EuGRZ 1999 |
27. Mai 1999
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26. Jg. Heft 9-10
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Informatorische Zusammenfassung
Zu Rentenkürzungen für bestimmte, in die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland überführte, Ansprüche aus einigen der über 60 Zusatz- bzw. Sonderversorgungssystemen der DDR wie u. a. für „Angehörige wissenschaftlicher, künstlerischer, pädagogischer und medizinischer Einrichtungen“, bzw. für „Leiter und Mitarbeiter des Staatsapparates“ oder Angehörige des Staatssicherheitsdienstes hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in vier am 28. April verkündeten Urteilen Stellung genommen. Hauptkriterien für die festgestellten Verfassungsverstöße sind Eigentumsschutz und Gleichheitssatz (Art. 14 und Art. 3 GG), deren Schutzfunktion mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland, auf der Schwelle zum Grundgesetz also, beginnt.
(I.) Der im Einigungsvertrag (EV) garantierte Zahlbetrag der DDR-Rente ist auch für übergeleitete Renten aus früheren Zusatz- und Sonderversorgungssystemen ab 1.1.1992 zu dynamisieren. Die abweichend vom EV beschlossene vorläufige Begrenzung des zu zahlenden Betrages auf 2.700 DM monatlich ab 1.8.1991 ist nichtig.
(II.) Die Absenkung der Bemessungsgrundlage für übergeleitete Renten aus dem Zusatzversorgungssystem für „Leiter und Mitarbeiter des Staatsapparates“ unter den Einkommensdurchschnitt der früheren DDR durch den gesamtdeutschen Gesetzgeber ist in ihrer Wirkung bis zum 30. Juni 1993 verfassungsgemäß, danach jedoch verfassungswidrig.
(III.) Bei der Renten-Neuberechnung für übergeleitete Ansprüche aus Zusatz- oder Sonderversorgungssystemen ist die im Schnitt ungünstige Zugrundelegung der während der gesamten Versicherungszeit bezogenen Einkommen gegenüber der Berücksichtigung nur der letzten – meist besten – 20 Jahre für allgemeine Renten gleichheitswidrig.
(IV.) Für übergeleitete Stasi-Renten ist der noch vom Gesetzgeber der DDR festgelegte monatliche Höchstbetrag von zunächst 990 Mark/Ost (nach Inkrafttreten der Währungsunion am 1.7.1990: DM 990) nicht zu beanstanden, während die nach der Wiedervereinigung vom gesamtdeutschen Gesetzgeber beschlossene weitere Reduzierung auf den Höchstbetrag von 802 DM verfassungswidrig ist.
U.a. folgende Daten, Verträge und Gesetze sind in den vorliegenden Verfahren von Bedeutung: (1.-) Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland vom 18. Mai 1990, in Kraft am 1. Juli 1990; (2.-) DDR-Rentenangleichungsgesetz vom 28. Juni 1990; (3.-) Einigungsvertrag zwischen DDR und Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1990 zur Regelung der Bedingungen und Modalitäten des am 3. Oktober 1990 erfolgten Beitritts der DDR zur Bundesrepublik; (4.-) Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) vom 25. Juli 1991; (5.-) Sozialgesetzbuch Bd. VI (SGB VI), verkündet vor der Wiedervereinigung, in Kraft getreten am 1.1.1992; (6.-) Rentenüberleitungsergänzungsgesetz (Rü-ErgG) vom 24. Juni 1993.
I.- BVerfG erklärt die in Abweichung vom Einigungsvertrag erfolgte vorläufige Begrenzung des garantierten Zahlbetrags der zuletzt bezogenen DDR-Versorgung auf 2.700 DM monatlich aus Gründen des Eigentumsschutzes für nichtig und verfügt in verfassungskonformer Auslegung die rentenrechtliche Dynamisierung des Zahlbetrags ab 1.1.1992 / hier betroffen: Medizin-Professor und Leiter einer wissenschaftlichen Forschungsabteilung der Charité
In den Leitsätzen heißt es grundlegend: «Die in der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen und im Einigungsvertrag nach dessen Maßgaben als Rechtspositionen der gesamtdeutschen Rechtsordnung anerkannten Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen genießen den Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß die in der Deutschen Demokratischen Republik bestehenden Zusatz- und Sonderversorgungssysteme geschlossen und die darin erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung überführt wurden. Die Vorschrift des Einigungsvertrages über die Zahlbetragsgarantie ist jedoch verfassungskonform dahin auszulegen, daß der hier garantierte Zahlbetrag für Bestandsrentner ab 1. Januar 1992 an die Lohn- und Einkommensentwicklung anzupassen ist.
Die Regelung des &Par; 10 Abs. 1 Satz 2 AAÜG über die vorläufige Zahlbetragsbegrenzung verstößt gegen Art. 14 Abs. 1 GG und ist nichtig. (…)»
Zur Begründung wird ausgeführt: «Für Rentenansprüche und Rentenanwartschaften, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes erworben worden sind, ist der Eigentumsschutz seit langem anerkannt. (…) Für die in der Deutschen Demokratischen Republik begründeten und im Zeitpunkt ihres Beitritts zur Bundesrepublik Deutschland bestehenden Versorgungsansprüche und -anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen kann im Grundsatz nichts anderes gelten.
Sie nehmen als Rechtspositionen, die der Einigungsvertrag grundsätzlich anerkannt hat, am Schutz des Art. 14 GG teil. Zwar entfaltet Art. 14 GG seine Schutzwirkung nur im Geltungsbereich des Grundgesetzes. Dieser erstreckte sich vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten nicht auf das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik. Das Grundgesetz trat dort mit dem Beitritt auch nicht rückwirkend in Kraft. Bis zum Beitritt genossen daher die in der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Rentenansprüche und -anwartschaften nicht den Schutz von Art. 14 Abs. 1 GG. Mit dem Beitritt und der Anerkennung durch den Einigungsvertrag gelangten sie jedoch wie andere vermögenswerte Rechtspositionen in den Schutzbereich dieses Grundrechts. (…)
Der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz kommt den Rentenansprüchen und -anwartschaften aber nur in der Form zu, die sie aufgrund der Regelungen des Einigungsvertrages erhalten haben. (…)
Der Einigungsvertragsgesetzgeber fand die Rentenansprüche und -anwartschaften in der modifizierten Form vor, die sie zwischenzeitlich durch die Gesetzgebung der Deutschen Demokratischen Republik erhalten hatten, welche den Anforderungen des Grundgesetzes nicht unterlag und daher an ihr auch nicht gemessen werden kann. In den Geltungsbereich des Grundgesetzes traten diese Rechtspositionen aufgrund ihrer Anerkennung durch den Einigungsvertragsgesetzgeber, der die Beitrittsbedingungen und -folgen festlegte, und mit den Maßgaben ein, die dieser in Ausübung seiner Befugnis aus Art. 14 Abs. 1 und 2 GG für sie festgesetzt hatte.»
Die Grundentscheidung, sämtliche Renten-, Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der DDR zu schließen und sie ausnahmslos in das gesetzliche Rentensystem der Bundesrepublik Deutschland zu überführen ist verfassungsgemäß:
«Während sich für Angehörige der Sozialpflichtversicherung und der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung die Altersversorgung nach der Eingliederung in die gesetzliche Rentenversicherung durch die Umrechnung der in der Deutschen Demokratischen Republik bezogenen Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen auf Westniveau, die kontinuierliche Dynamisierung der Renten und das stetige Steigen des aktuellen Rentenwertes (Ost) verbessert hat, wirkt sich die Überführung für viele Angehörige der Versorgungssysteme trotz der auch ihnen zugutekommenden Dynamisierung nachteilig aus. Das beruht darauf, daß die Beitragsbemessungsgrenze hohe Arbeitsverdienste kappt und das Sicherungsniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung von etwa 90 auf etwa 70 vom Hundert des im Lebensdurchschnitt erreichten Verdienstes abgesenkt wird.
Die Grundentscheidung widerspricht bei verfassungskonformer Auslegung nicht Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.
Aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ergibt sich keine Verpflichtung des Gesetzgebers, das Altersversorgungssystem der Deutschen Demokratischen Republik einschließlich der Zusatz- und Sonderversorgungen beizubehalten.»
Verfassungswidrig dagegen ist die nachträgliche Einführung eines monatlichen Höchstbetrags von 2.700 DM:
«Der Gesetzgeber hat in eine durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtsposition eingegriffen, indem er in &Par; 10 Abs. 1 Satz 2 AAÜG angeordnet hat, daß der garantierte Gesamtzahlbetrag aus Renten der Rentenversicherung und Leistungen bestimmter Zusatzversorgungssysteme für Rentenbezugszeiten ab 1. August 1991 auf einen Höchstbetrag von 2.700 DM monatlich begrenzt wird. Ab diesem Zeitpunkt wird dem Kläger ein Teil des ihm im Einigungsvertrag zugesagten Gesamtzahlbetrags in Höhe der Differenz zwischen 4.066 DM monatlich und dem Höchstbetrag von 2.700 DM vorenthalten.
Der Eingriff hat erhebliches Gewicht. Infolge der „vorläufigen“ Zahlbetragsbegrenzung wird in Wahrheit ein Teil des Gesamtzahlbetrags auf Dauer vorenthalten, weil eine spätere Nachzahlung nach der geltenden Rechtslage nicht in Betracht kommt. (…) Der dadurch eintretende Verlust ist um so gravierender, je größer die Differenz zwischen dem alten und dem neuen Zahlbetrag ist und je länger es dauert, bis die neu berechnete Rente aufgrund von Rentenanpassungen den durch den Einigungsvertrag garantierten Zahlbetrag erreicht. (…)
Der Sache nach dient die Zahlbetragsgarantie damit in erster Linie dem Schutz von Rentenansprüchen und -anwartschaften oberhalb der Höchstgrenzen der allgemeinen Rentenversicherung. Daß dieser Schutz in Einzelfällen Leistungen bis zum Mehrfachen der Höchstrente erfassen würde, war unverkennbar und ist vom Gesetzgeber des Einigungsvertrages typisierend in Kauf genommen worden. Ebensowenig hat der Einigungsvertragsgesetzgeber verkannt, daß die Zahlbetragsgarantie auch privilegierten Personengruppen und ihren „überhöhten“ Ansprüchen zugute kommen würde. Er hat sie ausdrücklich von dem Vorbehalt ausgenommen, daß überhöhte Leistungen abzubauen sind. Damit hat er dem Vertrauensschutz auch insoweit Vorrang eingeräumt (Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchst. b Satz 4 und 5 EV). Ohne Hinzutreten neuer Umstände oder Erkenntnisse, die eine andere Sicht des Gesetzgebers sachlich rechtfertigen könnten, kann dieser Vertrauensschutz nicht beseitigt werden. Allein der Hinweis, daß er politisch nicht hinnehmbar sei, reicht jedenfalls nicht aus.» (Seite 245)
II.- BVerfG wertet die Absenkung der Bemessungsgrundlage für übergeleitete Renten aus dem Zusatzversorgungssystem für „Leiter und Mitarbeiter des Staatsapparates“ unter den Einkommensdurchschnitt der früheren DDR durch den gesamtdeutschen Gesetzgeber in ihrer Wirkung bis zum 30.6.1993 als hinnehmbar, danach jedoch als Verstoß gegen Gleichheitssatz und Eigentumsgarantie/ hier betroffen: Richter, Vopo-Oberstleutnant
Zusammenfassend heißt es in den Leitsätzen: «Dem Gesetzgeber ist es von Verfassungs wegen nicht verwehrt, bei der Berechnung der Rente nach dem SGB VI die in der Deutschen Demokratischen Republik erzielten Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen von Angehörigen bestimmter Versorgungssysteme und von Inhabern bestimmter Funktionen auch unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze unberücksichtigt zu lassen, soweit sie nicht auf Arbeit und Leistung beruhten und deshalb überhöht waren. Die Bestimmung der Erhöhungstatbestände und die daran geknüpften Folgen für die Berücksichtigung der Arbeitsverdienste müssen aber in den tatsächlichen Verhältnissen eine Entsprechung finden, um dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu genügen.»
In der Begründung hält das BVerfG fest: «In der Alterssicherung der Deutschen Demokratischen Republik wirkten ungerechtfertigte Privilegien fort. Die Ansprüche und Anwartschaften beruhten in vielen Fällen nicht allein auf Arbeit und Leistung, sondern waren auch Prämien für Systemtreue. Insofern konnte der Gesetzgeber sie als „überhöht“ ansehen und auf das durch Arbeit und Leistung gerechtfertigte Maß begrenzen. Das gilt um so mehr, als eine Überprüfung von Ansprüchen und Anwartschaften mit dem Ziel des Abbaus überhöhter Leistungen schon im Staatsvertrag vereinbart worden war (vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 3) und der Gesetzgeber hieran mit den Vorschriften im Einigungsvertrag und im Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz angeknüpft hat. Eine uneingeschränkte und bedingungslose Berücksichtigung der tatsächlichen Arbeitsverdienste bei der Versorgungsüberleitung war bereits von der Deutschen Demokratischen Republik nicht gewollt.
Die angegriffene Regelung verfehlt jedoch das angestrebte Ziel. Der Gesetzgeber hat in einer unzulässig typisierenden Weise unterstellt, daß die Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen der von der Regelung erfaßten Personen durchweg überhöht waren.
(…) Keinesfalls folgt aus der „Staats- und Systemnähe“ der Berufstätigkeit allein, daß diesen Personengruppen durchgängig Entgelte gezahlt worden sind, die nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt und insoweit „überhöht“ waren. (…) Zwar wird im Entwurf zum Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz zur Begründung der Begrenzungsregelung des &Par; 6 Abs. 2 AAÜG ausgeführt, es handele sich bei der Zielgruppe um Personen, die bei typisierender Betrachtungsweise einen erheblichen Beitrag zur Stärkung oder Aufrechterhaltung des politischen Systems der Deutschen Demokratischen Republik geleistet hätten (BTDrucks. 12/4810, S. 20 f.). Der für die Rechtfertigung der Typisierung entscheidende Schluß, daß diese Personengruppen bei generalisierender Betrachtungsweise leistungsfremde, politisch begründete und damit überhöhte Arbeitsverdienste bezogen haben, folgt daraus aber nicht.»
Die zeitliche Grenze der Verfassungsmäßigkeit der zur Prüfung gestellten Norm liegt beim 30. 6. 1993: «Bis zum 30. Juni 1993 – dem Monat vor Erlaß des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes – kann allerdings ein Verstoß der zur Prüfung gestellten Normen gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG noch nicht festgestellt werden. Handelt es sich um die Regelung komplexer Lebenssachverhalte, so kann dem Gesetzgeber eine angemessene Zeit zur Sammlung von Erkenntnissen und Erfahrungeneingeräumt werden. In dieser Zeit darf er sich mit gröberen Typisierungen und Generalisierungen begnügen. Damit einhergehende Härten und Ungerechtigkeiten geben erst dann Anlaß zur verfassungsrechtlichen Beanstandung, wenn der Gesetzgeber seine Regelungen nicht anhand inzwischen möglicher Erkenntnisse und Erfahrungen überprüft und auf den Versuch einer sachgerechteren Lösung verzichtet.
Die Voraussetzungen für eine gröbere Typisierung und Generalisierung waren zunächst gegeben. Es galt, die Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der Deutschen Demokratischen Republik in die gesetzliche Rentenversicherung erstmals gesetzlich zu regeln. (…) Verwertbare Unterlagen über Versicherungsverläufe waren häufig nicht vorhanden. Insoweit fehlte es an ausreichenden und zuverlässigen Informationen über individuell erzielte Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen, Verdienstspannen und Durchschnittseinkünfte. Teilweise mußten die Rechtsgrundlagen der zahlreichen Versorgungssysteme erst ermittelt werden, weil sie nicht veröffentlicht waren. (…)
Seit dem 1. Juli 1993 verstießen die zur Prüfung gestellten Normen mit ihrer in die Zukunft gerichteten Wirkung jedoch aus den dargestellten Gründen gegen das Grundgesetz. Mit Inkrafttreten des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes zu diesem Zeitpunkt (Art. 18 Abs. 1 Rü-ErgG) genügten die Regelungen des &Par; 6 Abs. 2 und 3 Nr. 7 AAÜG den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr. Da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die Verfassungswidrigkeit des &Par; 6 Abs. 2 und des &Par; 6 Abs. 3 Nr. 7 AAÜG zu beseitigen, sind die Regelungen nicht für nichtig, sondern lediglich für mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG unvereinbar zu erklären.» (Seite 262)
III.- BVerfG sieht bei Renten-Neuberechnung von übergeleiteten Ansprüchen aus Zusatz- oder Sonderversicherungssystemen in der im Schnitt ungünstigen Zugrundelegung der während der gesamten Versicherungszeit bezogenen Einkommen gegenüber der Berücksichtigung nur der letzten (meist besten) 20 Jahre für allgemeine Renten Verstoß gegen Art. 3 GG / hier betroffen: niedergelassener Facharzt, Krankenhaus-Oberärztin
«Es ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, daß bei der Neuberechnung von Bestandsrenten aus Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem der Deutschen Demokratischen Republik für die Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte (Ost) die während der gesamten Versicherungszeit bezogenen tatsächlichen Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt werden, während für die sonstigen Bestandsrentner im Beitrittsgebiet nach &Par; 307 a Abs. 2 Satz 1 SGB VI ein 20-Jahres-Zeitraum maßgeblich ist.» (Seite 275)
IV.- BVerfG bestätigt die von der Volkskammer der DDR 1990 beschlossene und als gesamtdeutsches Bundesrecht fortgeltende Höchstbetragsbegrenzung für Stasi-Renten von 990 Mark, erklärt jedoch die nach der Wiedervereinigung vom gesamtdeutschen Gesetzgeber beschlossene weitere Reduzierung auf maximal 802 DM für nichtig / hier betroffen: Stasi-Oberstleutnant, Hauptmann, Oberst
Die Leitsätze lauten: «Die durch &Par; 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG (in Verbindung mit Anlage 6) für Angehörige des Sonderversorgungssystems des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit vorgenommene Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen auf 70 vom Hundert des jeweiligen Durchschnittsentgelts im Beitrittsgebiet ist mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG nicht vereinbar und nichtig, soweit für die Rentenberechnung das zugrunde zu legende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen unter das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet abgesenkt wird.
Die Vorschrift des &Par; 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AAÜG über die Begrenzung von Zahlbeträgen der Leistungen des Sonderversorgungssystems des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit auf 802 DM monatlich bei Versichertenrenten verstößt gegen Art. 14 GG und ist nichtig.
Die pauschale Kürzung [auf max. 990 Mark] von Versorgungsleistungen aus dem genannten Versorgungssystem nach dem als Bundesrecht fortgeltenden Gesetz der Deutschen Demokratischen Republik über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit ist mit dem Grundgesetz vereinbar.»
Zur Begründung führt das BVerfG aus: «Die Begrenzungsregelungen verfolgen den Zweck, Einkommen bestimmter Personengruppen aus Tätigkeiten, in denen diese im Vergleich mit anderen Personengruppen bei typisierender Betrachtung einen „erheblichen Beitrag zur Stärkung oder Aufrechterhaltung des politischen Systems“ der Deutschen Demokratischen Republik geleistet haben, nicht in vollem Umfang in die Rentenversicherung zu übernehmen und bei der künftigen sozialen Sicherung fortwirken zu lassen. Mit der Absenkung des rentenwirksamen Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens auf einen Betrag unterhalb des jeweiligen Durchschnittsentgelts im Beitrittsgebiet hat der Gesetzgeber für Angehörige des MfS/AfNS eine „besondere Begrenzung“ vorgesehen (BRDrucks. 197/91, S. 147; BTDrucks. 12/405, S. 147).
Damit verfolgt der Gesetzgeber ein legitimes öffentliches Interesse. (…)
Dem Gesetzgeber war bekannt, daß die große Mehrheit der hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit innerhalb der relativ nivellierten Einkommensverteilung der Deutschen Demokratischen Republik deutlich oberhalb des Durchschnitts angesiedelt war. Es lagen außerdem Anhaltspunkte dafür vor, daß Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen beim MfS/AfNS die allgemein in der Deutschen Demokratischen Republik für eine vergleichbare Tätigkeit oder eine Position mit gleichwertiger Qualifikation erzielbaren Verdienste überstiegen. (…)
Die Annahme deutlich überhöhter Entgelte durfte der Gesetzgeber zusätzlich darauf stützen, daß das MfS im Laufe der Zeit ein System von Einrichtungen aufgebaut hatte, das zwar der Form nach den Einrichtungen in den Betrieben und sonstigen Institutionen der Deutschen Demokratischen Republik entsprach, tatsächlich aber die Mitarbeiter des MfS in vielerlei Hinsicht privilegierte. Die Vergünstigungen setzten sich bei der finanziellen Absicherung des Alters fort. Infolge ihres überdurchschnittlichen Gehaltsniveaus bezogen Angehörige der Staatssicherheit aus der eigenen Rentenkasse des MfS/AfNS eine Altersversorgung, die diejenige anderer Versorgungsberechtigter und vor allem die in der Rentenversicherung erzielbaren Leistungen deutlich überstieg (75 vom Hundert der monatlichen beitragspflichtigen Durchschnittsvergütung). Sogar noch in der Phase der Auflösung des MfS/AfNS wurde die Versorgung vieler Mitarbeiter der Staatssicherheit durch Ausgleichszahlungen in der Gestalt von „Übergangsbeihilfen“ und „gesonderten Übergangsgebührnissen“ aufgestockt. (…)
Nicht gerechtfertigt ist es jedoch, daß der Gesetzgeber das bei der Rentenberechnung zu berücksichtigende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen der in &Par; 7 AAÜG genannten Personen unter das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet abgesenkt hat.» (Seite 284)