EuGRZ 2014 |
20. Juni 2014
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41. Jg. Heft 9-12
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Informatorische Zusammenfassung
Markus Ludwigs, Würzburg, bewertet den „Kooperativen Grundrechtsschutz zwischen EuGH, BVerfG und EGMR“
«Die Austarierung des Kräfteverhältnisses zwischen EuGH, BVerfG und EGMR zählt zu den elementaren Fragen des Grundrechtsschutzes im europäischen Mehrebenensystem. Die Einschätzungen reichen von einer pessimistischen Würdigung als „Bermuda-Dreieck“, über den neutralen Befund einer „friedlichen Koexistenz“ bis hin zur optimistischen These der Entwicklung eines „Europäischen Verfassungsgerichtsverbundes“.
Nachfolgend soll die derart plakativ beschriebene Architektur des gerichtlichen Grundrechtsschutzes in Europa in drei Schritten entfaltet werden. Auf einer ersten Stufe sind zunächst die unterschiedlichen Rechtsprechungslinien von EuGH, BVerfG und EGMR nachzuzeichnen. Die auf allen drei Ebenen zum Ausdruck kommende Strategie der wechselseitigen Rücksichtnahme und Selbstbeschränkung bedarf sodann in einem zweiten Schritt der normativen Verortung. Das in diesem Zusammenhang zu identifizierende ebenenübergreifende Kooperationsprinzip ist schließlich drittens für die Lösung der noch offenen Problemstellungen im Rechtsprechungsdreieck fruchtbar zu machen.»
Der Autor gelangt zu folgendem Resümee: «Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich das Zusammenwirken von EuGH, BVerfG und EGMR, trotz der aus dem Drang nach Selbstbehauptung resultierenden Konfliktfelder, durch einen kooperativen, von wechselseitiger Rücksichtnahme und Selbstbeschränkung geprägten, Grundansatz auszeichnet. Dieser kooperative Grundrechtsschutz ist auch normativ rückgebunden. Sowohl dem EU-Recht, als auch dem Grundgesetz und der EMRK sind Anknüpfungspunkte für Rücksichtnahmepflichten im Rechtsprechungsverbund zu entnehmen. Mit Blick auf die Allseitigkeit dieser Pflichten lässt sich auch von einem ebenenübergreifenden Kooperationsprinzip sprechen. Dies zugrunde gelegt, besteht nicht die Gefahr, dass die Kohärenz des Grundrechtsschutzes im „Bermuda-Dreieck“ der Gerichte verloren geht. Das ebenenübergreifende Kooperationsprinzip kann vielmehr sogar zur Auflösung bestehender Spannungsfelder fruchtbar gemacht werden. So lässt sich das umstrittene Verhältnis von nationalen und EU-Grundrechten im Bereich mitgliedstaatlicher Handlungsspielräume unter konsequenter Berücksichtigung der Veranlassungsfunktion des EU-Rechts einerseits und der mitgliedstaatlichen Primärverantwortung „im Spielraum“ andererseits schonend auflösen. Die gleichfalls kontrovers diskutierte Frage nach der Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips aus Art. 53 EMRK (bzw. Art. 53 GRCh) in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen ist nicht apodiktisch zu bejahen oder zu verneinen, sondern im Sinne einer „Korridorlösung“ zu beantworten. Schließlich ist die streitige Fortgeltung der Bosphorus-Judikatur des EGMR nach einem EMRK-Beitritt der EU zwar zu verneinen, zugleich aber den Besonderheiten der Unionsrechtsordnung durch die stringente Anwendung der margin-of-appreciation-Doktrin des EGMR systemintern Rechnung zu tragen. Nimmt man diese Direktiven des ebenenübergreifenden Kooperationsprinzips ernst, kann die eingangs aufgeworfene Frage nach der Austarierung des Kräfteverhältnisses zwischen EuGH, BVerfG und EGMR nur im Sinne eines positiv-rechtlich verwurzelten „Europäischen Verfassungsgerichtsverbundes“ beantwortet werden. Ihn zu wahren und zu stärken ist Aufgabe und Verantwortung aller drei beteiligten Grundrechtsgerichte. (Seite 273)
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Straßburg, billigt Erstellung von DNA-Identifizierungsmustern von Verurteilten oder Verdächtigen zum Zweck der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren bei Straftaten von erheblicher Bedeutung (§ 81g StPO) / Peruzzo und Martens gegen Deutschland
Der Gerichtshof ist der Auffassung, «dass es für den Einzelnen vorhersehbar ist, dass es bei einer Verurteilung wegen wiederholten Drogenhandels und illegaler Einfuhr von Betäubungsmitteln, die wie im Fall des ersten Bf. eine Freiheitsstrafe von über fünf Jahren zur Folge hat, um eine Straftat von mindestens mittlerer Kriminalität geht und dies folglich eine gerichtliche Anordnung nach § 81g StPO zur Folge haben kann. Ähnliche Erwägungen gelten im Hinblick auf den zweiten Bf., soweit die Anordnung der Entnahme einer DNA-Probe von ihm auf der Schwere der in der Vergangenheit von ihm begangenen Straftaten wie gefährlicher Körperverletzung beruhte. Darüber hinaus stellt der Gerichtshof im Hinblick auf die Feststellung des Nürnberger Gerichts, wonach das Stalken einer Frau durch den zweiten Bf. der wiederholten Begehung einer Straftat nach der zweiten Alternative des § 81g Abs. 1 StPO gleichkomme, fest, dass der Gesetzgeber in seiner Begründung zu dieser Bestimmung genau auf diese Art von Straftaten Bezug genommen hat, um ihren Anwendungsbereich zu veranschaulichen.»
Der Gerichtshof stellt ferner fest, «dass die Bf. keine Beschwer hinsichtlich des Grads der Genauigkeit des § 81g StPO i.V.m. den einschlägigen Bestimmungen des Bundeskriminalamtgesetzes geltend machen, soweit diese die Modalitäten und die Dauer der Speicherung der gewonnenen DNA-Identifizierungsmuster sowie deren Verwendung regeln.»
Im Ergebnis befindet der Gerichtshof, «dass die innerstaatlichen Regeln zur Entnahme und Aufbewahrung von DNA-Material von Personen, die wegen einer Straftat einer bestimmten Schwere verurteilt wurden, wie sie in den Fällen der Bf. angewandt wurden, einen gerechten Ausgleich zwischen widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen erzielen und sich im Rahmen des dem betroffenen Staat zustehenden Beurteilungsspielraums halten. Dementsprechend stellen die mit den angegriffenen Gerichtsentscheidungen angeordneten Maßnahmen einen verhältnismäßigen Eingriff in das Recht der Bf. auf Achtung ihres Privatlebens dar und können als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig angesehen werden.
Daraus folgt, dass die Beschwerde offensichtlich unbegründet und dementsprechend nach Art. 35 Abs. 3 lit. a und Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen ist.» (Seite 285)
Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), Luxemburg, beurteilt die RL 2006/24/EG überdie Vorratsspeicherung elektronischer Kommunikationsdaten als zu undifferenziert und zu weitgehend und erklärt sie deshalb für ungültig / Verb. Rsn. Digital Rights Ireland und Seitlinger u.a.
Die RL verstößt gegen Art. 7 GRCh (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Kommunikation) sowie gegen Art. 8 GRCh (Schutz personenbezogener Daten). Das Urteil ergeht auf Vorabentscheidungsersuchen des irischen High Court und des österreichischen Verfassungsgerichtshofs (VfGH).
In der Begründung führt der EuGH u.a. aus: «Zur Erforderlichkeit der durch die Richtlinie 2006/24 vorgeschriebenen Vorratsspeicherung der Daten ist festzustellen, dass zwar die Bekämpfung schwerer Kriminalität, insbesondere der organisierten Kriminalität und des Terrorismus, von größter Bedeutung für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit ist und dass ihre Wirksamkeit in hohem Maß von der Nutzung moderner Ermittlungstechniken abhängen kann. Eine solche dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung kann jedoch, so grundlegend sie auch sein mag, für sich genommen die Erforderlichkeit einer Speicherungsmaßnahme – wie sie die Richtlinie 2006/24 vorsieht – für die Kriminalitätsbekämpfung nicht rechtfertigen. (...)
Zu der Frage, ob der mit der Richtlinie 2006/24 verbundene Eingriff auf das absolut Notwendige beschränkt ist, ist festzustellen, dass nach Art. 3 dieser Richtlinie in Verbindung mit ihrem Art. 5 Abs. 1 alle Verkehrsdaten betreffend Telefonfestnetz, Mobilfunk, Internetzugang, Internet-E-Mail und Internet-Telefonie auf Vorrat zu speichern sind. Sie gilt somit für alle elektronischen Kommunikationsmittel, deren Nutzung stark verbreitet und im täglichen Leben jedes Einzelnen von wachsender Bedeutung ist. Außerdem erfasst die Richtlinie nach ihrem Art. 3 alle Teilnehmer und registrierten Benutzer. Sie führt daher zu einem Eingriff in die Grundrechte fast der gesamten europäischen Bevölkerung. (...)
Insbesondere sieht die Richtlinie 2006/24 kein objektives Kriterium vor, das es erlaubt, die Zahl der Personen, die zum Zugang zu den auf Vorrat gespeicherten Daten und zu deren späterer Nutzung befugt sind, auf das angesichts des verfolgten Ziels absolut Notwendige zu beschränken. Vor allem unterliegt der Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den auf Vorrat gespeicherten Daten keiner vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle, deren Entscheidung den Zugang zu den Daten und ihre Nutzung auf das zur Erreichung des verfolgten Ziels absolut Notwendige beschränken soll und im Anschluss an einen mit Gründen versehenen Antrag der genannten Behörden im Rahmen von Verfahren zur Verhütung, Feststellung oder Verfolgung von Straftaten ergeht. Auch sieht die Richtlinie keine präzise Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, solche Beschränkungen zu schaffen. (...)
Die Speicherungsfrist liegt zudem zwischen mindestens sechs Monaten und höchstens 24 Monaten, ohne dass ihre Festlegung auf objektiven Kriterien beruhen muss, die gewährleisten, dass sie auf das absolut Notwendige beschränkt wird.» (Seite 292)
EuGH billigt zum Schutz geistigen Eigentums erlassene innerstaatliche Maßnahmen gegen eine massiv das Urheberrecht verletzende Webseite / Rs. UPC Telekabel Wien
Im Ausgangsverfahren geht es um die einklagbare Verantwortlichkeit des Anbieters von Internetzugangsdiensten, den illegalen Internet-Zugriff auf Kinofilme zu verhindern. (Seite 301)
EuGH verneint in zwei Fällen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub für Bestellmutter im Rahmen einer Ersatzmuttervereinbarung / Rs. D. und Rs. Z.
In dem einen Fall (Rs. D.) führt die Tatsache, dass die Bestellmutter das Kind nach der Geburt stillt, und in dem anderen Fall (Rs. Z.) führt auch die anatomische Unmöglichkeit der Bestellmutter, selbst ein Kind auszutragen, zu keinem Anspruch auf Mutterschaft- oder Adoptionsurlaub. (Seiten306 und 311)
EuGH bekräftigt das Recht auch für Nicht-Italiener, sich vor den Zivilgerichten in der italienischen Provinz Bozen der deutschen Sprache zu bedienen / Rs. Grauel Rüffer
Im Ausgangsverfahren hat die deutsche Klägerin ihre Klageschrift gegen die tschechische Beklagte auf Schadensersatz wegen eines Skiunfalls in deutscher Sprache eingereicht. Die tschechische Beklagte hat ihre Klageerwiderung ebenfalls auf Deutsch verfasst.
Auf Vorlage des Landesgerichts Bozen, entscheidet der EuGH, dass entgegen einem früheren Urteil des italienischen Kassationshofs und entgegen der Argumentation der italienischen Regierung, das Recht, vor den Zivilgerichten der Provinz Bozen die deutsche Sprache zu benutzen, nicht auf dort ansässige italienische Staatsangehörige beschränkt ist. (Seite 318)
EuGH anerkennt erstmalig „Recht auf Vergessen“ im Internet, betont die auch inhaltliche Verantwortlichkeit eines Suchmaschinenbetreibers nach geltendem Unionsrecht und präzisiert Kriterien für die Löschungspflicht von Links zu personenbezogenen Daten / Rs. Google Spain und Google
In dem Urteil (der Großen Kammer) heißt es: «Insoweit ist festzustellen, dass sich die Verarbeitung personenbezogener Daten, die im Rahmen der Tätigkeit einer Suchmaschine ausgeführt wird, von der unterscheidet, die von den Herausgebern von Websites, die diese Daten auf einer Internetseite einstellen, vorgenommen wird, und zusätzlich zu dieser erfolgt.
Außerdem ist unstreitig, dass diese Tätigkeit der Suchmaschinen maßgeblichen Anteil an der weltweiten Verbreitung personenbezogener Daten hat, da sie diese jedem Internetnutzer zugänglich macht, der eine Suche anhand des Namens der betreffenden Person durchführt, und zwar auch denjenigen, die die Internetseite, auf der diese Daten veröffentlicht sind, sonst nicht gefunden hätten.
Zudem kann die Organisation und Aggregation der im Internet veröffentlichten Informationen, die von den Suchmaschinen mit dem Ziel durchgeführt wird, ihren Nutzern den Zugang zu diesen Informationen zu erleichtern, bei einer anhand des Namens einer natürlichen Person durchgeführten Suche dazu führen, dass die Nutzer der Suchmaschinen mit der Ergebnisliste einen strukturierten Überblick über die zu der betreffenden Person im Internet zu findenden Informationen erhalten, anhand dessen sie ein mehr oder weniger detailliertes Profil der Person erstellen können.
Durch die Tätigkeit einer Suchmaschine können die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten somit erheblich beeinträchtigt werden, und zwar zusätzlich zur Tätigkeit der Herausgeber von Websites; als derjenige, der über die Zwecke und Mittel dieser Tätigkeit entscheidet, hat der Suchmaschinenbetreiber daher in seinem Verantwortungsbereich im Rahmen seiner Befugnisse und Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass die Tätigkeit den Anforderungen der Richtlinie 95/46 entspricht, damit die darin vorgesehenen Garantien ihre volle Wirksamkeit entfalten können und ein wirksamer und umfassender Schutz der betroffenen Personen, insbesondere ihres Rechts auf Achtung ihres Privatlebens, tatsächlich verwirklicht werden kann.
Schließlich ist festzustellen, dass der Umstand, dass die Herausgeber von Websites die Möglichkeit haben, den Suchmaschinenbetreibern u.a. mit Hilfe von Ausschlussprotokollen wie „robot.txt“ oder Codes wie „noindex“ oder „noarchive“ zu signalisieren, dass eine bestimmte auf ihrer Website veröffentlichte Information ganz oder teilweise von den automatischen Indexen der Suchmaschinen ausgeschlossen werden soll, nicht bedeutet, dass das Fehlen eines solchen Hinweises seitens der Herausgeber von Websites den Suchmaschinenbetreiber von seiner Verantwortung für die von ihm im Rahmen der Tätigkeit der Suchmaschinen vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten befreite. (...)
Anträge gemäß Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 95/46 können von der betroffenen Person unmittelbar an den für die Verarbeitung Verantwortlichen gerichtet werden, der dann sorgfältig ihre Begründetheit zu prüfen und die Verarbeitung der betreffenden Daten gegebenenfalls zu beenden hat. Gibt der für die Verarbeitung Verantwortliche den Anträgen nicht statt, kann sich die betroffene Person an die Kontrollstelle oder das zuständige Gericht wenden, damit diese die erforderlichen Überprüfungen vornehmen und den für die Verarbeitung Verantwortlichen entsprechend anweisen, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich nach Art. 28 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 95/46 jede Person zum Schutz ihrer Rechte und Freiheiten bei der Verarbeitung personenbezogener Daten an jede Kontrollstelle mit einer Eingabe wenden kann und jede Kontrollstelle über Untersuchungsbefugnisse und wirksame Einwirkungsbefugnisse verfügt, aufgrund deren sie u.a. die Sperrung, Löschung oder Vernichtung von Daten oder das vorläufige oder endgültige Verbot einer Verarbeitung personenbezogener Daten anordnen kann. (...)
Links zu von Dritten veröffentlichten Internetseiten mit Informationen zu dieser Person [sind ggf.] zu entfernen, auch wenn der Name oder die Informationen auf diesen Internetseiten nicht vorher oder gleichzeitig gelöscht werden und gegebenenfalls auch dann, wenn ihre Veröffentlichung auf den Internetseiten als solche rechtmäßig ist.» (Seite 320)
Schweizerisches Bundesgericht (BGer), Lausanne, bestätigt bis auf zwei Punkte das polizeirechtliche Konkordat zur Verhinderung von Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen (Hooliganismus) i.d.F.v. 2.2.2012
Aufgehoben werden die Festlegung der Minimaldauer eines Rayonverbots auf ein Jahr (Art. 4 Abs. 2 Satz 1) und die automatische Verdoppelung der Meldeauflage bei Verletzung ohne entschuldbare Gründe (Art. 7 Abs. 4).
Das Urteil grenzt die präventiven polizeilichen Befugnisse zum Strafrecht ab: «Der Umstand, dass strafrechtlich relevantes Verhalten als Anknüpfungspunkt für die Definition des gewalttätigen Verhaltens und die Ergreifung von Massnahmen nach dem Konkordat dient, steht der Qualifikation des Konkordats als verwaltungsrechtlicher Erlass nicht entgegen. Entscheidend ist, dass das Konkordat einzig auf die Vorbeugung vor Gewalt ausgerichtet ist und die vorgesehenen konkreten Massnahmen nach Art und Schwere nicht als Bestrafung für erfolgtes gewalttätiges Verhalten erscheinen, sondern als notwendige Massnahmen zur Verhinderung künftiger Gewalttaten (...).
Die vorgesehenen Massnahmen sind auf das zukünftige Verhalten ausgerichtet und gelangen unabhängig von der strafrechtlichen Beurteilung bereits verübter Gewalttaten zur Anwendung. Die strafrechtlichen Mittel bezwecken die nachträgliche Ahndung von Verstössen. Die Notwendigkeit von gezielten auf Vermeidung von zukünftigen Gewalttaten ausgerichteten Verwaltungsmassnahmen gemäss dem Konkordat liegt darin begründet, dass das Strafrecht nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre kein hinreichendes Mittel zur vorbeugenden Bekämpfung von Gewalttaten an Sportveranstaltungen darstellt, da das Strafrecht grundsätzlich erst greift, wenn die Rechtsverstösse bereits erfolgt sind. Für eine Qualifikation der Massnahmen nach dem Konkordat als strafrechtliche Sanktionen kann nicht genügen, wenn aus Sicht des betroffenen Fussball- oder Eishockeyfans ein Rayon- und Stadionverbot subjektiv als pönal empfunden wird.»
In Bezug auf Kontroll- und Durchsuchungsbefugnisse privater Sicherheitsdienste stellt das BGer fest: «Die Kompetenzen der vom Stadionverantwortlichen beauftragten privaten Sicherheitskräfte sind insbesondere durch das staatliche Gewaltmonopol stark begrenzt. Zudem gilt für die privaten Sicherheitsdienste ebenfalls die Grundrechtsbindung gemäss Art. 35 Abs. 2 BV.» (Seite 331)
Österreichischer Verfassungsgerichtshof (VfGH), Wien, sieht in dem gesetzlichen Ausschluss lesbischer Paare von fortpflanzungsmedizinischen Maßnahem eine Verletzung von Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK
«Die (undifferenzierte) Beschränkung aller zulässigen Methoden medizinisch unterstützter Fortpflanzung auf die Substituierung von körperlichen Defiziten, die einer Fortpflanzung auf natürlichem Wege entgegenstehen, (bei der Samenspende Dritter von solchen Defiziten bei Männern) in Ehen und eheähnlichen (verschiedengeschlechtlichen) Lebensgemeinschaften begründet die Regierungsvorlage zum FMedG (RV 216 BlgNR 18. GP, 11) ausschließlich damit, dass „[a]lleinstehenden Frauen oder gleichgeschlechtlichen Paaren [...] wegen der damit verbundenen Mißbrauchsgefahr (‚Leihmutterschaft') (...) keine medizinisch assistierten Zeugungshilfen geleistet werden“ dürfen. Dabei gehen die Materialien von der – wie die seither ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zeigt – unzutreffenden Auffassung aus, dass ein Recht auf Fortpflanzung ausschließlich in dem gemäß Art. 12 EMRK den Ehepaaren garantierten Recht auf Familiengründung, nicht aber im Recht auf Privatleben gemäß Art. 8 EMRK, enthalten und daher grundrechtlich nicht gewährleistet ist.
Der in den angefochtenen Bestimmungen liegende Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 iVm 8 EMRK hinsichtlich des Kinderwunsches von Frauen, die in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft leben, ist somit nicht durch Gründe ausreichenden Gewichts gerechtfertigt und daher unverhältnismäßig, weil er im Ergebnis diese Personengruppe generell von der artifiziellen intrauterinen heterologen Insemination ausschließt.» (Seite 345)
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Karlsruhe, beanstandet mangelnde Vielfaltssicherung und Staatsferne im ZDF-Staatsvertrag und setzt eine Abhilfefrist bis zum 30. Juni 2015
Die Leitsätze des Ersten Senats lauten: «1. Die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG am Gebot der Vielfaltsicherung auszurichten. Danach sind Personen mit möglichst unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungshorizonten aus allen Bereichen des Gemeinwesens einzubeziehen.
a) Der Gesetzgeber hat dafür zu sorgen, dass bei der Bestellung der Mitglieder dieser Gremien möglichst unterschiedliche Gruppen und dabei neben großen, das öffentliche Leben bestimmenden Verbänden untereinander wechselnd auch kleinere Gruppierungen Berücksichtigung finden und auch nicht kohärent organisierte Perspektiven abgebildet werden.
b) Zur Vielfaltsicherung kann der Gesetzgeber neben Mitgliedern, die von gesellschaftlichen Gruppen entsandt werden, auch Angehörige der verschiedenen staatlichen Ebenen einbeziehen.
2. Die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss als Ausdruck des Gebots der Vielfaltsicherung dem Gebot der Staatsferne genügen. Danach ist der Einfluss der staatlichen und staatsnahen Mitglieder in den Aufsichtsgremien konsequent zu begrenzen.
a) Der Anteil der staatlichen und staatsnahen Mitglieder darf insgesamt ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums nicht übersteigen.
b) Für die weiteren Mitglieder ist die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konsequent staatsfern auszugestalten. Vertreter der Exekutive dürfen auf die Auswahl der staatsfernen Mitglieder keinen bestimmenden Einfluss haben; der Gesetzgeber hat für sie Inkompatibilitätsregelungen zu schaffen, die ihre Staatsferne in persönlicher Hinsicht gewährleisten.» (Seite 351)
Richter Paulus erklärt in seiner abweichenden Meinung: «Dem Urteil kann ich nicht in vollem Umfang zustimmen, soweit es im staatsfreien oder auch nur „staatsfernen“ Zweiten Deutschen Fernsehen die Mitwirkung von Mitgliedern der Exekutive in den Aufsichtsgremien für verfassungsrechtlich zulässig erklärt.» (Seite 364)
BVerfG qualifiziert die Durchsuchung der Privatwohnung eines Prokuristen in der Rüstungsindustrie ohne Verdacht einer (Bestechungs-)Straftat für verfassungswidrig. (Seite 367)
BVerfG billigt die Veröffentlichung einer berufsrechtlichen Verurteilung mit Namensnennung, hier: wegen nicht angemessener Abrechnungsmethoden eines Arztes. (Seite 370)
BVerfG befindet degressiven Zweitwohnungsteuertarif für gleichheitswidrig und präzisiert Sorgfaltspflichten bei der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde per Fax
Danach ist ein zeitlicher Sicherheitszuschlag von 20 Minuten zusätzlich zu der zu erwartenden Übermittlungsdauer zur Wahrung der Frist ausreichend. (Seite 373)
BVerfG sieht Voraussetzungen für Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gem. § 19 BVerfGG als gegeben an
Hier: Vizepräsident Kirchhof in Verfahren von Lehrerinnen betr. das islamische Kopftuch. (Seite 381)
BVerfG billigt Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu gewerkschaftlich organisierter streikbegleitender Flashmob-Aktion im Einzelhandel. (Seite 383)
EuGH ändert Zitierweise seiner Rechtsprechung und führt die amtliche Sammlung nicht mehr auf Papier, sondern nur noch digital weiter. (Seite 387)
VfGH zur Vorratsdatenspeicherung – Fragenkatalog für mündliche Verhandlung. (Seite 388)