EuGRZ 2007
28. Dezember 2007
34. Jg. Heft 22-23

Informatorische Zusammenfassung

Dieter Hömig, Plankstadt, kommentiert die Rechtsprechung zur grundgesetzlichen Garantie der Menschenwürde
«Dieser unbestimmte Rechtsbegriff ist es vor allem, der Art. 1 Abs. 1 GG als einen der am schwersten zu handhabenden Verfassungsrechtssätze erscheinen lässt. Im Schrifttum wird vielfach angenommen, dass der Begriff juristisch kaum zu fassen sei. Die Gerichte müssen gleichwohl, wenn sie angerufen werden, über den bei ihnen anhängigen Fall entscheiden und, falls eine Verletzung der Menschenwürde geltend gemacht wird, offenlegen, was dieser Begriff im Verfassungsrechtssinne bedeutet. (…)
Das Bundesverfassungsgericht und die Gerichte der Fachgerichtsbarkeiten machen sich deshalb nach und nach die so genannte Objektformel Günter Dürigs zu eigen und gewinnen damit eine abstraktere und deshalb weiter greifende Umschreibung des Menschenwürdebegriffs. Der Menschenwürde widerspricht es danach, den Menschen, dem in der Gemeinschaft um seiner selbst willen ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch zukommt, unter Verletzung dieses Anspruchs zum bloßen Objekt im Staat zu machen, ihn etwa zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren und damit wie eine Sache zu behandeln. (…)
Wichtig dabei ist, dass vor allem das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorhebt, der Maßstab der Menschenwürde sei jeweils mit Blick auf die spezifische Situation näher zu konkretisieren, in der es zum Konfliktfall kommen kann. (…) Diese Erkenntnis führt dazu, dass das Gericht die Menschenwürdegarantie als Maßstab für verfassungsgemäßes Handeln zwar in der Kontinuität seiner Rechtsprechung als stabilisierenden und wegweisenden Faktor entfaltet, ihn aber gleichzeitig im „Interesse weiträumiger Kontinuität“ so handhabt, dass er den Blick auf denkbare künftige Entwicklungen nicht verbaut.»
Hömig unterstreicht die Abwägungsresistenz des Menschenwürdegrundrechts und mahnt zu Zurückhaltung bei Menschenwürde-Argumentationen: «Das schließt aber selbstverständlich nicht aus, dass die Garantie des Art. 1 Abs. 1 GG dort in Position gebracht werden muss, wo nicht „kleine Münze“, sondern zentral der Schutz dessen in Rede steht, was den Menschen und seine Würde ausmacht. In den eingangs genannten Fällen der Folterandrohung und der Abschussermächtigung nach dem Luftsicherheitsgesetz war das der Fall.» (Seite 633)
Sebastian Winkler, Brüssel, setzt sich mit der Vermutung des „äquivalenten“ Grundrechtsschutzes im Gemeinschaftsrecht nach dem Bosphorus-Urteil des EGMR auseinander
Konkret geht es um die konventionsrechtliche Verantwortung der EG/EU-Mitgliedstaaten für den Vollzug einer EG-Verordnung:
«Die EMRK ist also kein Abkommen, das in der ausschließlichen Dispositionsfreiheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften (bzw. der Europäischen Union) stünde bzw. dessen Anwendungsbereich die Mitgliedstaaten mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften stillschweigend einschränken konnten. Es lässt sich daher auch nicht behaupten, dass diese Mitgliedstaaten mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften bzw. der Europäischen Union konkludent einen Ausnahmebereich hätten schaffen können und in diesem Rahmen die Kompetenzen des EGMR ebenso stillschweigend einer anderen Instanz, d.h. dem EuGH übertragen hätten. (…)
Mit seinem Ansatz gewährleistet der EGMR zugleich, dass sich die Mitgliedstaaten ihren unter der EMRK eingegangenen Verpflichtungen nicht durch die „Flucht ins Gemeinschaftsrecht“ entziehen können.
Hinsichtlich der Prüfung der Begründetheit bescheinigt der EGMR den Europäischen Gemeinschaften, insbesondere der Rechtsprechung des EuGH, die Vermutung eines „äquivalenten Schutzes“ der Grundrechte im Gemeinschaftsrecht. (…) Der EGMR behält sich jedoch weiterhin Einzelfallprüfungen vor, soweit „offenkundige“ Verletzungen vorliegen. (…)
Damit stellt das Urteil Bosphorus [s.u. S. 662] die Weichen dafür, wie sich ggf. auch ohne den förmlichen Beitritt der Europäischen Gemeinschaften zur EMRK der konventionsrechtliche Schutz gegen Gemeinschaftsrechtsakte auf Grund der konventionsrechtlichen Verantwortung ihrer Mitgliedstaaten realisieren lässt.» (Seite 641)
Marten Breuer, Potsdam, unterzieht die Rechtsprechungsentwicklung zur unmittelbaren Wirkung von EG-Richtlinien im französischen Verwaltungsrecht einer kritischen Würdigung
Dabei spannt der Autor den Bogen von der «offenen Revolte» des Conseil d'État gegen seine EuGH-Vorlagepflicht – als oberstes Verwaltungsgericht – im Fall Cohn-Bendit über die Änderung der Rechtsprechung im Fall Nicolo bis hin zum legislativen und judikativen Unrecht im Fall Dangeville gegen Frankreich vor dem EGMR [s.u. S. 671].
Breuer bemerkt: «Dass es ausgerechnet der EGMR war, welcher das Gemeinschaftsrecht durchzusetzen geholfen hat, erscheint als zusätzliches Kuriosum und ist allein auf den Umstand zurückzuführen, dass nach gegenwärtigem Stand des Gemeinschaftsrechts kein Rechtsbehelf existiert, um unberechtigte Vorlageverweigerungen durch letztinstanzliche Gerichte effektiv zu sanktionieren. (…)
Daneben zeichnet sich das Urteil Dangeville durch seine ausgesprochen gemeinschaftsfreundliche Haltung aus. Der EGMR akzeptiert die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien ohne Abstriche, ja er leitet hieraus sogar das Bestehen einer Eigentumsposition her, die selbst durch die Entscheidung des Conseil d'État aus dem Jahr 1986 [s.u. S. 675, Ziff. 50] nicht vernichtet werden konnte.» (Seite 654)
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Straßburg, bekräftigt die konventionsrechtliche Verantwortung eines EG-Mitgliedstaats für den Vollzug von Gemeinschaftsrecht, spricht jedocheine (widerlegbare) Vermutung des „äquivalenten“ Grundrechtsschutzes im Gemeinschaftsrecht aus / Bosphorus Airways gegen Irland
Eine türkische Charterfluggesellschaft hatte von der staatlichen jugoslawischen Fluggesellschaft JAT zwei Flugzeuge geleast. Nachdem bei einer der Maschinen 1993 in Dublin Wartungsarbeiten durchgeführt und bezahlt worden waren, hatten die irischen Behörden das zunächst zum Abflug freigegebene Flugzeug auf dem Rollfeld beschlagnahmt. Rechtsgrundlage war die Verordnung (EWG) 990/93, mit der eine Sanktion des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen gegen Ex-Jugoslawien umgesetzt wurde. Nach dem Urteil des EGMR liegt eine Verletzung der Eigentumsgarantie aus Art. 1 des 1. ZP-EMRK nicht vor.
Auf die Tatsache, dass die von den irischen Behörden innerstaatlich umgesetzte EG-Verordnung Nr. 990/93 kein typisches Gemeinschaftsrecht ist, sondern die Umsetzung einer Sanktion des VN-Sicherheitsrates darstellt, geht der EGMR nicht ein. Sein erklärter Entscheidungshorizont beschränkt sich auf die EG/EU. Ob dies ein Hinweis an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zur Grenze der Bindungswirkung seiner Resolutionen unter dem universellen Schutz grundlegender Menschenrechte (cf. EuG, EuGRZ 2005, 592 (613, Rn. 277 ff., 282) ist, wird im Urteil weder gesagt noch verneint.
Zur Beschlagnahme des Flugzeugs stellt der EGMR fest, «dass das mit der Maßnahme verfolgte Allgemeininteresse darin bestand, den rechtlichen Verpflichtungen, die sich aus der irischen EG-Mitgliedschaft ergeben, Folge zu leisten».
Andererseits unterstreicht der EGMR, «dass eine Vertragspartei gem. Art. 1 der Konvention für jedes Tun und Unterlassen verantwortlich bleibt, ungeachtet der Tatsache, ob das fragliche Tun oder Unterlassen sich als eine Folge des innerstaatlichen Rechts oder als Notwendigkeit darstellt, den internationalen rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. (…)
Nach Auffassung des Gerichtshofs ist staatliches Handeln zur Einhaltung derartiger rechtlicher Verpflichtungen solange gerechtfertigt, wie die fragliche Organisation den Grundrechten einen dem der Konvention äquivalenten Schutz bietet, und zwar sowohl in materiellrechtlicher Hinsicht als auch im Hinblick auf die zu ihrem Schutz vorgesehenen Verfahren (…). Mit „äquivalent“ meint der Gerichtshof „vergleichbar“ („comparable“): Denn ein Erfordernis, der von der Organisation gewährte Schutz müsse „identisch“ sein, könnte dem verfolgten Interesse der internationalen Zusammenarbeit zuwiderlaufen. Allerdings kann die Feststellung einer solchen Äquivalenz nicht abschließend sein und muss der erneuten Überprüfung im Lichte relevanter Änderungen im Hinblick auf den Grundrechtsschutz zugänglich bleiben.
Wenn der durch die Organisation vermittelte Schutz als äquivalent angesehen werden kann, dann kann vermutet werden, dass ein Staat, der lediglich seinen rechtlichen Verpflichtungen aus der Mitgliedschaft in dieser Organisation nachkommt, damit nicht von den Erfordernissen der Konvention abgewichen ist.
Allerdings kann diese Vermutung widerlegt werden, wenn im Hinblick auf die Umstände eines bestimmten Falles anzunehmen ist, dass der Schutz der Grundrechte offenkundig unzureichend war.» (Seite 662)
Cf. den Aufsatz von Sebastian Winkler, der auch auf die Sondervoten eingeht, in diesem Heft S. 641-654.
EGMR sieht im Erstattungsanspruch aus unmittelbar anwendbarer EG-Richtlinie Eigentumsrecht i.S.v. Art. 1 des 1. ZP-EMRK / S.A. Dangeville gegen Frankreich
Den generellen Entschädigungsausschluss wegen Rechtskraft eines unter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht ergangenen nationalen Gerichtsurteils (hier: des Conseil d'État) qualifiziert der Gerichtshof als unverhältnismäßig.
Im Ausgangsverfahren geht es konkret um die Weigerung der französischen Finanzbehörden, der Firma Dangeville eine ihr gemeinschaftsrechtlich zustehende Mehrwertsteuer-Befreiung zu gewähren bzw. rechtswidrig erhobene Mehrwertsteuer-Zahlungen zurückzuerstatten. Der Conseil d'État hatte dies nicht beanstandet, später jedoch seine Rechtsprechung geändert, der Firma Dangeville allerdings in einem anschließenden Staatshaftungsprozess die finanziellen Früchte seines Rechtsprechungswechsels vorenthalten. Der EGMR stellt in seinem Urteil eine Verletzung der Eigentumsgarantie fest. (Seite 671)
Cf. den Aufsatz von Marten Breuer, in diesem Heft S. 654-662.
EGMR billigt Zwangshaft (hier: 6 Monate gegen Mutter von vier Kindern) zur Durchsetzung einer gerichtlichen Rückführungsanordnung nach dem Haager Übereinkommen über zivilrechtliche Aspekte internationaler Kindesentführung / Paradis gegen Deutschland
«Zwar stellt die Haft die drastischste Zwangsmaßnahme dar. Die erste Bf. war aber fest entschlossen, die Kinder nicht zurückzugeben. Dies wird dadurch belegt, dass sie die Kinder sogar ins Ausland [von Deutschland nach Frankreich] in den Untergrund schickte, wie sie gegenüber dem Gerichtsvollzieher am 19. Mai 2003 erklärt hatte. Die Festsetzung von Zwangsgeld wäre auch möglich gewesen, aber angesichts der beharrlichen Weigerung der ersten Bf. kann der Gerichtshof die Feststellung des Amtsgerichts, dass die Festsetzung von Zwangsgeld vor diesem Hintergrund nicht Erfolg versprechend sei, nicht als unangemessen ansehen.» (Seite 678)
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), Luxemburg, definiert die autonome Auslegung des Begriffs „Zivilsachen“ bei Entscheidungen über die elterliche Verantwortung i.S.d. VO (EG) Nr. 2201/2003 / Rs. Frau C
«Der Begriff der Zivilsachen ist dahin auszulegen, dass er sogar Maßnahmen umfassen kann, die in der Rechtsordnung eines Mitgliedstaats dem öffentlichen Recht unterliegen.»
Im Ausgangsverfahren vor dem obersten finnischen Verwaltungsgericht geht es um die, von schwedischen Behörden gegen den Willen der Mutter betriebene, sofortige staatliche Inobhutnahme und Unterbringung zweier Kinder bei Pflegeeltern. (Seite 681)
EuGH betont diskriminierungsfreien Anspruch von Unionsbürgern auf Ausbildungsförderung auch für ein Studium im EU-Ausland / Rs. Morgan und Bucher
Die Bedingung einer mindestens einjährigen Ausbildung im Inland für Ausbildungsförderung (zur Fortsetzung desselben Studiums) im Ausland (§§ 5 und 8 BAföG) verstößt gegen Art. 17, 18 EGV. In der Begründung des Urteils heißt es u.a.:
«Hierzu ist daran zu erinnern, dass Frau Morgan und Frau Bucher als deutsche Staatsangehörige gem. Art. 17 Abs. 1 EG Unionsbürger sind und sich daher auch gegenüber ihrem Herkunftsland gegebenenfalls auf die mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte berufen können. (…)
Sodann ist festzustellen, dass eine nationale Regelung, die bestimmte eigene Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und sich dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben, eine Beschränkung der Freiheit darstellt, die Art. 18 Abs. 1 EG jedem Unionsbürger zuerkennt. (…)
Ein Mitgliedstaat hat daher, wenn er ein Ausbildungsförderungssystem vorsieht, wonach Auszubildende bei einer Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat eine Ausbildungsförderung in Anspruch nehmen können, dafür Sorge zu tragen, dass die Modalitäten der Bewilligung dieser Förderung das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht ungerechtfertigt beschränken.» (Seite 686)
EuGH sieht gesetzlich vorgesehenes Erlöschen der Arbeitsverträge im Anwendungsbereich der AntidiskriminierungsRL 2000/78/EG, weist jedoch auf Rechtfertigungsgründe hin / Rs. Palacios de la Villa
Der Kläger des Ausgangsverfahrens wehrt sich gegen die in Spanien zeitweise vorgesehene Zwangsverrentung mit 65 Jahren. Der EuGH stellt fest:
«Speziell in Bezug auf Ungleichbehandlungenwegen des Alters ergibt sich jedoch aus Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie, dass solche Ungleichheiten keine nach ihrem Art. 2 verbotene Diskriminierung darstellen, „sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind“.» (Seite 690)
EuGH erklärt Rahmenbeschluss des Rates der EU betr. strafrechtliche Sanktionen zur Bekämpfung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (2005/667/JI) wegen falscher Rechtsgrundlage für nichtig / Kommission gegen Rat
Es handelt sich um eine Kompetenzverwischung, mit anderen Worten um die Gefahr, dass die rechtlich lockere intergouvernementale Zusammenarbeit der dritten Säule der EU (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit), die vertraglich striktere erste Säule (Europäische Gemeinschaft) aushöhlt und destabilisiert.
Der EuGH stellt fest: «Nach Art. 47 EU lässt der EU-Vertrag den EG-Vertrag unberührt. Dasselbe ergibt sich aus Abs. 1 des Art. 29 EU, der Titel VI („Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen“) des EU-Vertrags einleitet. Der Gerichtshof hat darüber zu wachen, dass die Handlungen, von denen der Rat behauptet, sie fielen unter diesen Titel VI, nicht die Zuständigkeiten beeinträchtigen, die die Bestimmungen des EG-Vertrags der Gemeinschaft zuweisen. (…)
Nach alledem verstößt der Rahmenbeschluss 2005/667/JI, da er die durch Art. 80 Abs. 2 EG der Gemeinschaft zugewiesene Zuständigkeiten beeinträchtigt, gegen Art. 47 EU und ist aufgrund seiner Unteilbarkeit insgesamt für nichtig zu erklären.» (Seite 696)
Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (EuG), Luxemburg, erlärt Korrekturentscheidung der Kommission gegenüber nationalem Zuteilungsplan für Emissionszertifikate für nichtig / Deutschland gegen Kommission
Die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten verpflichteten sich, ihre gemeinsamen antropogenen Treibhausgasemissionen, die in Anhang A des Kyoto-Protkolls aufgeführt sind, im Zeitraum 2008 bis 2012 gegenüber dem Stand von 1990 um 8 % zu senken (vierter Erwägungsgrund der RL 2003/87/EG).
Die Kommission lehnte den deutschen nationalen Zuteilungsplan (NZP) insoweit ab, als er bestimmte Maßnahmen zur nachträglichen Anpassung der Zuteilung von Emissionszertifikaten vorsah, die die Kommission mit den Kriterien 5 und 10 des Anhangs III der RL 2003/87/EG für unvereinbar erklärte.
In seiner sehr ausführlichen Begründung stellt das EuG fest, die Kommission sei in ihrer Korrekturentscheidung bei der Anwendung von Kriterium 10 des Anhangs III rechtsfehlerhaft vorgegangen, außerdem habe sie bei der Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung die ihr nach Art. 253 EGV obliegende Begründungspflicht verletzt. (Seite 702)
Schweizerisches Bundesgericht (BGer), Lausanne, bestätigt vorzeitigen Maßnahmevollzug an einem psychisch Kranken in einer Strafanstalt wegen manifester Gemeingefährlichkeit
Den Antrag des Bf., aus der in der Strafanstalt Thorberg vollzogenen Untersuchungshaft sofort entlassen oder ersatzweise in eine psychiatrische Klinik verlegt zu werden, wies das BGer ab:
«Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nach den vorliegenden Akten eine akute Gemeingefährlichkeit an den Tag gelegt hat, indem er laut vorläufigen Untersuchungsergebnissen mit einer Axt gegen mehrere Personen massiv gewalttätig geworden ist und dabei Menschen verletzt hat. (…) Es ist jedoch gerichtsnotorisch, dass psychiatrische Kliniken nicht in der Lage sind, hochgefährliche mutmassliche Gewalttäter während der Dauer des hängigen Strafverfahrens aufzunehmen und dabei eine wirksame Strafverfolgung und Verbrechensaufklärung zu gewährleisten.» (Seite 722)
Österreichischer Verfassungsgerichtshof (VfGH), Wien, beanstandet Ausweisung ohne zureichende Auseinandersetzung mit Aufenthaltsdauer und familiärer Situation der Betroffenen
Grundsätzlich heißt es: «Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt nicht, dass die Schaffung eines Ordnungssystems, mit dem die Einreise und der Aufenthalt von Fremden geregelt wird, auch im Lichte der Entwicklungen auf europäischer Ebene notwendig ist. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) daher ein hoher Stellenwert zu.
Wenn die zuständige Fremdenpolizeibehörde eine Ausweisung (…) verfügt, ist sie aber stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen.»
In seinem stattgebenden Erkenntnis hält der VfGH der belangten Behörde vor, in der rein formelhaften Begründung des angefochtenen Bescheids gleich mehrere Aspekte der nach Art. 8 EMRK erforderlichen Interessenabwägung gänzlich außer Acht gelassen zu haben.
Die beschwerdeführende Kroatin war 1990 im Alter von 15 Jahren zum ersten Mal als Saisonarbeitskraft eingereist, hatte 2002 einen Österreicher geheiratet, lebte seitdem mit ihren drei Kindern (eines davon behindert) im Lande. Ihr Antrag auf Erstniederlassungsbewilligung wurde mit dem Argument abgelehnt, sie gelte nach dem Tod ihres Ehegatten, mit dem sie im gemeinsamen Haushalt gelebt hatte, nicht mehr als „Angehörige eines Zusammenführenden“. (Seite 725)
VfGH sieht in Ausweisung nach langjährigem, teils rechtswidrigem Aufenthalt keine Verletzung von Art. 8 EMRK
Dem 1968 geborenen aus dem Kosovo stammenden Beschwerdeführer war eine Aufenthaltsbewilligung mit der Begründung verweigert worden, seine 1993 mit einer Österreicherin geschlossene Ehe sei nur zum Schein geschlossen. 1996 reiste der 28-jährige Bf. mit einem auf Studienzwecke beschränkten Aufenthaltstitel erneut ein. 2001 heiratete er zum zweiten Mal eine Österreicherin. Diese erklärte jedoch gegenüber der Fremdenpolizei, die (später geschiedene) Ehe sei gegen Zahlung eines Betrags von umgerechnet ca. 6.540,– Euro nur geschlossen worden, um dem Bf. eine aufenthalts- und arbeitsrechtliche Bewilligung zu verschaffen. Daraufhin wurde 2002 ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot ausgesprochen, das der Bf. nicht beachtete. (Seite 728)
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Karlsruhe, bestätigt Aberkennung der Pension wegen Bestechlichkeit
Der Bf., vorm. stv. Leiter einer Führerscheinstelle, kann keine Verletzung der Unschuldsvermutung, des Rechts auf ein faires Verfahren noch des beamtenrechtlichen Versorgungsanspruchs aus Art. 33 Abs. 5 GG geltend machen. (Seite 730)
BVerfG wertet Zwang zu unzumutbarer Überqualifikation bei subjektiven Berufszulassungsvoraussetzungen als Verletzung des Rechts auf freie Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 GG
Der Erste Senat erklärt das Hufbeschlaggesetz teilweise für nichtig: «Es verstößt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn von einem Berufsbewerber Kenntnisse und Fähigkeiten verlangt werden, die in keinem Verhältnis zur geplanten Tätigkeit stehen. (…)
Der Huftechnikerberuf ist entstanden, weil der Eisenbeschlag wegen der zunehmenden Bedeutung von Pferden als Freizeit- und Sporttieren und der Entwicklung neuer Materialien zum Zwecke des Hufschutzes nicht länger die allein angezeigte Methode der Hufversorgung darstellt. Huftechniker bieten daher ihre Dienste gerade als Alternative zum Eisenbeschlag an und ihre Leistungen werden entsprechend nachgefragt. Werden sie dem Berufsbild des Hufbeschlagschmieds unterworfen, so sind sie gezwungen, Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, von denen sie keinen Gebrauch machen wollen, und die die interessierten Tierhalter bei ihnen auch weder erwarten noch in Anspruch nehmen wollen. Es wird also durch die Neuregelung ein Beruf mit dem des Hufbeschlagschmieds zusammengefasst, dessen Entstehung und Fortbestand sich gerade aus der Abgrenzung in Ansatz und Methoden von der – durch den Eisenbeschlag gekennzeichneten – Hufversorgung durch den Hufbeschlagschmied erklären.» (Seite 732)
BVerfG befürwortet Rücksichten im Strafvollzug zum Erhalt der Arbeitsstelle
«Die Gefahr einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Belange dadurch, dass ein objektiv für den offenen Vollzug geeigneter Verurteilter zunächst in den geschlossenen Vollzug geladen wird, liegt besonders nahe im Hinblick auf den drohenden Verlust eines bestehenden Arbeitsplatzes. Arbeit ist ein wichtiges Mittel der sozialen Integration.»
Da die Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg während des Verfassungsbeschwerdeverfahrens den zunächst begründeten Rügen abgeholfen hat, hat die 2. Kammer des Zweiten Senats die Verfassungsbeschwerde am Ende nicht zur Entscheidung angenommen, wohl aber die Erstattung der notwendigen Auslagen angeordnet. (Seite 738)
Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch Rat, Kommission und Parlament in Straßburg proklamiert
Der jetzige Text ersetzt den auf dem Gipfel von Nizza am 7. Dezember 2000 proklamierten Text, nachdem der Entwurf zum Verfassungsvertrag obsolet geworden war.
Die Proklamation im Straßburger Plenarsaal des EP am 12. Dezember 2007 erfolgte trotz provozierender Verhinderungsversuche einer Gruppe europafeindlicher Abgeordneter.
 (Seiten 747, 751)
Zuvor hatte das EP auf einer Plenarsitzung am 29. November 2007 in Brüssel den endgültigen Text der Grundrechte-Charta in einer Entschließung gebilligt und der in Straßburg geplanten Proklamation zugestimmt. (Seite 751)
EuGH – Zur Reichweite des Kündigungsschutzes der Arbeitnehmerin bei In-vitro-Fertilisation nimmt Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in seinen Schlussanträgen in der Rs. Mayr Stellung. (Seite 752)