EGMR nachzuvollziehen, sondern erforderlichenfalls selbst Akzente ihrer Weiterbildung zu setzen»
Konkret geht es um die Erneuerung eines Strafverfahrens. Grundsätzlich hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
«Trifft nämlich nach Art. 13 MRK den Konventionsstaat die Verpflichtung, jedem, der mit einer gewissen Plausibilität darlegt, in seinen Konventionsrechten verletzt zu sein, die Berufung auf das Recht auf eine wirksame Beschwerde zuzugestehen, mit anderen Worten, sicherzustellen, dass es eine nationale Instanz gibt, die sich mit der Frage der Verletzung eines Konventionsrechts auseinandersetzt (Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2 § 24 Rz 170), so kann die Vorschrift des § 363a Abs. 1 StPO nicht dahin verstanden werden, die Erneuerung des Strafverfahrens aufgrund einer Verletzung von Konventionsrechten nur in jenen Fällen zu ermöglichen, in denen die Konventionsverletzung bereits in einem Urteil des EGMR festgestellt wurde.» (Seite584)
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Karlsruhe, bekräftigt den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz in einem strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahren
In einer vor dem BVerfG relativ seltenen Konstellation geht es um die verfassungsrechtliche Relevanz strafrechtlicher Beweisfragen in einem Mordprozess. Die 2. Kammer des Zweiten Senats stellt fest, «dass nicht nur das Landgericht [Köln], sondern auch das Oberlandesgericht [Köln] § 386 StPO im Zusammenhang mit der Bewertung der neuen Tatsachen hinsichtlich der Schussreihenfolge in einer Weise gehandhabt haben, die das Wiederaufnahmeverfahren ineffektiv macht und eine effektive Rechtsgewährleistung verhindert.»
Bei der vom Bf. unter Hinweis auf ein medizinisches und ein kriminalbiologisches Gutachten behaupteten anderen, als von den verurteilenden Gerichten angenommenen, Schussreihenfolge würde das Mordmerkmal der Heimtücke entfallen. (Seite 586)
BVerfG verschärft gegenüber Gerichten und Regierungen vorsorglich den Ton zur Vermeidung überlanger Verfahrensdauer und Untersuchungshaft
In Fortführung ihrer gefestigten Praxis zum Beschleunigungsgebot in Haftsachen nimmt die 3. Kammer des Zweiten Senats zwei, wenn auch nicht hinreichend substantiierte, Verfassungsbeschwerden zum Anlass, die energische Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Möglichkeiten anzumahnen und den Regierungen der Länder und des Bundes ihre Verantwortung für die Arbeitsfähigkeit der Justiz vorzuhalten:
«Der Beschwerdeführer hat es nicht zu vertreten, wenn seine Haftsache nicht binnen angemessener Zeit zum Abschluss gelangt, nur weil dem Gericht die personellen und sächlichen Mittel fehlen, die zur ordnungsmäßigen Bewältigung des Geschäftsanfalls erforderlich sind (vgl. BVerfGE 36, 264 [274]). Die mit der Haftprüfung betrauten Gerichte verfehlen die ihnen obliegende Aufgabe, den Grundrechtsschutz der Betroffenen zu verwirklichen, wenn sie angesichts des Versagens des Staates, die Justiz mit dem erforderlichen richterlichen Personal auszustatten, die im Falle einer Verletzung des Beschleunigungsgebots gebotenen Konsequenzen nicht ziehen.»
Mit anderen Worten: Bei überlanger Verfahrensdauer wegen mangelnder Ausstattung der Gerichte wäre Beendigung der Untersuchungshaft aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. (Seiten 590, 591)
BVerfG zieht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) des Roman-Autors Grenzen gegenüber dem Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) des identifizierbaren und im Intimbereich bloßgestellten realen Vorbilds einer Roman-Figur (hier: frühere Partnerin des Autors) / „Esra“-Beschluss
Das von den Zivilgerichten ausgesprochene Veröffentlichungsverbot des Romans „Esra“ wird im Hinblick auf die weibliche Hauptperson (Klägerin zu 1), nicht jedoch im Hinblick auf deren Mutter (Klägerin zu 2), bestätigt.
Der Erste Senat führt u.a. aus: «Die Schwere der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts hängt dabei sowohl davon ab, in welchem Maß der Künstler es dem Leser nahe legt, den Inhalt seines Werks auf wirkliche Personen zu beziehen, wie von der Intensität der Persönlichkeitsbeeinträchtigung, wenn der Leser diesen Bezug herstellt. (…)
Die Entscheidung darüber, ob eine Persönlichkeitsverletzung vorliegt, kann daher nur unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls getroffen werden. Dabei ist zu beachten, ob und inwieweit das „Abbild“ gegenüber dem „Urbild“ durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbständigt erscheint, dass das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhafte der „Figur“ objektiviert ist.»
Danach ist das Veröffentlichungsverbot, soweit die Zivilgerichte der Klägerin zu 1) gegenüber Autor und Verleger einen Unterlassungsanspruch zuerkannt haben, im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden: «[Die Gerichte haben] hier nicht nur die Erkennbarkeit der Klägerin zu 1), sondern auch in bestimmten Schilderungen des Romans konkrete schwere Persönlichkeitsrechtsverletzungen festgestellt. Dabei haben sie teilweise auf die Verletzung der Intimsphäre, teilweise auf die Mutter-Tochter-Beziehung im Hinblick auf die lebensbedrohliche Krankheit der Tochter abgestellt. Beide Gesichtspunkte vermögen das Verbot zu tragen.» (Seite 592)
Richterin Hohmann-Dennhardt und Richter Gaier haben der Entscheidung eine abweichende Meinung beigegeben (S. 602); ebenso Richter Hoffmann-Riem (S. 605).
BVerfG sieht in der gesetzlichen Beschränkung des Familienzuschlags auf verheirate Beamte keine verfassungswidrige Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften
«§ 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG bindet die Gewährung des Familienzuschlags an die Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Damit erfüllt die Vorschrift den Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG, wonach neben der Familie nur die Ehe unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung steht.»
Das Ergebnis ist auch mit der Richtlinie 2000/78/EG vereinbar. Im Ausgangsverfahren war das Bundesverwaltungsgericht nicht verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. (Seite 609)
Bundesministerium der Justiz, Berlin, gibt Übersicht über EGMR-Verfahren gegen Deutschland im Jahr 2006. (Seite 615)
Richard Wiedemann, Freiburg i.Br., berichtet über rechtsvergleichende Tagung der Universität Siena zum Thema: Bioethik und Menschenrechte. (Seite 622)
BVerfG erlässt keine einstweiligen Anordnungen gegen die Fernseh-Ausstrahlung eines Spielfilms zum 50. Jahrestag der Markteinführung des Schlafmittels Contergan
Im ersten Verfahren geht es um die Abwägung zwischen dem Aktualitätsbezug eines unterhaltenden Spielfilms und den Persönlichkeitsrechten des Anwalts, der damals die Interessen von Geschädigten vertrat. Im zweiten Verfahren geht es um die Interessen der Contergan-Herstellerfirma, der damaligen Chemie Grünenthal GmbH. (Seiten 624, 628)