EuGRZ 2008 |
30. September 2008
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35. Jg. Heft 16-18
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Informatorische Zusammenfassung
Christian Maierhöfer, Oldenburg, kommentiert die Guantanamo-Rechtsprechung des U.S. Supreme Court zum Anspruch „feindlicher Kämpfer“ auf richterliche Haftprüfung
Der Autor analysiert zunächst die Entwicklung in den Fällen Rasul, Hamdan und Boumediene: «Die US-Gerichte haben nun definitiv entschieden, dassnicht nur einfache Gesetze, sondern die Verfassung den Gefangenen das Recht gewährt, ihre Inhaftierung vor zivilen Bundesgerichten anzufechten. Das Tauziehen zwischen Justiz und Legislative, bei dem der Kongress auf jede den Gefangenen günstige Gerichtsentscheidung dadurch reagierte, dass er die zugrunde liegenden (einfachen) Gesetze zu ihrem Nachteil änderte, dürfte beendet sein: Die außergewöhnliche Änderungsfestigkeit der US-Verfassung steht dem entgegen.»
Maierhöfer gelangt zu folgender abschließenden Bewertung: «Der Kerngedanke, den die Exekutive mit der Eröffnung des Lagers gerade in Guantanamo Bay verfolgte, ist damit gescheitert: Ein rechtsfreier Raum im formellen Sinne, in dem Staatsgewalt ohne Kontrolle durch gewöhnliche Gerichte ausgeübt werden kann, konnte auf diese Art nicht geschaffen werden. Ob die amerikanische Rechtsprechung aber Guantanamo Bay nicht in materieller Hinsicht für „rechtsfrei“ in dem Sinne erklären wird, dass dort die grundlegenden Menschenrechte nicht gelten sollen, ist ungewiss. Gewonnen hat der Rechtsstaatsgedanke vorerst nur, wenn man ihn eher formal als Konzept eines Staates versteht, in dem Gerichte die Bindung der Staatsgewalt an Rechtsnormen – egal welchen Inhaltes – zu überwachen und durchzusetzen vermögen. Reichert man den Begriff dagegen auch mit materiellen Anforderungen an den Inhalt dieser Normen an, so ist noch unklar, inwiefern die Rechtsstaatlichkeit in Guantanamo Bay letztendlich obsiegen oder unterliegen wird. Das vorliegende Urteil schweigt sich bei optimistischer Betrachtung dazu aus, bei pessimistischer Betrachtung weist es sogar in die falsche Richtung.» (Seite 449)
Peter Schiffauer, Brüssel/Hagen, würdigt «Verfassung und Politik der Europäischen Union im Werk von Dimitris Th. Tsatsos»
Der Aufsatz gilt der Arbeit des Wissenschaftlers (an den Universitäten in Bonn, Thessaloniki, Athen, Hagen, Düsseldorf) und dem Wirken des Politikers im griechischen sowie im Europäischen Parlament (speziell im Konstitutionellen Ausschuss des EP). Schiffauer vertieft die Themen Glaubwürdigkeit, Transparenz und Demokratie, Unionsgrundordnung, Union der Bürger und der Staaten, Politisierung des Verfassungsprozesses, Europäische Politische Parteien und die Neu-Charakterisierung der Europäischen Union als Sympoliteia – ein Zusammenwirken (syn) autonomer politischer Ordnungen (politeia) in einem gemeinsamen Rahmen:
«Tsatsos begreift Demokratie nicht statisch, sondern in ihren konkreten historischen Entwicklungszusammenhängen. Er ist sich bewusst, dass Demokratie, Freiheit und Menschenrechte, Rechtsstaat, soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Kohäsion in Europa in langen politischen Kämpfen errungen wurden und täglich neu erkämpft werden müssen. Als erreicht dürfen sie nie empfunden werden (…).
Schon vor seiner Wahl zum Abgeordneten des Europäischen Parlaments im Jahre 1994 hatte er erkannt, dass die Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften, die generell als eine Rechtsordnung eigener Art angesprochen wurde, nach der im Jahre 1979 erfolgten ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments eine politische Wende genommen und zunehmend eine konstitutionelle Dimension gewonnen hat. (…)
Die Verfassungsqualität der tragenden institutionellen Bestimmungen der Gründungsverträge der Europäischen Union steht für ihn außer Frage, er zieht es aber vor, den konstitutionellen Teil des Europarechts als die Europäische Unionsgrundordnung anzusprechen. (…)
Die Diskussion über ein Endziel der europäischen Integration hält Tsatsos für illusionär und das Dilemma von Bundesstaat oder Staatenbund deshalb für unergiebig. Er sieht auch keinen Widerspruch zwischen dem Fortbestand der Souveränität der Mitgliedstaaten und ihrer weiteren Integration im Rahmen der Europäischen Union. Integration ist für ihn geradezu ein Mittel zur Erhaltung von Souveränität unter veränderten globalen Bedingungen.» (Seite452)
Angelika Nußberger, Köln, konturiert die relevanten völkerrechtlichen Grundsätze im Hinblick auf die postsowjetischen Konflikte in Russland und in Georgien
«Völkerrecht im Kaukasus» hat den Staatszerfall der Sowjetunion, die Transformation ehemaliger Sowjetrepubliken in souveräne Staaten sowie Sezessionsbestrebungen in Russland und in Georgien in den Blick zu nehmen:
«Innerstaatliche Republikgrenzen werden (…) zu Staatsgrenzen hochgezont, ein Prinzip, das bereits im Prozess der Dekolonialisierung zu beobachten war und auch beim Zerfall von Jugoslawien Beachtung fand. Dies galt auch dann, wenn die ehemals innerstaatlichen Grenzen willkürlich und unter Missachtung der Interessen der in den jeweiligen Gebieten lebenden Ethnien gezogen waren, wie dies aufgrund der Stalinschen Nationalitätenpolitik gerade für die Sowjetunion galt.
Für die in den GUS-Gründungsdokumenten anerkannte Abgrenzung der Staatsgebiete ist somit auf die sowjetische Verfassung von 1977 zurückzugreifen. Danach schloss das Territorium der ehemaligen sozialistischen Sowjetrepublik Georgien auch Abchasien und Südossetien ein, zwei Gebiete, denen nach sowjetischem Recht ein je unterschiedlicher Autonomiestatus eingeräumt worden war. (…)
Sowohl Russland als auch Georgien haben zur Verfolgung politischer Interessen gegen geltendes Völkerrecht verstoßen; (…). Fatal ist, wenn Völkerrechtsverstöße der einen Seite mit Völkerrechtsverstößen der anderen Seite zu rechtfertigen versucht werden, denn dies entwertet das Recht als Konfliktlösungsmechanismus in den internationalen Beziehungen. (…) Völkerrecht ändert sich nicht, je nachdem, in welche Himmelsrichtung man blickt. So muss sich der Westen ebenso an den im Kosovo-Konflikt entwickelten Grundsätzen und Rechtskonzepten festhalten lassen wie Russland an den Maßstäben, die es in internen Konflikten, etwa im Umgang mit den Tschetschenen oder den Tataren, angewandt hat. Gerade dies macht die Lösung des Konflikts für die Akteure so schwierig. Und gerade deshalb stellt der Konflikt zwischen Georgien und Russland auch eine Bewährungsprobe für das Völkerrecht dar.» (Seite 457)
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Straßburg, betont Absolutheit des Folterverbots in Art. 3 EMRK und bestätigt Wegfall der Opfereigenschaft des Bf. nach ausdrücklicher und unzweideutiger Anerkennung der Konventionsverletzung durch die innerstaatlichen Behörden / Gäfgen gegen Deutschland
Der Bf. rügt die unterbliebene Einstellung seines Strafverfahrens, das mit der Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes und erpresserischen Menschenraubes und der Feststellung besonderer Schwere der Schuld endete. Auf Weisung des damaligen Frankfurter Polizei-Vizepräsidenten war dem Bf. die Zufügung massiver Schmerzen angedroht worden, um die Preisgabe des Verstecks des noch am Leben geglaubten entführten Kindes zu erreichen.
Der vernehmende Polizeibeamte und der damalige Polizei-Vizepräsident waren wegen Verletzung des Folterverbots strafrechtlich belangt worden. Das LG Frankfurt sah in der inkriminierten Drohung keine gerechtfertigte Notstandshandlung.
Der EGMR führt grundsätzlich aus: «Auch die bloße Androhung einer nach Art. 3 verbotenen Handlung, sofern sie hinreichend real und unmittelbar ist, kann im Widerspruch zu dieser Bestimmung stehen. Folglich kann die Androhung von Folter gegenüber einer Person zumindest eine unmenschliche Behandlung darstellen (…)
Der Gerichtshof möchte in diesem Zusammenhang Folgendes unterstreichen: Angesichts des absoluten Verbots einer gegen Art. 3 verstoßenden Behandlung, das unabhängig vom Verhalten des Betroffenen und selbst im Fall eines öffentlichen Notstands gilt, der das Leben der Nation – oder erst recht das einer Person – bedroht, gilt das Verbot der Misshandlung einer Person, um Informationen von ihr zu erlangen, ungeachtet der Gründe, aus denendie Behörden eine Aussage erlangen wollen, sei es zur Rettung eines Lebens oder zur Förderung strafrechtlicher Ermittlungen. (…) Der Gerichthof stellt daher fest, dass die dem Bf. angedrohte Behandlung, wenn sie erfolgt wäre, als Folter anzusehen wäre. Die Befragung dauerte jedoch nur etwa 10 Minuten und, wie in dem Strafverfahren gegen die Polizeibeamten festgestellt wurde (…), fand sie in einer sehr angespannten und emotional aufgeladenen Atmosphäre statt, was darauf zurückzuführen war, dass die völlig erschöpften und unter hohem Druck stehenden Polizeibeamten glaubten, sie hätten nur ein paar Stunden, um J.s [des vom Bf. ermordeten Jungen] Leben zu retten; diese Merkmale können als strafmildernde Faktoren angesehen werden. (…) Weiterhin wurden die Drohungen mit Misshandlung nicht umgesetzt und es wurde nicht dargetan, dass sie ernsthafte Langzeitfolgen für die Gesundheit des Bf. hatten.
Vor diesem Hintergrund ist der Gerichtshof der Auffassung, dass der Bf. während der Befragung durch [den Beamten] E. am 1. Oktober 2002 einer nach Art. 3 der Konvention verbotenen unmenschlichen Behandlung ausgesetzt war.»
In der strafrechtlichen Verurteilung der beiden betroffenen Polizeibeamten sieht der EGMR eine ausdrückliche und unzweideutige innerstaatliche Anerkennung der Konventionsverletzung, weshalb der Bf. nicht mehr behaupten könne, Opfer einer Verletzung von Art. 3 zu sein.
Nachdem die unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK erlangten Beweismittel im Strafprozess mit einem Verwertungsverbot belegt und die Verurteilung im Wesentlichen auf das vom Bf. danach in der Hauptverhandlung abgelegte Geständnis gestützt wurde, kann nach dem Urteil des EGMR auch keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK angenommen werden. (Seite 466)
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), Luxemburg, erzwingt Individualrechtsschutz gegen Nennung auf einer vom UN-Sicherheitsrat übernommenen Terroristen-Verdachtsliste der EU / Rsn. Kadi und Al Barakaat
Die Listen werden geführt, um eine Blockade der wirtschaftlichen Mittel der betroffenen Terror-Verdächtigen, insbesondere das Einfrieren von Geldern auf ihren Konten zu erreichen. Der EuGH hat die – im Rechtsmittelverfahren gegen klageabweisende Urteile des Gerichts Erster Instanz – angegriffene Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des EU-Rates vom 27. Mai 2002, soweit sie Yassin Abdullah Kadi und die Al Barakaat International Foundation betrifft, wegen Verletzung bestimmter Grundrechte und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR für nichtig erklärt. Zur Abhilfe hat der EuGH eine Frist von drei Monaten gesetzt.
In dem ausführlich begründeten Grundsatzurteil heißt es: «Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Gemeinschaft eine Rechtsgemeinschaft ist, in der weder ihre Mitgliedstaaten noch ihre Organe der Kontrolle daraufhin, ob ihre Handlungen mit der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft, dem Vertrag, im Einklang stehen, entzogen sind (…).
Zudem sind nach ständiger Rechtsprechung die Grundrechte integraler Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. (…)
Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich auch, dass die Achtung der Menschenrechte eine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemeinschaft ist (…) und dass Maßnahmen, die mit der Achtung dieser Rechte unvereinbar sind, in der Gemeinschaft nicht als rechtens anerkannt werden können. (…)
Insoweit ist hervorzuheben, dass sich in einem Kontext wie dem der vorliegenden Rechtssachen die dem Gemeinschaftsrichter obliegende Rechtmäßigkeitskontrolle auf den Gemeinschaftsrechtsakt bezieht, mit dem die betreffende internationale Übereinkunft umgesetzt werden soll, und nicht auf diese Übereinkunft als solche. (…) Denn die UN-Charta lässt grundsätzlich den Mitgliedstaaten die freie Wahl zwischen verschiedenen Modellen für die Übernahme solcher Resolutionen in ihre nationale Rechtsordnung.»
Konkret beanstandet der EuGH im Hinblick auf beide Rechtsmittelführer Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör und des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes. Im Hinblick auf den Rechtsmittelführer Kadi sieht der Gerichtshof außerdem das Grundrecht auf Achtung des Eigentums als verletzt an, und zwar wegen des Fehlens «irgendeiner Garantie, dass er sein Anliegen den zuständigen Stellen vortragen kann», und wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der sich in der langen Dauer (sechs Jahre) der verfügten Restriktionen zeigt. (Seite 480)
Das vom EuGH aufgehobene Urteil des EuG in der Rs. Al Barakaat ist veröffentlicht in EuGRZ 2005, 592. S.a. dazu M. Kotzur, EuGRZ 2006, 19 ff.; die Schlussanträge von GA Poiares Maduro in EuGRZ 2008, 103-116. Siehe ferner das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts in einem vergleichbaren Fall, EuGRZ 2008, 66-72.
U.S. Supreme Court, Washington, D.C., gewährt auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay (Kuba) ohne Gerichtsurteil als „feindliche Kämpfer“ auf unbestimmte Zeit inhaftierten Ausländern das verfassungsmäßige Recht, ihre Inhaftierung vor zivilen Bundesgerichten anzufechten / Boumediene gegen George W. Bush
Die Entscheidung ist mit 5:4 Stimmen ergangen. Die Mehrheitsentscheidung tragen die Richter: Kennedy, Stevens, Souter, Ginsburg und Breyer; dagegen stimmen: Präsident Roberts, Scalia, Thomas und Alito.
Richter Kennedy verfasste das Urteil des Gerichtshofs: «Die Beschwerdeführer werfen eine Frage auf, die in unseren früheren Verfahren bezüglich der Inhaftierung von Ausländern in Guantanamo nicht beantwortet wurde: Ob ihnen das verfassungsrechtliche habeas corpus-Recht zusteht; ein Recht, das nur unter den Voraussetzungen der Suspensionsvorschrift (Art. I Abs. 9 Satz 2 [der US-Verfassung]) entzogen werden kann. Wir sind der Auffassung, dass diesen Beschwerdeführern das habeas corpus-Recht zusteht. Der Kongress hat ein Gesetz erlassen, den Detainee Treatment Act von 2005 (DTA), 119 Stat. 2739, das bestimmte Verfahren für die Überprüfung des Status der Gefangenen vorsieht. Wir sind der Auffassung, dass diese Verfahren kein angemessener und effektiver Ersatz für das habeas corpus-Verfahren sind. Deshalb setzt § 7 des Military Commissions Act von 2006 (MCA), 28 U. S. C. A. § 2241 (e) (Supp. 2007), das habeas corpus-Verfahren in verfassungswidriger Weise außer Kraft.»
Allerdings: «Wir äußern uns weder dazu, ob der Präsident die Befugnis hat, die Beschwerdeführer zu inhaftieren, noch entscheiden wir, dass die habeas corpus-Verfügung erlassen werden muss. Diese und andere Fragen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung muss das Bezirksgericht in erster Instanz entscheiden.»
Zur Begründung der stattgebenden Entscheidung führt das Mehrheitsvotum u.a. aus: «Die von der Regierung verfochtene, auf dem formalen Souveränitätsbegriff aufbauende Lösung begegnet außerdem auch im Hinblick auf das Gewaltenteilungsprinzip ernsten Bedenken. (…) Die Geschichte von Guantanamo verdeutlicht die Schwächen eines solchen Ansatzes. Die Vereinigten Staaten üben seit über 100 Jahren ununterbrochen die umfassende Kontrolle über die Bucht aus. […] Dennoch ist die Regierung der Auffassung, dass die Verfassung dort nicht gilt, zumindest gegenüber Ausländern, weil die Vereinigten Staaten keine Souveränität im formalen Sinne für sich beanspruchen. Aus diesem Argument folgt als zwingende Konsequenz, dass die politischen Gewalten frei von Rechtsbindungen regieren könnten, wenn sie die formale Souveränität über ein nicht inkorporiertes Territorium an einen Dritten abtreten, die vollständige Kontrolle der Vereinigten Staaten über das Gebiet jedoch Kraft einer Pachtvereinbarung erhalten bleibt.
Unser Grundgesetz kann nicht aufsolche Weise vertraglich abbedungen werden. Die Verfassung verleiht dem Kongress und dem Präsidenten die Befugnis, Gebiete zu erwerben, über sie zu verfügen und sie zu regieren, nicht aber die Befugnis, darüber zu entscheiden wann und wo die Verfassungsbestimmungen gelten sollen. Die Befugnisse der Vereinigten Staaten sind auch dann, wenn diese außerhalb ihrer Grenzen tätig werden, nicht „absolut und unbegrenzt“, sondern den „in der Verfassung niedergelegten Schranken“ unterworfen (Murphy v. Ramsey, 114 U. S. 15, 44 (1885)). Es ist eine Sache, sich einer Entscheidung über Fragen der formalen Souveränität und der territorialen Regierungsgewalt zu enthalten. Etwas völlig anderes wäre es dagegen zu behaupten, dass die politischen Staatsgewalten die Befugnis haben, die Verfassung nach Belieben ein- und auszuschalten.» (Seite 505)
Die Sondervoten: Im Ergebnis zustimmendes Sondervotum des Richters Souter, dem die Richterin Ginsburg und Richter Breyer beitreten (S. 515); abweichendes Sondervotum des Präsidenten Roberts, dem die Richter Scalia, Thomas und Alito beitreten (S. 515) sowie das polemisch gehaltene Sondervotum des Richters Scalia („Die Nation wird noch bereuen, was der Gerichtshof heute getan hat.“), dem Präsident Roberts, die Richter Thomas und Alito beitreten (S. 517).
Zum vorstehenden Urteil cf. den Aufsatz von Christian Maierhöfer, in diesem Heft S. 449 ff. S.a. Ruth Bader Ginsburg, „Gebührender Respekt vor den Meinungen der Menschheit“: Der Wert einer vergleichenden Perspektive in der Verfassungsrechtsprechung, EuGRZ 2005, 341 ff.
Schweizerisches Bundesgericht (BGer), Lausanne, bestätigt Rüge wegen der Sendung des Fernseh-Porträts eines Politikers kurz vor Erneuerungswahlen / Fall Corminboeuf
Das BGer weist die Beschwerde der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) gegen eine Rüge der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) ab: «Ein personenbezogenes, wohlwollendes Porträt eines Politikers mit unkonventionellem Werdegang („Freiburger Original in der Regierung“) unmittelbar vor Wahlen ist geeignet, die Meinungsbildung des Publikums sowie die politische Chancengleichheit der Kandidaten zu beeinträchtigen; eine entsprechende Ausstrahlung verletzt deshalb das rundfunkrechtliche Sachgerechtigkeits- und Vielfaltsgebot.» (Seite 520)
Österreichischer Verfassungsgerichtshof (VfGH), Wien, erklärt das Fehlen einer Antragsmöglichkeit zur Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen für verfassungswidrig
«Die §§ 72 Abs. 1, 73 Abs. 2 und 3 NAG [Niederlassungs- und AufenthaltsG] stellen unter dem Aspekt humanitärer Gründe wesentlich auf Interessen von Fremden – auch solcher, für die besondere Umstände aus Art. 8 EMRK ein Recht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels begründen können – ab, schließen aber generell die Möglichkeit aus, dass der einzelne Rechtsschutzsuchende diese Interessen als seine Rechte unabhängig vom Tätigwerden der Behörden geltend machen kann. Aus rechtsstaatlichen Gründen ist es jedoch unzulässig, in diesen Fällen lediglich ein Tätigwerden der Behörden von Amts wegen vorzusehen und keine Antragstellung des – in seinen Rechten betroffenen – Einzelnen zuzulassen.» (Seite 523)
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wertet bestimmte Rauchverbote in Gaststätten als Verletzung der Berufsfreiheit der Betreiber getränkegeprägter Kleingastronomie
Konkret geht es um die Nichtraucherschutzgesetze von Baden-Württemberg und Berlin, die einstweilen fortgelten: «Entscheidet sich der Gesetzgeber aufgrund des ihm zukommenden Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraums für ein Konzept des Nichtraucherschutzes in Gaststätten, das den Gesundheitsschutz im Ausgleich insbesondere mit der Berufsfreiheit der Gaststättenbetreiber verfolgt, so müssen Ausnahmen vom Rauchverbot derart gestaltet sein, dass sie auch bestimmte Gruppen von Gaststätten – hier: die getränkegeprägte Kleingastronomie – miterfassen, um bei diesen besonders starke wirtschaftliche Belastungen zu vermeiden.»
Das baden-württembergische Gesetz wird außerdem beanstandet, weil «es einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss darstellt, wenn gesetzlich in Gaststätten zugelassene Raucherräume in Diskotheken untersagt sind».
Das BVerfG setzt eine legislatorische Nachbesserungsfrist bis Jahresende 2009 und erlässt eine, die Ausnahmen erweiternde, abhelfende Übergangsregelung. (Seite 527)
Die Richter Bryde und Masing haben dem Urteil je eine abweichende Meinung beigegeben. (Seiten 544, 545)
BVerfG nimmt Verfassungsbeschwerden gegen die bayerische landesgesetzliche Regelung des Rauchverbots in Gaststätten nicht zur Entscheidung an. (Seite 547)
BVerfG bestätigt Veröffentlichungspflicht der Vergütungen für Vorstandsmitglieder gesetzlicher Krankenkassen
Ausschlaggebend ist das Informationsinteresse der Beitragszahler. (Seite 548)
BVerfG anerkennt Rechtfertigung für Gebührenpflichtigkeit der Kirchenaustrittserklärung
«Die Abgabe der persönlichen Erklärung zur Niederschrift bei dem zuständigen Amtsgericht oder schriftlich in öffentlich beglaubigter Form stellt in erhöhtem Maß sicher, dass Unklarheiten über die Authentizität, die Ernsthaftigkeit und auch den genauen Zeitpunkt der Austrittserklärung vermieden werden.» (Seite 552)
Parlamentarische Versammlung des Europarats, Straßburg – Initiative von 24 Abgeordneten aus fünf Fraktionen bzw. 14 Ländern zur Suspendierung der Mitwirkungsrechte der russischen Delegation wegen des Georgien-Krieges. (Seite 556)
EGMR erlässt an Russland und Georgien gerichtete Einstweilige Anordnung zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen, insbesondere von Art. 2 und 3 EMRK (Recht auf Leben und Folterverbot). (Seite 556)