EuGRZ 2009 |
7. Oktober 2009
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36. Jg. Heft 17-20
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Informatorische Zusammenfassung
Peter Oberndorfer und Britta Wagner, Wien, behandeln „Gesetzgeberisches Unterlassen als Problem verfassungsgerichtlicher Kontrolle“
Der Beitrag geht zurück auf den österreichischen Landesbericht für die XIV. Konferenz der Europäischen Verfassungsgerichte in Vilnius (Litauen) 2008.
Für die Zuständigkeit des VfGH zur Untersuchung der Verfassungswidrigkeit von Rechtslücken bezieht sich der Beitrag zunächst auf den Rahmen des nationalen Rechtssystems:
«Das Bild vom „Stufenbau der Rechtsordnung“ als erkenntnisleitendes Prinzip des österreichischen Verfassungsverständnisses ist seiner Herkunft nach eine rechtstheoretische Lehre. Sie wird aber von der österreichischen Verfassung vorausgesetzt und spiegelt sich auch in der Judikatur des österreichischen Verfassungsgerichtshofes.
Eine der wesentlichsten Einsichten dieser Lehre geht dahin, dass jede untere der „Stufen“ der Rechtsordnung eine Konkretisierung der jeweils übergeordneten Stufe darstellt. Dass die Erlassung von gerichtlichen Urteilen und Verwaltungsakten eine Konkretisierung von einfachen Gesetzen darstellt, ist nichts Neues. Eine neue Einsicht der genannten Lehre ist es aber, dass auch die einfache Gesetzgebung ihrerseits Konkretisierung, nämlich Konkretisierung der Verfassungsordnung darstellt.»
Zum Verfassungsgerichtshof als negativem Gesetzgeber stellen die Autoren fest: «Der VfGH hat in seiner früheren Entscheidungspraxis eher eine minimalistische Funktion ausgeübt, was die Aufnahme von Direktiven für zukünftige (Ersatz-)Gesetze anlangt. Sein Rollenverständnis war von großer Zurückhaltung geprägt. Vor allem unter dem Eindruck der Judikatur des EGMR, aber auch bedingt durch eine allgemein anwachsende, an den Grundrechten orientierte wertmateriale Betrachtung der europäischen Verfassungsordnungen trat eine wesentliche Änderung der Verfassungsauslegung ein: Seit Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bildet sich – auch in Österreich – ein verfassungsgerichtlicher Prüfungsstil heraus, der an materiellen Prinzipien und Werthaltungen orientiert ist.» (Seite 433)
Herbert Wille, Bendern, setzt sich mit „Problemen des gesetzgeberischen Unterlassens in der Verfassungsrechtswissenschaft“ auseinander
Der Beitrag geht auf den Landesbericht Liechtensteins für die XIV. Konferenz der Europäischen Verfassungsgerichte in Vilnius (Litauen) 2008 zurück und nimmt die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes zur Richtschnur, die sich ihrerseits an der schweizerischen, österreichischen und deutschen Verfassungsrechtslage bzw. an der Lehre und Judikatur dieser Länder orientiert.
Der Autor skizziert die Problemstellung, stellt das nationale Normenkontrollverfahren dar, und die Entscheidungsformen wie die Kassation und andere Entscheidungsvarianten und schließt mit einer kritischen Stellungnahme zur Schonung des Gesetzgebers durch den Staatsgerichtshof:
«Das Argument der Schonung des Gesetzgebers überzeugt auch dann nicht, wenn der Staatsgerichtshof einen „offensichtlich“ verfassungswidrigen Rechtszustand ausmacht. Sieht er von einer Kassation ab und belässt es bei einem Appell an den Gesetzgeber, so kann nicht gesagt werden, der Staatsgerichtshof habe den Gesetzgeber geschont, weil er seine Entscheidungskompetenzen nicht voll ausgeschöpft habe.» (Seite 441)
Frauke Brosius-Gersdorf, Potsdam, kommentiert die „Ungleichbehandlung von Imam-Ehe und Zivilehe bei der Gewährung von Sozialversicherungsleistungen in der Türkei aus völkerrechtlicher Sicht“
«Der Fall S|,erife Yig|vit ./. Türkei [s.u. S. 468] wirft eine Reihe tatsächlicher und rechtlicher Fragen auf, denen der EGMR in seinem Urteil vom 20. Januar 2009 keine Beachtung geschenkt hat. Der EGMR hat zwar zu Recht angenommen, dass die Ungleichbehandlung religiöser Imam-Ehen und Zivilehen bei der Gewährung von Renten- und Krankenversicherungsleistungen an überlebende Ehepartner in der Türkei keine unzulässige Diskriminierung wegen des Ehestatus begründet (Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 8 EMRK bzw. i.V.m. Art. 1 des 1. ZP-EMRK). Die Türkei hat durch die Differenzierung zwischen Imam-Ehe und Zivilehe auch nicht gegen das Verbot mittelbar-faktischer Diskriminierung von Frauen gegenüber Männern i.S.d. Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK verstoßen.
Die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen in der Türkei bei dem Zugang zu Bildung, Erwerbstätigkeit und der Zivilehe kann aber Schutz- und Förderpflichten der Türkei aus Art. 8 EMRK auslösen, denen der Staat durch Aufklärungs- und Informationskampagnen, Bildungsoffensiven und Förderprogramme zur Stärkung der Autonomie von Frauen nachkommen muss. Eine Verpflichtung des türkischen Staates, die Imam-Ehe der Zivilehe sozialversicherungsrechtlich gleichzustellen, lässt sich unter Schutz- und Fördergesichtspunkten nicht ableiten.» (Seite 454)
Robert Uerpmann-Wittzack, Regensburg, würdigt im Zusammenhang mit der Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon „Frühwarnsystem und Subsidiaritätsklage im deutschen Verfassungssystem“
Der Autor befasst sich mit dem Aufgabenspektrum des Bundestages, den verfassungsrechtlichen Vorgaben, den Stimmverteilungen und der Subsidiaritätsklage als Minderheitsrecht sowie der Stellung des Europaausschusses.
Bei der Subsidiaritätskontrolle durch den Bundesrat geht der Aufsatz auch auf die Beteiligung der Landesparlamente und die Stellung der „Europakammer“ des Bundesrates ein.
Uerpmann-Wittzack gelangt abschließend zu der folgenden Bewertung:
« Nach alledem ist zu erwarten, dass der Bundesrat mit dem neuen Frühwarnsystem gut umgehen kann. Innerhalb der Aufgaben des Bundestages als politisches Repräsentationsorgan bleibt die Subsidiaritätskontrolle mit ihrem starken juristischen Einschlag hingegen ein Fremdkörper. Will der Bundestag die Subsidiaritätskontrolle effektiv wahrnehmen, wird dies erhebliche Ressourcen binden und ihn tendenziell von seinen eigentlichen Aufgaben der politischen Kontrolle und Mitgestaltung abhalten. Im Schrifttum ist „eine Disproportionalität zwischen Aufwand und Ertrag“ diagnostiziert worden. Möglicherweise wird dies zur Folge haben, dass der Bundestag letztlich keine effektive Subsidiaritätskontrolle durchführen und von seinen Rechten nach dem Subsidiaritätsprotokoll keinen Gebrauch machen wird. Das wäre nicht unbedingt die schlechteste Lösung. Wenn sich der Bundestag auf kritische Nachfragen gegenüber der Bundesregierung beschränkt und diese damit unter Rechtfertigungsdruck setzt, könnte das Frühwarnsystem bereits mittelbar zur gewünschten Sensibilität auf europäischer Ebene führen.
Muss sich der Bundestag nun mit europäischen Gesetzgebungsvorhaben unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität verstärkt auseinandersetzen, könnte dies freilich auch ein Anstoß sein, die entsprechenden Vorhaben einer politischen Gesamtbewertung zu unterziehen, wie sie zu den originären Aufgaben des Parlaments gehört.» (Seite 461)
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Straßburg, sieht keine Verletzung von Art. 8 in der Ungleichbehandlung einer religiös geschlossenen Imam-Ehe und einer standesamtlich geschlossenen Zivilehe / S|,erife Yig|vit gegen Türkei
Die Beschwerdeführerin rügt, dass der türkische Staat sie nicht vor dem Verlust der Versorgungsleistungen aus Altersrente und Krankenversicherung ihres verstorbenen Mannes bewahrt. In dem die Beschwerde abweisenden Urteil heißt es:
«Der Gerichtshof stellt fest, dass es in einigen Mitgliedstaaten des Europarats eine Tendenz in der Gesellschaft gibt, die von dem Gesetzgeber unterstützt wird, neben der traditionellen Ehe auch andere stabile Lebensgemeinschaften zu akzeptieren, sogar anzuerkennen, zu denen etwa nichteheliche Lebensgemeinschaften oder eingetragene Lebenspartnerschaften gehören. Der Gerichtshof bemerkt indes, dass das türkische Recht neben der standesamtlichen Zivilehe keine andere Form einer gesetzlich begründeten zivilen Partnerschaft vorsieht, die zwei Personen desselben Geschlechts oder unterschiedlichen Geschlechts gleiche oder ähnliche Rechte wie einem verheirateten Paar einräumt. Unter Berücksichtigung des Beurteilungsspielraumes der Hohen Vertragsparteien der Konvention kann der Gerichtshof ihnen nicht vorschreiben, auf diesem Gebiet Gesetze zu erlassen. Im vorliegenden Fall begründet nach dem geltenden innerstaatlichen Recht eine religiöse Trauung, die von einem Imam vorgenommen wird (Imam-Ehe), weder Verpflichtungen gegenüber Dritten noch gegenüber dem Staat. Welches auch immer die Argumente der Bf. sein mögen, sei es die Dauer, sei es der Gemeinschaftscharakter der Beziehung, maßgeblich ist, ob eine Beziehung existiert, mit der ein Bündel vertragsgemäßer Rechte und Pflichten einher geht. In Anbetracht des Fehlens einer rechtlich verbindlichen Vereinbarung ist es nicht unbillig, dass der türkische Gesetzgeber ausschließlich der Zivilehe Schutz gewährt. (…) Im Übrigen lässt sich Art. 8 nicht so interpretieren, dass er Sonderrechte für eine bestimmte Gruppe nicht verheirateter Paare begründet.» (Seite 468)
Cf. hierzu den Aufsatz von Frauke Brosius-Gersdorf in diesem Heft S. 454 sowie rechtsvergleichend das Erkenntnis des VfGH, Wien, auf S. 499 und die erzbischöfliche Verordnung über Informationspflichten des Geistlichen bei religiösen Trauungen ohne vorhergehende Zivileheschließung, S. 539 (in diesem Heft).
EGMR schlägt gütliche Einigung vor, die der Bf. ablehnt / Nachdem die Regierung die Konventionsverletzung durch einseitige Erklärung anerkannt und sich zu einer Entschädigungszahlung verpflichtet hat, wird der Fall im Register gestrichen / Kunkel gegen Deutschland
Die Verletzung von Art. 5 Abs. 4 besteht darin, dass dem Anwalt des Bf. im Haftprüfungsverfahren nicht in der erforderlichen Weise Akteneinsicht gewährt wurde. Die vom Gerichtshof gebilligte Entschädigungssumme beträgt 5.500,– Euro. (Seite 472)
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), Luxemburg, sieht in dem nationalen Verbot (in Portugal) des Betriebs von Glücksspielen über das Internet gegenüber im EU-Ausland (Vereinigtes Königreich, Gibraltar) ansässigem Betreiber keinen Verstoß gegen Dienstleistungsfreiheit aus Art. 49 EG
Der EuGH stellt fest, dass der Sektor von über das Internet angebotenen Glücksspielen in der Gemeinschaft nicht harmonisiert ist:
«Ein Mitgliedstaat darf deshalb die Auffassung vertreten, dass der Umstand allein, dass ein Wirtschaftsteilnehmer wie Bwin zu diesem Sektor gehörende Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat, in dem er niedergelassen ist und in dem er grundsätzlich bereits rechtlichen Anforderungen und Kontrollen durch die zuständigen Behörden dieses anderen Mitgliedstaats unterliegt, rechtmäßig über das Internet anbietet, nicht als hinreichende Garantie für den Schutz der nationalen Verbraucher vor den Gefahren des Betrugs und anderer Straftaten angesehen werden kann, wenn man die Schwierigkeiten berücksichtigt, denen sich die Behörden des Sitzmitgliedstaats in einem solchen Fall bei der Beurteilung der Qualitäten und der Redlichkeit der Anbieter bei der Ausübung ihres Gewerbes gegenüber sehen können.» (Seite 475)
EuGH bestätigt Urheberrechtsschutz für Zeitungsartikel in digital hergestelltem Pressespiegel / Rs. Infopaq International
Die digitale Umwandlung eingescannter Zeitungsartikel und Weiterverarbeitung zu einem kommerziellen Pressespiegel setzt die Zustimmung des Inhabers der Urheberrechte voraus. (Seite 480)
Schweizerisches Bundesgericht (BGer), Lausanne, präzisiert Kriterien für die Verhältnismäßigkeit ausländerrechtlich motivierter Festhaltung nach Art. 79 AusländerG
«Je länger die ausländerrechtlich motivierte Festhaltung dauert und je weniger die Ausschaffung absehbar erscheint, desto strengere Anforderungen sind an die fortbestehende Hängigkeit des Ausweisungsverfahrens im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK zu stellen und desto kritischer ist die jeweilige Haftverlängerung zu hinterfragen. (…)
Zwar mag es stossend erscheinen, dass der Beschwerdegegner letztlich wegen seines renitenten Verhaltens vor Ablauf der in Art. 79 AuG vorgesehenen Festhaltungsdauer wieder auf freien Fuss gesetzt werden muss; bei den dort genannten 24 Monaten handelt es sich jedoch um eine Maximalfrist, die nur im Rahmen des konventions- und verfassungsmässig Zulässigen ausgeschöpft werden darf. Dies setzt unter anderem voraus, dass die Festhaltung im konkreten Fall mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit nach wie vor geeignet erscheint, ihren Zweck zu erfüllen, und nicht gegen das Übermassverbot verstösst.» (Seite 486)
BGer erklärt Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung für ausländische (türkische) Mutter eines Schweizer Kindes nach krankheitsbedingtem Tod des Schweizer Ehemannes für verfassungswidrig
«Falls der Beschwerdeführerin keine Anwesenheitsbewilligung in der Schweiz erteilt wird, bedeutet dies, dass ihr Schweizer Kind gezwungen ist, in die Türkei auszureisen. Eine solche Konsequenz darf nicht leichthin in Kauf genommen werden. Zu berücksichtigen ist, dass es sich dabei letztlich um die Folge des Todes des schweizerischen Kindesvaters handelt; aus Pietätsgründen soll in einem solchen Fall die Ausreise des Kindes aus seiner Heimat nicht ohne besondere Gründe durch ausländerrechtliche Massnahmen erzwungen werden – dies auch, wenn sich das Kind noch in einem anpassungsfähigen Alter befindet und selber bisher bloss beschränkt soziale Bindungen über den familiären Kreis hinaus zu begründen vermochte. Vom Kind zu verlangen, die Schweiz zu verlassen, berührt seine aus der Staatsbürgerschaft fliessende Niederlassungsfreiheit sowie in gewissem Sinne auch das Verbot der Ausweisung von Schweizer Bürgern, selbst wenn es wohnsitzrechtlich an sich das Schicksal des Inhabers der elterlichen Gewalt bzw. des Sorgerechts teilen muss.» (Seite 488)
Österreichischer Verfassungsgerichtshof (VfGH), Wien, erkennt keine zusätzlichen Speicherpflichten für Betreiber von Telekommunikationsdiensten durch Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes (§ 53 Abs. 3a SPG)
Der Antrag, die Vorschrift für verfassungswidrig zu erklären, wird abgewiesen: «Mit der Novellierung des § 53 Abs. 3a SPG wurde zwar eine gesetzliche Grundlage für die Übermittlung der IP-Adresse an die Sicherheitsbehörden, aber keine neue Verpflichtung zur Speicherung von IP-Adressen geschaffen: Gemäß der – durch die genannte SPG-Novelle unberührt gebliebenen – Regelung des § 99 Abs. 1 TKG 2003 dürfen nämlich Verkehrsdaten außer in den gesetzlich geregelten Fällen nicht gespeichert werden und sind diese Daten vom Betreiber nach Beendigung der Verbindung unverzüglich zu löschen oder zu anonymisieren.» (Seite 490)
VfGH verneint Anspruch politischer Parteien (hier: FPÖ) auf Einladung zu einer bestimmten Fernseh-Diskussion (über Ankauf von Abfangjägern)
Grundsätzlich führt der VfGH aus: «Der beschwerdeführenden Partei ist einzuräumen, dass die in Bezug genommenen Vorschriften des ORF-G der mitbeteiligten Partei eine rechtliche Schranke auch für die Einladung von Personen zu einer Diskussionssendung setzen. Dabei kommt ihr jedoch, wie die belangte Behörde zutreffend annimmt, ein weiter journalistischer Entscheidungsspielraum zu. Die – auch verfassungsgesetzlich gebotene – Meinungsvielfalt hat die mitbeteiligte Partei durch ihr Programm insgesamt zu erfüllen, ein Anspruch einer politischen Partei auf Präsenz in einer bestimmten Sendung besteht dagegen nicht. Vielmehr ist maßgeblich, dass alle politischen Kräfte, die eine nennenswerte Bedeutung haben (und dazu gehören jedenfalls die im Nationalrat vertretenen Parteien), die Möglichkeit haben, ihren Standpunkt zu einer Frage im Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalters darzulegen.» (Seite 495)
VfGH erklärt strafrechtliches Verbot der religiösen Eheschließung durch kirchlichen Amtsträger ohne vorherige standesamtliche Ziviltrauung als Verstoß gegen die Religionsfreiheit für verfassungswidrig
Die Entscheidung aus dem Jahr 1955 wird hier abgedruckt, um einen rechtsvergleichenden Kontext mit dem Urteil des EGMR zur Imam-Ehe in der Türkei (s.o. S. 468) und der daraus folgenden sozialrechtlichen Benachteiligung der Frau herzustellen. (Seite 499)
In diesen Zusammenhang gehört auch die von der Deutschen Bischofskonferenz zwingend vorgeschriebene Belehrung der Brautleute durch den Geistlichen über die nachteiligen Folgen einer nur religiös und nicht zivilrechtlich geschlossenen Ehe, siehe in diesem Heft S. 539.
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Karlsruhe, stärkt Informationsanspruch eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gegenüber einer pauschal begründeten Informationsverweigerung der Regierung / CIA-Flüge
Konkret geht es um über deutsche Flughäfen abgewickelte geheime Flüge des amerikanischen Geheimdienstes CIA mit Terrorverdächtigen an Bord und um die damit verbundene Folter-Vermutung.
Der Zweite Senat des BVerfG stellt grundsätzlich fest: «Nimmt die Bundesregierung das Recht für sich in Anspruch, einem Untersuchungsausschuss Beweismittel aus verfassungsrechtlichen Gründen vorzuenthalten, so unterliegt sie von Verfassungs wegen einer Begründungspflicht (…). Pauschales Berufen auf einen der verfassungsrechtlichen Gründe, die dem parlamentarischen Untersuchungsrecht Grenzen setzen, genügt in keinem Fall. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Informationsverweigerungsrechts ist substantiiert, nicht lediglich formelhaft, darzulegen. (…) Auch der allgemeine Verweis darauf, dass der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung berührt sei, reicht nicht aus. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, gegenüber dem Untersuchungsausschuss nachvollziehbar darzulegen, aus welchem Grunde die angeforderten Beweismittel dem exekutiven Kernbereich zuzuordnen sind (…).
Beruft die Bundesregierung sich auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit von Beweismitteln, so muss sie den Ausschuss, gegebenenfalls in vertraulicher Sitzung, detailliert und umfassend über die Natur der zurückgehaltenen Informationen, die Notwendigkeit der Geheimhaltung und den Grad der nach ihrer Auffassung bestehenden Geheimhaltungsbedürftigkeit unterrichten.» (Seite 501)
BVerfG unterstreicht presserechtliche Verantwortung für einseitig verkürzende Auszüge andernorts erschienener Presseberichte in einem Pressespiegel
Die 1. Kammer des Ersten Senats führt in einem Fall, bei dem es um einen Bericht über strafrechtliche Ermittlungen ging, aus: «Die Verletzung der Pflicht zur unverfälschten Darstellung desals Fremdtext übernommenen Berichtes vermag im vorliegenden Fall in verfassungsrechtlich vertretbarer Weise auch den Ausschlag im Rahmen einer Abwägung zu Lasten der Meinungsfreiheit zu geben. (…)
Es stellt auch vor dem Hintergrund der Funktion der Meinungsfreiheit, einen freien Kommunikationsprozess zu gewährleisten und mit Blick auf die besonderen Aufgaben der Presse, in Wahrnehmung der Meinungsfreiheit die Öffentlichkeit zu informieren und an der demokratischen Willensbildung mitzuwirken, keine übermäßige Anforderung dar, wenn von Presseunternehmen verlangt wird, bei Zusammenfassung eines die Ehre des Betroffenen besonders beeinträchtigenden Fremdberichtes über den Verdacht der Begehung einer Straftat dessen Sinngehalt, jedenfalls soweit es die Tatsachengrundlage des Verdachts betrifft, wenigstens den Grundzügen nach vollständig wiederzugeben.» (Seite 526)
Heike Baddenhausen, Juliane Schopp, Catrin Steinrück, Berlin, berichten über den Verlauf der Arbeiten an der neuen Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon
Die vier Gesetze aus der Mitte des Bundestages wurden am 8. September vom Bundestag und am 18. September 2009 vom Bundesrat verabschiedet. Im Einzelnen handelt es sich um:
(1) Das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (BegleitG), dessen zentraler Bestandteil in Art. 1 das Gesetz über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (IntVG) ist,
(2) Gesetz zur Umsetzung der Grundgesetzänderungen für die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon (UmsetzungsG),
(3) Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) und
(4) Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG). (Seite 534)
Bei Redaktionsschluss waren die Gesetze vom Bundespräsidenten noch nicht ausgefertigt.
Informationspflichten des Geistlichen bei religiöser Trauung über die Folgen des Unterlassens einer Zivileheschließung
Nach Aufhebung des Verbots der religiösen Trauung ohne vorhergehende Zivileheschließung im Rahmen der Reform des Personenstandsrechts zum 1. Januar 2009 hat die Deutsche Bischofskonferenz zur Belehrung der Brautleute strikte Vorgaben gemacht.
Der Text der vorgeschriebenen Belehrung (in der Verordnung des Freiburger Erzbischofs und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch) wird hier zur rechtsvergleichenden Ergänzung des die Imam-Ehe in der Türkei betreffenden Urteils des EGMR (s.o. S. 468) dokumentiert. (Seite 539)
BVerfG untersagt mit einstweiliger Anordnung die Abschiebung eines irakischen Asylantragstellers nach Griechenland wegen der Gefahr der faktischen Unmöglichkeit behördlicher Registrierung mit der Folge aufgezwungener Obdachlosigkeit. (Seite 540)