EuGRZ 1997 |
17. Juni 1997
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24. Jg. Heft 7-10
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Informatorische Zusammenfassung
Siegbert Morscher, Innsbruck/Wien, kommentiert die Rechtsprechung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes zum Fremdengesetz
«Menschenrechtlicher Standard bemißt sich heute vornehmlich und gerade an der "Behandlung" der Fremden und daran, ob und wenn ja, inwieweit ihnen Grund- und Freiheitsrechte gewährleistet sind. Dabei spielen naturgemäß fast alle verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte eine Rolle. Einzelnen davon kommt aber, wie dieser Beitrag noch näher dartun wird, ganz spezifische Bedeutung zu. Es sind dies die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Schutz des Lebens, auf Schutz der persönlichen Freiheit, auf Schutz vor Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung, auf Schutz des Privat- und Familienlebens sowie auf Schutz vor Diskriminierung. Letzteres Grundrecht gewährleistet in gewisser Weise eine Gleichbehandlung der Fremden untereinander i.S.d. Art. 7 Abs. 1 B-VG.
Alle genannten Grundrechte sind entweder ausschließlich oder in ganz erheblichem Umfang aufgrund von Beschwerden von Fremden seitens des VfGH zur Anwendung gelangt und näher ausjudiziert worden.» (Seite 133)
Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR), Straßburg, erklärt Beschwerde des ehemaligen Stasi-Ministers Erich Mielke gegen Haft und Verurteilung wegen eines 1931 begangenen Doppelmordes für unzulässig, weil unbegründet
Mielke war 1993 vom Landgericht Berlin zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden, weil er nach den Feststellungen des Gerichts am Abend des 9. August 1931 zusammen mit anderen in Berlin zwei Polizisten von hinten erschossen und einen dritten Polizisten gefährlich verletzt hatte. Der Strafverfolgung hatte Mielke sich durch die Flucht in die Sowjetunion entzogen.
Der Bf., der die Tat bestreitet, behauptet in seiner Menschenrechtsbeschwerde, Art. 5 EMRK sei verletzt, weil in jedem Fall Verfolgungsverjährung eingetreten sei, Art. 14 sei verletzt, weil das Strafverfahren gegen ihn wegen seiner politischen Anschauungen und seines politischen Vorlebens als wichtiger und bekannter Exponent der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik geführt worden sei, und schließlich sei Art. 6 verletzt, weil sein Strafverfahren nicht fair gewesen sei. Er habe einen inzwischen verstorbenen Belastungszeugen nie befragen können und sei wegen seines hohen Alters nicht verhandlungsfähig gewesen.
Die EKMR setzt sich mit den einzelnen Beschwerdepunkten ausführlich auseinander und kommt zu dem Ergebnis, daß diese jeweils unbegründet sind. (Seite 148)
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), Luxemburg, bestätigt verschuldensunabhängige Haftung des diskriminierenden Arbeitgebers und sieht Gleichbehandlungsrichtlinie durch spezielle Entschädigungshöchstgrenzen nach deutschem Recht zuungunsten diskriminierter Stellenbewerber als z.T. verletzt an
Im Draehmpaehl-Urteil stellt der EuGH fest, «daß die Richtlinie einer innerstaatlichen gesetzlichen Regelung entgegensteht, die wie § 611a Absätze 1 und 2 BGB für einen Anspruch auf Schadensersatz – wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der Einstellung – die Voraussetzung des Verschuldens aufstellt».
Die in sonstigen innerstaatlichen zivil- und arbeitsrechtlichen Regelungen nicht vorgesehene spezielle Höchstgrenze von drei Monatsgehältern verstößt gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie, wenn der Bewerber bei diskriminierungsfreier Auswahl die zu besetzende Position erhalten hätte. Wenn dagegen der Arbeitgeber beweisen kann, daß der Bewerber die zu besetzende Position wegen der besseren Qualifikation des eingestellten Bewerbers auch bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht erhalten hätte, ist die genannte Höchstgrenze nicht zu beanstanden.
Die kumulative Höchstgrenze von sechs Monatsgehältern, die für den Fall vorgesehen ist, daß mehrere Bewerber Schadensersatz wegen Diskriminierung geltend machen, verstößt gegen die Richtlinie. (Seite 155)
Schweizerisches Bundesgericht (BGer), Lausanne, präzisiert Begründung von Haftentscheiden und hebt eine vom Haftrichter verfügte zweimonatige generelle Sperrfrist für die Einreichung neuer Haftentlassungsgesuche auf
«Im vorliegenden Fall begründete die Haftrichterin die zweimonatige Sperrfrist allein damit, der Beschwerdeführer habe innerhalb eines Monats drei Gesuche um Haftentlassung gestellt und damit die Strafuntersuchung unnötig behindert. Diese Begründung nimmt keinen Bezug auf den Stand der Strafuntersuchung. Auch lässt sich daraus nicht entnehmen, ob die weiteren noch erforderlichen Untersuchungshandlungen frühestens nach zwei Monaten abgeschlossen sein werden und ob die Flucht- oder die Kollusionsgefahr noch so lange andauern werden. Die Sperrfrist von zwei Monaten für die Einreichung eines neuen Gesuchs um Entlassung aus der Untersuchungshaft erweist sich unter diesen Umständen als übersetzt.» (Seite 159)
BGer wertet Registrierung der Mitgliedschaft von Beamten und Angestellten in politischen bzw. weltanschaulichen Vereinen ohne gesetzliche Grundlage als Verletzung der persönlichen Freiheit sowie des Art. 8 EMRK
Konkret geht es um die Mitgliedschaft im "Verein für Psychologische Menschenkenntnis" (VPM). In seinem Urteil führt das BGer u.a. aus: «Nach Einschätzung der Zürcher Behörden weist der VPM sektenähnliche Züge und eine totalitäre, vereinnahmende Tendenz auf; VPM-Lehrkräfte verursachten Schulkonflikte aufgrund ihres rechthaberischen, missionarischen Auftretens und unkollegialen Verhaltens, welches sich unter anderem in der Unfähigkeit zeige, andere Meinungen gelten zu lassen und sich Mehrheitsentscheidungen zu fügen; dabei würden sie offensichtlich vom Verein beraten und gesteuert. Die Zürcher Behörden weisen in ihren Vernehmlassungen darauf hin, dass es zwischen 1990 und 1992 zu rund 50 Konfliktfällen im Schulwesen mit VPM-Angehörigen gekommen sei. Angesichts dieser Einschätzung des VPM sowie den zahlreichen Konflikten zwischen Erziehungsdepartement bzw. Schulpflegen einerseits und VPM-Lehrkräften bzw. dem VPM andererseits liegt es auf der Hand, dass sich die VPM-Mitgliedschaft für die Einstellung bzw. das berufliche Fortkommen im Zürcher Schuldienst negativ auswirken kann, auch wenn sie für sich allein kein Grund für eine Anstellungsverweigerung oder eine allfällige Entlassung ist. Es handelt sich somit um besonders schützenswerte Personendaten, deren Bearbeitung für die Betroffenen mit einem besonderen Gefährdungspotential verbunden ist.» (Seite 162)
Verfassungsgerichtshof (VfGH), Wien, bestätigt Ex-lege-Auswechslung des Arbeitgebers (hier: Austro Control GmbH) gegenüber ehemaligen Bundesbediensteten
«Der Verfassungsgerichtshof vermag dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten, wenn er es im Hinblick auf die Aufgabenstellung der Austro Control GmbH [gegen deren Betrauung mit Aufgaben, die vormals vom Bundesamt für Zivilluftfahrt wahrgenommen worden sind, keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen…] aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, deren Verbesserung die Ausgliederung dienen soll, für im öffentlichen Interesse geboten erachtete, die Bediensteten des Bundesamtes für Zivilluftfahrt insoweit, als sie vormals in einem – privatrechtlichen – Dienstverhältnis zum Bund gestanden sind, in ein Dienstverhältnis zu der neu gegründeten Gesellschaft überzuleiten. Der in Rede stehende Eigentumseingriff ist demnach als im öffentlichen Interesse gelegen anzusehen.» (Seite 165)
VfGH nimmt Verstoß gegen Verbot der Doppelbestrafung an, wenn der wesentliche Gesichtspunkt eines Straftatbestandes bereits von einer anderen Strafnorm erfaßt ist / hier: Alkohol am Steuer
Grundsätzlich argumentiert der VfGH: «Die verfassungsrechtliche Grenze, die Art. 4 Abs. 1 des 7. ZPEMRK einer Doppel- oder Mehrfachbestrafung zieht, kann daher nur darin liegen, daß eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung dann unzulässig ist, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrecht- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodaß ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfaßt.»
Das ist der Fall, wenn nach einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen Alkohols am Steuer die Tat zusätzlich als Verwaltungsübertretung zu ahnden ist. (Seite 169)
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Karlsruhe, klärt mitgliedschaftsrechtliche Zuordnung ehemaliger DDR-Professoren
«Hochschullehrer, die an Hochschulen der Deutschen Demokratischen Republik tätig waren und nach der Wiedervereinigung nicht als Professoren neuen Rechts übernommen worden sind, obwohl ihre persönliche Eignung und fachliche Qualifikation in einem förmlichen Verfahren festgestellt worden sind, dürfen, wenn sie in ihren bisherigen Rechtsverhältnissen weiterbeschäftigt werden, mitgliedschaftsrechtlich nicht der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter zugeordnet werden.» (Seite 173)
BVerfG billigt Ausschluß zivilrechtlicher Ansprüche zur Rückerlangung von unter Druck veräußerten DDR-Grundstücken
«Die Annahme des Bundesgerichtshofs, das Vermögensgesetz stehe der zivilrechtlichen Anfechtung von Grundstückskaufverträgen entgegen, die vom Eigentümer auf Druck staatlicher Stellen zum Zweck der Erlangung der Genehmigung zur Ausreise aus der Deutschen Demokratischen Republik abgeschlossen worden sind, verletzt nicht Verfassungsrecht.
Der Bundesgerichtshof hat zwar nur ein Prozeßurteil erlassen. Seine Auffassung, daß für die vom Beschwerdeführer verfolgten Rechte der Zivilrechtsweg nicht eröffnet sei, ist jedoch ganz überwiegend auf sachlichrechtliche Erwägungen zum Verhältnis des Vermögensgesetzes zu zivilrechtlichen Rechtspositionen der hier in Rede stehenden Art gestützt. Das Vermögensgesetz sei dem in der Gemeinsamen Erklärung der beiden deutschen Regierungen vom 15. Juni 1990 vorgegebenen Leitgedanken des sozial verträglichen Ausgleichs gefolgt und habe damit die Möglichkeit ausgeschlossen, den Rechtserwerb nach § 70 ZGB rückgängig zu machen.» (Seite 181)
BVerfG bestätigt Ausschluß westdeutscher Rentenleistungen bei ostdeutschem Wohnsitz auch für Ausländer
«Die Regelung des § 1317 RVO, nach der Berechtigte mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik und später im Beitrittsgebiet keine Rentenleistungen westdeutscher Versicherungsträger erhielten (Eingliederungsprinzip), war mit dem Grundgesetz auch insoweit vereinbar, als sie Ausländer betraf.» (Seite 186)
BVerfG nimmt zu enteignungsrechtlichen Vorwirkungen einer verfassungsgemäßen Legalplanung Stellung
Das Investitionsmaßnahmegesetz zum Bau der Südumfahrung Stendal der Eisenbahnstrecke Berlin-Hannover wird bestätigt. In dem Beschluß heißt es u.a.: «Eine Legalplanung hat vor der Verfassung jedenfalls dann Bestand, wenn eine mit ihr verbundene Enteignung nicht nur – wie jede Enteignung – im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG zum Wohle der Allgemeinheit erforderlich ist, sondern auch triftige Gründe für die Annahme bestehen, daß die Durchführung einer behördlichen Planfeststellung mit erheblichen Nachteilen für das Gemeinwohl verbunden wäre, denen nur durch eine gesetzliche Regelung begegnet werden kann.» (Seite 192)
BVerfG bestätigt Restitutionsausschluß sowjet-besatzungsrechtlicher Enteignungen auch im Fall der I.G. Farben
Die 1. Kammer des Ersten Senats nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da ihr keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt: «Durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, daß der in Art. 143 Abs. 3 GG für bestandskräftig erklärte Restitutionsauschluß für die in den Jahren 1945 bis 1949 in der sowjetischen Besatzungszone auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage durchgeführten Enteignungen und die seiner Durchführung dienende Vorschrift des § 1 Abs. 8 Buchstabe a VermG von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden sind.» (Seite 200)
BVerfG sieht auch von der Betriebsleitung herausgegebene Werkszeitungen durch die Pressefreiheit geschützt
«Zur Presse im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gehören auch Werkszeitungen. Gegenstand verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung waren bisher zwar nur Zeitungen oder Zeitschriften, die dem Publikum allgemein zum Kauf angeboten werden. Werkszeitungen unterscheiden sich von solchen Presseerzeugnissen vor allem dadurch, daß sie lediglich unternehmensintern verteilt werden. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG läßt aber nicht erkennen, daß es für die Pressequalität eines Druckerzeugnisses auf diesen Unterschied ankommen soll. Für die Funktion des Grundrechts, eine staatlich nicht reglementierte, offene Kommunikation zu gewährleisten, ist er unerheblich.»
Damit ist im konkreten Fall auch die anonyme Veröffentlichung von Zuschriften gedeckt, in denen der Betriebsrat massiv kritisiert wird und deren Urheber der Redaktion bekannt sind. (Seite 202)
BVerfG billigt obligatorische Warnhinweise auf Tabakerzeugnissen als zumutbaren Eingriff in die Berufsausübung
«Das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) kann für eine Wirtschaftswerbung allenfalls in Anspruch genommen werden, wenn die Werbung einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat oder Angaben enthält, die der Meinungsbildung dienen…. Daran fehlt es hier. Soweit die Hersteller von Tabakerzeugnissen auf ihren Packungen auch staatliche Warnungen verbreiten müssen, nimmt der Staat diese Packungen in Anspruch, ohne damit die Werbung im übrigen zu beeinträchtigen. Insoweit ist nicht die Meinungsbildung und Meinungsäußerung der Unternehmen, sondern ausschließlich deren Berufsausübung berührt. (…)
Die Pflicht zum Aufdruck der Warnhinweise rechtfertigt sich aus der besonderen Sach- und Verantwortungsnähe der Hersteller und Händler von Tabakerzeugnissen zu der Aufgabe des Schutzes vor Gefährdungen durch einen Tabakkonsum, den diese Unternehmen veranlassen.» (Seite 205)Europäisches Parlament, Straßburg, protestiert gegen Diskriminierung von EU-Mitgliedstaaten durch China und fordert ein ausdrückliches weltweites Verbot für das Klonen von Menschen. (Seite 210)
BVerfG verhindert mit einstweiliger Anordnung die zwangsweise Überweisung einer körperbehinderten Schülerin in eine Sonderschule
Die 1. Kammer des Ersten Senats führt dazu aus: «Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, müßte die Beschwerdeführerin noch vor dem rechtskräftigen Abschluß des Hauptsacheverfahrens gegen ihren Willen eine Sonderschule besuchen.» (Seite 211)
Staatsgerichtshof des Landes Hessen (HessStGH), Wiesbaden, bekräftigt Vorlagepflicht an den EuGH auch für Verfassungsgerichte der Mitgliedstaaten / hier: Auslegung der Gleichbehandlungsrichtlinie
Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ist der Antrag von 46 Abgeordneten des Hessischen Landtags festzustellen, daß das hessische Gesetz über die Gleichberechtigung von Frauen und Männern und zum Abbau von Diskriminierungen von Frauen in der öffentlichen Verwaltung teilweise verfassungswidrig ist. (Seite 213)